Yanis Varoufakis: "Ich habe noch nie eine einzige Aktie gekauft"
Griechenlands ehemaliger Finanzminister Yanis Varoufakis spricht mit €uro am Sonntag über das Erbe Wolfgang Schäubles, die Aufgaben Europas, Facebook und seine Ideen für die Finanzmärkte.
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von Markus Hinterberger, Euro am Sonntag
Für einen, der, wie er selbst sagt, nie in die Politik wollte, ist Yanis Varoufakis recht umtriebig. So ist der ehemalige Finanzminister Griechenlands einer der Mitbegründer der linksliberalen Bewegung DIEM25, die knapp den Einzug ins EU-Parlament verpasste und in Deutschland unter dem Namen "Demokratie in Europa" bekannt ist. Im Gespräch, das im Rahmen eines Videotelefonats stattfand, erklärte der 60-Jährige vom heimischen Küchentisch aus, dass seine Generation, vor allem was die Einheit Europas angeht, gescheitert sei und er im Speziellen sich nun als eine Art Berater für die Jüngeren sehe. Ziemlich viel Understatement für den hierzulande wohl bekanntesten lebenden Griechen. Doch Varoufakis weiß, wie sein unkonventionelles Auftreten wirkt, und ist selten um einen provokanten Satz verlegen.
Euro am Sonntag: Herr Varoufakis, Griechenland gilt wirtschaftlich als Musterland Europas. Freut Sie das?
Yanis Varoufakis: Wie kommen Sie denn darauf?
In vielen Zeitungen, ganz gleich, ob sie in Deutschland oder anderen Ländern der Europäischen Union erscheinen, war zu lesen, dass die griechische Wirtschaft wieder prosperiert.
Das kann ich nicht bestätigen. Es gibt überhaupt keine Erholung. Aus meiner Sicht ist es noch schlimmer als 2015. Die Probleme sind immer noch die gleichen, aber noch größer.
Deutschland hat eine neue Regierung. Ist das eine gute Nachricht für Europa und die Griechen?
Wir Europäer brauchen einen Impuls, um aus einer Phase der langfristigen Stagnation herauszukommen, die mit der Finanzkrise 2008 begonnen hat. Ich sehe keinen Unterschied zwischen der Merkel-Regierung und der neuen. Das Scheitern der rot-grünen Parteien in den vergangenen Jahrzehnten hat der FDP, vor allem Christian Lindner, eine Rolle als Stütze der neuen Regierung gesichert. Die FDP bekennt sich zum Erhalt der Wolfgang-Schäuble-Linie. Dabei ist Schäuble ein Christdemokrat. Aber nur auf dem Papier. Für mich ist Wolfgang Schäuble einer der geistigen Führer der FDP.
Das heißt, ein Finanzminister namens Christian Lindner wird das Gleiche tun wie seinerzeit Wolfgang Schäuble?
Das ist richtig, er wird die Politik fortsetzen, die übrigens auch Olaf Scholz fortgesetzt hat. Der Fiskalpakt, der es der EU nicht erlaubt, zu einer demokratischen Föderation zu werden, bleibt weiterhin stark.
Was macht Sie da so sicher? Europas Finanzen scheinen für die neue Bundesregierung eher ein Randthema zu sein.
Es gab bereits im ersten Sondierungspapier eine Passage, in der stand, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt immer noch eine gute Sache ist.
Was ist denn so falsch daran?
Die Pandemie hat unsere Schuldenberge noch höher wachsen lassen. Dies wird zu neuen Sparmaßnahmen und neuen Deflationsproblemen führen. Wenn sich Europa von der Pandemiekrise zu erholen beginnt, werden wir eine weitere große Kluft zwischen Liquidität im Finanzmarkt und Investitionen haben. Das Problem Deutschlands und damit auch des Rests der EU ist immer noch, dass wir riesige Ersparnisse haben und keine Investitionen tätigen.
Welche Investitionen wären richtig?
Ich hoffe, Deutschland wird unabhängig von Wladimir Putins Gas.
Das wird aber dem Rest Europas wenig helfen.
Doch! Wenn es eines gibt, bei dem die EU vereint sein muss, dann ist es Energie. Wir stehen vor einer Klimakatastrophe und tun nichts. Wir hier in Griechenland haben Solarstrom, in Deutschland haben Sie mehr Wind. Wir schaffen keine Energieunion, die kollektiv finanziert wird. Dies würde es uns ermöglichen, grünen Strom richtig zu produzieren und zu verteilen. Das könnte eine wunderbare Möglichkeit sein, unser Geld sinnvoll zu investieren. Nationale Energienetze und Energiepläne sind die Definition von Wahnsinn.
Wo muss Europa denn außerdem zusammenarbeiten?
Wir müssen stark sein bei Halbleitern, grünen Technologien, künstlicher Intelligenz und Biotechnologie. Das und die Frage "Woher kommt unsere Energie?" sind die fünf Dinge, die die Zukunft bestimmen. Und wir investieren in keinen dieser Sektoren in ganz Europa genug. Mehr noch, wir fallen gegenüber Amerikanern und Chinesen zurück.
In Ihrem Buch "Another now" schreiben Sie über eine Welt ohne Geschäftsbanken. Wie soll das funktionieren?
Ich bin ein Liberaler, ich glaube nicht an die Schließung von Banken. Liberale sollten nur nicht an Monopole glauben.
Ein Monopol? Es gibt so viele Banken, da kann man kaum von einem Monopol sprechen.
Der kommerzielle Bankensektor hat das Monopol des Zahlungssystems. Das braucht er nicht, das könnte auch die EZB übernehmen.
Das müssen Sie erklären.
Wir brauchen einen Krypto-Euro, also eine digitale Währung. Dann könnte jeder Europäer bei der Europäischen Zentralbank ein Konto haben. Mit der Digitalisierung des Geldes werden wir den Schwarzmarkt weitestgehend beenden, Steueroasen austrocknen und mehr Transparenz in unser Finanzsystem bekommen.
Was halten Sie von bestehenden Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ethereum? Deren Befürworter heben dieselben Vorteile hervor wie Sie gerade.
Ich glaube, dass privates Kryptogeld neue Oligarchien erschafft. Die Menschen, die früh auf den Zug aufgesprungen sind, schwimmen in der jeweiligen Kryptowährung, und der Rest, der später dazugekommen ist, hat wenig oder gar nichts.
In Deutschland haben viele Menschen Angst vor digitalem Geld. Sie befürchten, dass die Zentralbank dann jeden Cent ihres Geldes verfolgen kann und unser Umgang mit Geld völlig transparent wird.
Niemand will Big Brother, aber seien wir ehrlich: 99 Prozent des Geldes sind bereits digital. Facebook, Amazon, Ihr Banker, sie alle wissen genau, wo Sie Ihr Geld ausgeben. Privatsphäre ist eine Illusion. Eine von der Zentralbank ausgegebene öffentliche digitale Währung bietet Ihnen viel mehr Privatsphäre und vollständige Anonymität der Personen. Wenn wir eine solche digitale Währung haben, kann jeder sehen, wie viel Geld im System ist.
Derzeit fließen Milliarde in die Aktienmärkte, die Kurse vieler Aktien steigen und steigen. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein?
Die Zentralbanken schaffen Geld, das den ständigen Handel bei Fusionen und Übernahmen unterstützt und zu einer Vermögenspreisinflation führt. All dieses Geld, das die Zentralbanken geschaffen haben, wird in diesem System verschwendet und nicht etwa in grüne Energie investiert.
Was halten Sie von Finanzmarktregulierungen?
Ich glaube nicht, dass wir dieses Biest regulieren können. Es ist zu mächtig. Wenn Sie radikal denken, und ich bin radikal, müssen Sie die Art und Weise, wie Eigentum gehandelt wird, überdenken.
Sie haben sicher eine Idee für ein neues Eigentumskonzept.
In den USA habe ich für eine Firma gearbeitet, an der alle Mitarbeiter beteiligt waren. Warum nehmen wir dies nicht als Blaupause für Eigentum? Stellen Sie sich vor, dass Aktien nicht mehr gehandelt werden. Sie besitzen sie privat. Sie treten in eine Firma ein und erhalten einen Anteil, wie Sie einen Bibliotheksausweis erhalten, wenn Sie zur Uni gehen. Und wenn Sie das Unternehmen verlassen, geben Sie die Aktie zurück und nehmen das Kapital. Ich weiß, das klingt nach einer verrückten Idee. Aber ist die Idee, dass eine Person eine Stimme in der Politik hat, eine verrückte Idee? Ich als liberaler Linker fürchte die Macht eines Staates, wie ich die Macht von Google, Facebook und so weiter fürchte.
Sind Sie auch auf der Seite derer, die Big Techs wie Google, Facebook und so weiter aufspalten wollen?
Dieses Vorhaben ist naiv.
Warum?
Der Charme einer Plattform wie Facebook liegt darin, dass man Menschen aus der ganzen Welt verbindet und ein Publikum hat. Wenn man diese Plattform aufspaltet, konterkariert man die Idee einer Plattform. Ich denke, man müsste die Daten zum Privateigentum derer machen, die sie bereitstellen. Wir bekommen, vereinfacht gesagt, Geld dafür, dass wir unsere Daten preisgeben. Dann bricht plötzlich die ganze Machtstruktur zusammen, die Facebook für einen Mann geschaffen hat.
Reden wir über Philanthropie. Sind Bill Gates und die anderen Spender ehrlich?
Philanthropie war schon immer ein Mittel, um unverdienten Reichtum zu legitimieren. Denken Sie an Leute wie Elihu Yale und viele andere, sie haben Menschen ausgebeutet und dann Universitäten oder Krankenhäuser geschaffen. Ich will damit nicht sagen, dass Philanthropen wie Bill Gates oder Warren Buffett schlechte Menschen sind, aber sie wissen, dass ihre Milliarden nicht das Ergebnis ihrer harten Arbeit oder ihres Einfallsreichtums sind. Sie sind natürlich schlauer als Sie und ich und haben es sicher verdient, reicher zu sein als wir, aber ihr absurder Reichtum, der immer weiter wächst, ist das Ergebnis von Monopolen, eines falschen Steuersystems und anderer Faktoren.
Müssen wir sie stärker besteuern?
Aus Gründen der Gerechtigkeit lautet die Antwort: ja. Aber es gibt zwei Probleme. Diejenigen, die Veränderungen bewirken wollen, denken zunächst, dass das nötige Geld aus Steuern kommen könnte. Dies ist nicht der richtige Weg. Denn die Reichen sind sehr gut darin, ihren Reichtum zu verbergen. Das weiß ich, seit ich hier in Griechenland Finanzminister war. Zweites Problem: Was ist besser - die Anhäufung von Geld aus Geld zu verhindern oder das Ergebnis zu besteuern?
Halten Sie sich für reich?
Ich bin sehr privilegiert. Ich wähle meine Projekte aus, und das ist der größte Reichtum, den man haben kann. Ich habe die Kontrolle über meine Zeit. Aber in finanzieller Hinsicht bin ich nicht wohlhabend, obwohl es ein großes Gerücht gibt, dass ich es bin, da ich gesagt habe, ich sei die privilegierteste Person, die ich kenne.
Was sagen Sie jüngeren Leuten, die Sie fragen, was sie mit ihrem Geld machen sollen?
Ich habe in meinem Leben noch nie eine einzige Aktie gekauft, daher gebe ich keine finanziellen Ratschläge. Die größte Investition ist für mich die Investition in Bildung. Mein Vater sagte einmal zu mir: "Wenn du Flüchtling bist und nackt an einem Strand landest, kannst du als einziges Kapital immer deine Ausbildung mitnehmen." Das mag für Sie ein bisschen moralistisch klingen, aber ich persönlich glaube wirklich daran. Und wenn mich Leute fragen: "Soll ich ein paar Bitcoin kaufen oder dies und das?", antworte ich immer: "Kaufe nichts mit Geld, das du brauchst."
Vita:
Der 60-jährige gebürtige Athener lehrte als Dozent für Ökonomie zeitweise in Cambridge und erhielt später eine Professur an der Universität in Athen. Außerhalb der akademischen Welt erlangte er Bekanntheit, als er 2015 Finanzminister im Kabinett des linken griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras wurde. Mit seiner unangepassten Art und seiner harten Haltung gegen die rigiden Sparauflagen seitens der griechischen Gläubiger galt er zeitweise als Feindbild Nummer 1 für deutsche Sparer. Heute lehrt der passionierte Autor und Motorradfahrer wieder Volkswirtschaft an der Universität Athen, hat einen Sitz im griechischen Parlament und engagiert sich mit seiner Partei Democracy in Europe Movement (Demokratie in Europa) DIEM 25 für ein starkes Europa. Varoufakis lebt auf der Insel Ägina vor den Toren Athens.
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