Euro am Sonntag

Marvel & Co.: Von der Comic-Szene lernen

09.09.18 01:00 Uhr

Marvel & Co.: Von der Comic-Szene lernen | finanzen.net

Was hat ein Verlag wie Marvel, der mit Actionhelden wie Spider-Man, Daredevil oder Iron Man sein Geld verdient, mit der Anlagebranche zu tun? Gastautor Nacho Morais erzählt, warum er diesen Vergleich durchaus für berechtigt hält.

von Nacho Morais, Gastautor von Euro am Sonntag

Wer hätte gedacht, dass die turbulente Entwicklung der Marvel-Comics - vom Bestseller über die Insolvenz zum Kinohit - den Weg der Finanzmärkte vorzeichnen würde? Auch dort erlebten wir nach der Hysterie der 1990er- und den Exzessen zu Beginn der Nullerjahre einen folgenschweren Zusammenbruch in Form der globalen Finanzkrise. Marvel konnte sich neu erfinden: Das Unternehmen schaffte den Sprung vom Papier auf die Kinoleinwand. In ähnlicher Weise erkennen wir in der Anlagewelt ein Umdenken und neue Chancen bei alternativen Investments.



Ich war 14 Jahre alt, als Marvel 1991 "X-Men #1" veröffentlichte. Das Heft wurde 8,2 Millionen Mal verkauft und ist damit noch immer das meistverkaufte Einzel-Comic-Heft aller Zeiten. Der Erfolg beruhte unter anderem darauf, dass Sammler wegen der hohen Bewertungen der Erstausgaben von Comic-Klassikern alle Hefte horteten, auf denen "Ausgabe Nr. 1" stand, was dazu führte, dass Verlage massenweise Erstausgaben veröffentlichten.

Comic-Markt: Von der Insolvenz
zum Kassenschlager

Einige Jahre später verfasste ich als Student für meinen Mikroökonomie-Kurs eine Arbeit mit dem Titel: "Die Krise des US-amerikanischen Comic-Markts". Zu diesem Zeitpunkt war der Comic-Markt stark eingebrochen, denn die spektakulären Zeichnungen hatten dazu geführt, dass ihnen mehr Bedeutung eingeräumt wurde als dem Inhalt. Die Leser verloren daraufhin bald das Interesse. Opportunistische Sammler ließen die Finger von Comics, als ihnen klar wurde, dass sie mit Erstausgaben kein Geld mehr machen konnten. So stürzten die Verlage in eine branchenweite Krise. Bei Marvel führte dies schließlich dazu, dass das Unternehmen im Dezember 1996 Insolvenz anmeldete.



Rund 20 Jahre später hat sich Marvel als Premium-Entertainment-Anbieter neu erfunden. Sicherlich haben bestimmte Modetrends und Hypes zu diesem neuen Aufstieg beigetragen, doch der Wandel vom traditionellen Verlag hin zu einem modernen Kinoproduzenten ist überwiegend auf kluge Geschäftsentscheidungen zurückzuführen.

So engagierte Marvel unter den zahlreichen Schauspieltalenten viele Oscar-Preisträger oder -Nominierte. Zudem hatte Marvel einen langfristigen Plan: Komplexe Querverbindungen in den Filmen und Serien ziehen die Zuschauer in ihren Bann. Daraus entwickelte sich eine treue Fangemeinde. Hinzu kamen taktische Entscheidungen wie zum Beispiel die diesjährige Vorverlegung des Erscheinungsdatums von "Avengers: Infinity War" um einige Wochen, die wohl zum Rekordeinspielergebnis des Films beigetragen hat. Durch laufendes Feedback zu frühen Versionen wurde die Endfassung zudem optimiert, und die Unterschiede zwischen den Trailern und dem Film lieferten Stoff für Diskussionen im Internet: Die Werbemaschinerie lief auf Hochtouren.


Sie fragen sich nun sicherlich, was das alles mit alternativen Anlagen zu tun hat. Mitte der Nullerjahre waren die Hedgefondsmärkte von mehreren Merkmalen geprägt, die mich an die Hysterie in der US-Comic-Branche der 1990er erinnern. Die Eintrittsbarrieren waren niedrig, die Vorschriften locker, und man war bereit, massenhaft Kapital in die neuesten Trends zu investieren. Hedgefonds wurden letztlich zu einem Synonym für einen bestimmten Lebensstil. Manche Produkte wurden mit enormen Liquiditätsinkongruenzen und unzulänglichen Corporate-Governance-Strukturen auf den Markt gebracht, und Beta wurde häufig als Talent verkauft. Das erinnert an die Stil-vor-Inhalt-Phase, die dem Absturz von Marvel vorausging.

Und dann kam die Finanzkrise. Viele Dachfonds sahen ihre Anleger Reißaus nehmen, und die Rücknahmeforderungen häuften sich. Die Fonds, die die Liquidität ihrer Bestände versiegen sahen oder mit Rücknahme- und Nachschussforderungen bei Portfolios konfrontiert wurden, die ohnehin niemals liquide waren, beschränkten die Rücknahmen der Anleger, setzten sie aus oder bildeten Side Pockets für ihre illiquiden Anlagen. Viele Anleger bereuten damals, die Fondsprospekte nicht vollständig gelesen zu haben.

Als sich die Wogen geglättet hatten, wurde klar, dass sowohl alternative als auch traditionelle Anlageklassen schwer in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Viele Anleger hatten nicht nur ihr Kapital, sondern auch ihr Vertrauen verloren. Als die Zentralbanker die Märkte in beispiellosem Ausmaß mit Liquidität überschwemmten, hob die Flut alle Boote. Beta-Produkte verzeichneten dank der Ankaufprogramme der Zentralbanken mehrere Erfolgsjahre und drängten Anleger zunächst aus den sichersten Anlageklassen und später auch aus risikoreicheren Papieren.

Alternative Investments
in der neuen Anlagewelt

Im Segment der alternativen Anlagen wurde diese Zeit für Reformen genutzt. Ein angemessener Regulierungsrahmen wurde aufgebaut. Ergebnis: Die meisten US-Hedgefonds-Manager unterliegen inzwischen der Regulierung durch die US-Wertpapieraufsichtsbehörde (SEC), während europäische Anleger vorzugsweise in die stark regulierten UCITS-Strukturen (Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren) investieren. Investmentmanager haben in passende Infrastruktur, Risikosysteme und operative Teams investiert.

Gleichzeitig sind die Grenzen zwischen traditionellen und alternativen Strategien verschwommen. Einige traditionelle Manager haben Elemente aus dem alternativen Segment übernommen, während einige alternative Manager offener mit ihrem Engagement in traditionellen Anlagen umgehen.

Derzeit sehen wir eine Verlagerung in der Weltwirtschaft, die durch das Ende der mehrere Jahrzehnte andauernden Anleihehausse ausgelöst wurde. Unseres Erachtens sind alternative Anlagen besser geeignet, um dieses stärker differenzierte Anlageumfeld gewinnbringend zu nutzen. In einem Umfeld steigender Risiken dürften sich die Streuung und die Volatilität erhöhen, was die derzeitige negative Korrelation zwischen Aktien und Anleihen durchbrechen dürfte. Diese Faktoren sprechen dafür, alternative Instrumente einzusetzen, statt sich auf reine Long-only- Strategien zu stützen.

Angesichts der Veränderungen des wirtschaftlichen Umfelds, der angemessenen Instrumente, der besseren Corporate Governance, der umfassenderen Erfahrung der Manager, der höheren Ansprüche der Anleger und der Stärkung der Aufsichtsbehörden sehen wir für alternative Investments sehr gute Chancen, zu den neuen Stars am Anlagehimmel aufzusteigen.

zum Gastautor:

Nacho Morais, Consultant
bei BlueBay Asset Management

Morais studierte Wirtschaftswissenschaften und ist seit vielen Jahren als Fondsmanager und Analyst tätig. BlueBay ist Spezialist für Fixed-Income-Management, sieht sich an der Schnittstelle zwischen traditionellem und alternativem Assetmanagement und investiert weltweit mehr als 60 Milliarden US-Dollar für institutionelle Anleger und Finanzinstitute über das gesamte Fixed-Income-Spektrum.



Bildquellen: Walt Disney Studios Motion Pictures , BlueBay Asset Management