US-Ökonom Hudson: "Er ist so inkompetent!"
Der US-Ökonom Michael Hudson ist ein scharfer Kritiker des Finanzsystems. Er plädiert dafür, Schulden zu erlassen, um die Wirtschaft anzukurbeln - und lobt deutsche Anleger für ihre Ängstlichkeit.
von Christoph Platt, €uro am Sonntag
Den Kapitalismus zu kritisieren, scheint dem US-Ökonomen Michael Hudson bereits in die Wiege gelegt worden zu sein. Der russische Revolutionär Leo Trotzki war sein Taufpate. Wirklich kennenlernen konnten sich die beiden aber nicht: Bereits ein Jahr nach Hudsons Geburt wird Trotzki in Mexiko ermordet - mit einem Eispickel, der aus dem Haushalt von Hudsons Tante stammte. Nur ein Jahr später muss Hudsons Vater als Anführer der amerikanischen Trotzkisten ins Gefängnis. Sein Sohn ist da gerade einmal zwei Jahre alt.
So ungewöhnlich wie das Leben Hudsons beginnt, geht es weiter. Mit 20 Jahren schließt er sein Deutsch- und Geschichtsstudium ab und wird Journalist. Nur kurze Zeit später will er Musik studieren, doch eine Begegnung mit einem bekannten Ökonomen veranlasst ihn dazu, sich für Wirtschaftswissenschaften einzuschreiben. Sie werden zu seiner Leidenschaft. Im Lauf der Jahrzehnte wird der US-Amerikaner zu einem renommierten Ökonomen und fundamentalen Kritiker des kapitalistischen Finanzsystems. Vor allem das Thema weltweite Verschuldung treibt ihn um.
Professor, Autor, Regierungsberater
Beweisen muss sich der heute 78-Jährige nichts mehr. Als Professor lehrt er an der Universität von Missouri und leitet das Institut für langfristige Wirtschaftsentwicklung. Er ist Autor zahlreicher Bücher, die sich kritisch mit dem Finanzsystem auseinandersetzen. Für die Regierungen von China, Griechenland, Lettland und Island war er als wirtschaftlicher Berater tätig und er unterstützte die 2011 entstandene Bewegung "Occupy Wall Street", die eine stärkere Kontrolle des Banken- und Finanzsektors durch die Politik forderte.
€uro am Sonntag traf Hudson in Berlin, wo er die deutsche Erstausgabe seines ersten großen Buchs, "Finanzimperialismus", vorstellte, und sprach mit ihm über erdrückende Schulden und die Inkompetenz des US-Präsidenten.
€uro am Sonntag: Vor einer Woche ist Ihr Buch "Finanzimperialismus" erstmals auf Deutsch erschienen. Geschrieben haben Sie es 1972. An welche Leser wendet sich ein Buch, das nun 45 Jahre alt ist?
Michael Hudson: Um die heutige Finanzwelt zu begreifen, ist es wichtig, ihre Ursprünge zu kennen. Vieles aus dem Buch ist Geschichte. Doch es ist wichtig zu verstehen, wie sich das internationale Finanzsystem in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg entwickelt hat. Wie die USA das System geformt haben durch Kontrolle des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank. Beide Institutionen sind Verlängerungen der amerikanischen Außenpolitik und vertreten vor allem die Interessen der USA. Ich habe aber ein Update hinzugefügt, das sich insbesondere an die deutschen Leser wendet.
Was können die aus Ihrem Buch lernen?
Eines der Schlüsselkapitel von "Finanzimperialismus" ist es, die Deutschen daran zu erinnern, was das Wirtschaftswunder nach 1947 möglich machte. Es gab einen Schuldenschnitt, und die deutsche Industrie war mit einem Mal schuldenfrei. Zugegeben: Es war damals einfach, der Industrie die Schulden zu erlassen, denn die meisten Gläubiger waren Nazis gewesen. Aber es war ein hilfreicher Schlussstrich, der anschließend starkes Wachstum ermöglichte.
Die hohe Verschuldung ist Ihre Hauptkritik am weltweiten Wirtschaftssystem in seiner aktuellen Form.
Richtig. Die Verschuldung steigt Jahr für Jahr, und durch die wachsende Schuldenlast schrumpfen die Märkte. Immer mehr Einkommen - sowohl von Unternehmen als auch privat - muss für Zinszahlungen aufgewendet werden. Es ist dadurch immer weniger Geld vorhanden, das für Waren und Dienstleistungen ausgegeben wird. Man kann das gut in New York sehen, wo es in allen Hauptstraßen immer mehr leere Geschäfte gibt. Vor Kurzem hat die US-Regierung Zahlen veröffentlicht, wonach Monat für Monat 550 Einzelhändler in den USA schließen müssen.
Sie raten, die Schulden zu erlassen.
Ja, denn viele Schulden sind schon jetzt zu hoch, um je bezahlt zu werden. Die Frage ist nur, wer die Verluste, die irgendwann anfallen werden, auf sich nehmen soll. Ich denke, es ist besser, wenn die Gläubiger diese tragen, als dass die Schuldner immer stärker ausgequetscht werden. Denn die Gläubiger sind für die Misere verantwortlich, weil sie Kredite vergeben haben, die nie zurückgezahlt werden können. Schauen Sie sich Griechenland an, das ist eins der offensichtlichsten Beispiele.
Sie haben bereits 2006 vor der Subprime- und Finanzkrise gewarnt und werden oft als Dr. Doom bezeichnet. Gefällt es Ihnen, so genannt zu werden?
Ich bin der Auffassung, dass Schulden nicht zurückgezahlt werden können. Ich sehe mich nicht als Untergangspropheten, sondern weise nur darauf hin, dass es eine Lösung wäre, sie zu streichen. Wenn man die Schulden, die nicht zurückgezahlt werden können, in den Bilanzen behält, wird die Wirtschaft schrumpfen. Die meisten Leute sagen: Es ist verrückt, Schulden abzuschreiben, das wird Krisen auslösen. Aber die Wahrheit ist: Die Schulden nicht auszulöschen, schafft ebenfalls eine Krise. Wenn man darauf beharrt, dass die Schulden zurückgezahlt werden müssen, wird die Wirtschaft nach und nach immer ärmer werden. Ist das die Zukunft, die wir haben wollen?
Niemand weiß, wann die nächste Finanzkrise kommen wird. Doch was wird Ihrer Meinung nach der wahrscheinlichste Auslöser sein?
Jede Krise wird immer durch eine von zwei Sachen ausgelöst. Entweder durch eine Veruntreuung oder durch eine falsche Spekulation einer großen Bank. Jede Krise beginnt mit einem Bruch in der Zahlungskette. Unabhängig davon denke ich aber, dass wir uns in einem langsamen Crash befinden, der zu einem Schrumpfen der Wirtschaft führt.
Gibt es also nicht einen großen Knall?
Niemand weiß das. Es kann immer passieren, dass eine Großbank eine schlechte Wette macht. Man kann das nicht vorhersehen. Man kann aber sagen, dass das System zerbrechlich ist. Je höher der Verschuldungsgrad eines Systems ist, desto zerbrechlicher wird es. Alle westlichen Volkswirtschaften sind momentan sehr fragil.
Sie haben von einem langsamen Crash gesprochen. Was raten Sie Anlegern?
Am wichtigsten ist es, das Kapital zu erhalten. Es geht nicht darum, Geld zu verdienen - das ist heutzutage sehr schwer, außer Sie haben eine Milliarde Dollar. Nur die großen Hedgefonds sind momentan dazu in der Lage. Kleinanleger können ihr Vermögen lediglich schützen - was bedeutet, es in Staatsanleihen oder in Sachwerte zu stecken. Sie müssen mit einem Prozent Rendite zufrieden sein. Das ist der risikolose Zins, alles darüber hinaus ist riskant.
Mit deutschen Staatsanleihen bekommen Sie nicht einmal das.
Ich weiß. In Amerika ist es genauso. Und trotzdem: Die meisten reichen Leute - ich kenne ein paar Milliardäre - versuchen, Verluste zu vermeiden. Sie versuchen nicht mehr, Geld zu verdienen. Niemand weiß, wann eine Krise kommen wird, aber sie wollen sich davor schützen.
Aktien also nur für die Uneinsichtigen?
Grund für den Anstieg des US-Aktienmarkts ist, dass Unternehmen ihre Gewinne fast vollständig entweder für Aktienrückkäufe oder für höhere Dividendenzahlungen verwendet haben. Die Mittelschicht und die Ruheständler sind dagegen Nettoverkäufer von Aktien. Die Käufer sind die Unternehmen selbst, um den Kurs zu stützen. Viele Konzerne haben sich verschuldet, um ihre Gewinne für Aktienrückkäufe zu verwenden. Denn sie können sich von den Banken für ein bis zwei Prozent Geld leihen und dann ihre Aktien kaufen, die fünf bis sechs Prozent bringen. Doch wenn die Kurse fallen, stehen sie mit Schulden da, die nicht vom Wert der Aktien gedeckt sind.
Deutsche Anleger gelten als ängstlich. Viele meiden Aktien und schätzen Sparbücher. Sind sie zu konservativ?
Ich denke, sie sind realistisch. Sie verhalten sich so, wie man sich heutzutage aufstellen sollte.
Sie haben von Sachwerten gesprochen - meinen Sie Immobilien? Deren Preise sind in den vergangenen Jahren stark gestiegen.
Ja, das stimmt. Immobilien sind eigentlich zu teuer. Doch die Preise werden weiter steigen, denn dort investieren die Menschen ihr Geld. Sie sollten zugreifen. In der heutigen Welt ist es eine gute Idee, sein eigenes Haus zu kaufen.
Folgen Sie Ihrem eigenen Rat?
Ja, mein Geld steckt in kurz laufenden US-Staatsanleihen, und mein Haus ist abbezahlt.
Stimmt es, dass Sie einen Teil Ihres Geldes in Kunst investiert haben?
Ja, ich habe eine Menge tibetische Kunst gekauft. Kunst ist aber mittlerweile eine Trophäe. Die Reichen kaufen Kunst. Doch das Spiel, in Kunst zu investieren, ist zu Ende.
Für Sie oder für Anleger allgemein?
Ganz allgemein. Der Kunstmarkt wird nicht weiter steigen, es sei denn, Sie besitzen etwas, was ein Milliardär kaufen möchte.
Sie haben kurz vor der US-Präsidentschaftswahl gesagt, dass Trump der bessere Präsident wäre.
Das Wort "besser" habe ich nie verwendet. Es ging bei der Wahl einzig darum, den weniger schlimmen Kandidaten zu bestimmen. Die Wähler haben entschieden, dass Trump das kleinere Übel ist. Donald Trump ist die zweitunbeliebteste Person in den USA - die unbeliebteste ist Hillary Clinton.
Sie haben aber gesagt, dass Trump als Präsident gut wäre, weil er so ineffektiv sein würde.
Jedenfalls besser als ein effektiver, aber schlechter Präsident. Clinton befürwortete viele Militärschläge und ist auf Konfrontationskurs mit Russland gegangen. Trump hat gesagt, er werde Amerika aus militärischen Abenteuern raushalten. Das ist gut für die Welt und besser als ständige Konflikte.
Ist Trump so ineffektiv wie erwartet?
Er ist so inkompetent, wie ich es erwartet habe. In einer Hinsicht hat er meine Erwartungen sogar übertroffen: Er betreibt nicht nur eine ignorante Politik, sondern ist zusätzlich unfähig, jemanden einzustellen, der ihm sagt, wie man gute Politik macht. Er hat Angst, sich mit kompetenten Leuten zu umgeben, die dann Aufmerksamkeit auf sich ziehen könnten. Denn er ist so narzisstisch. Doch wir sollten froh sein, einen ineffektiven Präsidenten zu haben, der unfähig ist, die Welt mit Krieg zu überziehen - so wie es Clinton möglicherweise getan hätte.
Geht es vor allem ums Militärische? Was ist mit der Weltwirtschaft?
Trump ist nicht gut für die Weltwirtschaft, aber er ist weniger schlecht für sie, als es Clinton gewesen wäre. Nichts, was er tut, ist gut für die Weltwirtschaft, vor allem dann, wenn er sagt, dass die USA bei jedem Geschäft der Gewinner sein müssen und andere Länder die Verlierer. Doch in diesem Stil hat er sein Geld verdient - und indem er Vereinbarungen gebrochen hat, ohne bestraft zu werden. So macht Amerika nun seine Außenpolitik.
Vita
Michael Hudson ist ein US-amerikanischer Ökonom. Der 78-Jährige ist Professor an der Universität von Missouri in Kansas City. Nach seinem Studium arbeitete er als Analyst für die Chase Manhattan Bank. In den 80er- und 90er- Jahren war er wirtschaftlicher Berater für mehrere Regierungen. Hudson kritisiert das heutige Finanzsystem und die überbordende Verschuldung.
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Bildquellen: Annette Hauschild/Ostkreuz