Euro am Sonntag-Interview

Philosoph Armstrong: Glück wird überstrapaziert

aktualisiert 30.07.13 21:51 Uhr

Der britische Philosoph John Armstrong erklärt, wie man gelassener mit Geld umgeht, warum das so schwierig ist und was wir in dieser Sache von Goethe lernen können.

von Martin Blümel, Euro am Sonntag

Ein sonniger Tag in Berlin, dazu ein lauschiges Plätzchen im Café Einstein, Unter den Linden. John Armstrong ist von Kreuzberg herspaziert, will weiter zur Alten Nationalgalerie. Weil Apfelstrudel und Bircher Müsli aber richtig gut schmecken, bleibt er länger als geplant und wird nicht müde, über das Thema Geld zu sprechen.

€uro am Sonntag: Ist Geld nicht ein etwas zu profanes Thema für einen Philosophen?
John Armstrong:
Das sehe ich ganz anders. Die Philosophie sollte sich um Themen kümmern, die von Bedeutung sind. Und Geld ist überaus von Bedeutung. Es gibt sicher diese Vorstellung, dass Intellektuelle irgendwie losgelöst sind vom Weltgeschehen. Aber ist das denn wirklich so? Ich glaube nicht. Geld ist eins der Kernthemen des Lebens, von so großer Bedeutung wie Fragen zu unserer Identität, zu Beziehungen oder zur Gesundheit. Nicht umsonst sorgen wir uns doch so sehr um Geld.

Seit wann kümmert sich die Philosophie denn um dieses Thema?
Das fängt schon bei Aristoteles an, mit seiner Idee vom Geld als Mittel zum Zweck. Dieser Gedanke ist ähnlich wichtig für die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft wie die Erfindung des Rads.

In Zeiten von Hochfrequenzhandel an der Börse und Derivaten, die kaum ein Mensch versteht, scheint diese Idee aber antiquiert.
Nein, nein. Das ist wie bei Newtons Gesetzen zur Mechanik. Solche Regeln haben Bestand, die sind niemals veraltet. Aristoteles’ Idee hilft uns dabei, Geld richtig zu verstehen, zu erkennen, dass Geld für etwas anderes steht. Das Problem ist jedoch, dass der Mensch dazu neigt, diese Grundregel zu vergessen. Geld wird stattdessen oft zum Selbstzweck. Man will mehr und mehr davon, ohne aber zu wissen, wofür.

Sind Sie da auch gefährdet?
Mit Denkfehlern plagen wir uns ja alle herum. Ich habe immer wieder die zwanghafte Vorstellung, dass Geld ein Synonym für Erfolg ist. Ich weiß, dass das Unsinn ist, muss mir das aber trotzdem immer wieder in Erinnerung rufen.

Wie steht es mit Reichtum als ­Synonym für Glück?
Wir wollen alle ein gutes Leben führen, das ist der Kern unseres Daseins. Der Begriff Glück wird in diesem Zusammenhang aber reichlich überstrapaziert, zudem greift er viel zu kurz. Es geht vielmehr um Selbstentfaltung. Und Geld ist dafür eine Zutat, eine Ressource. Und mit steigendem Vermögen nehmen schlicht die Möglichkeiten zu.

Das passt ja gar nicht zum Zeitgeist, zum Mantra des Verzichts.
Die Idee, ein besseres Leben zu führen, wenn man alles loswird, ist eine tief verwurzelte Fantasie. In der Geschichte gibt es zahlreiche Helden, die Geld abgelehnt haben oder wenig davon brauchten, etwa Franz von Assisi oder der römische General Cincinnatus, der seine Felder selbst pflügte, oder auch der englische Dichter Samuel Johnson, der sich in seinen Versen wundert, wie viel Zeit und Energie die Menschen für Gold und Diamanten aufwenden. In hektischen Zeiten ist man versucht, den armen Lebensstil dieser Helden als wahren Weg zum Glück zu deuten. Man vergisst dabei aber, dass diese Menschen Ausnahmeerscheinungen sind. Für einen solchen Lebensweg braucht es enorme innere Stärke und Hingabe.

Was raten Sie dann Nichthelden?
Es geht darum, den individuellen Lebensstil und das Einkommen in Einklang zu bringen. Wer sich dabei aber nur auf den einen Aspekt Geld konzentriert, dessen Geist wird keine Ruhe finden. Es kann nicht der alleinige Lebenszweck sein, viel Geld zu verdienen. Es ist dabei wichtig zu verstehen, dass Geldsorgen, die viele von uns plagen, oft nur ein Stellvertreter für die eigentliche Sorge sind, nämlich einen Lebenssinn für sich zu finden, sich zu entfalten, seine Möglichkeiten zu nutzen.

Dann sollte man also auch beim Sparen einen Zweck haben?
Ja, und das ist eines der kompliziertesten Themen im Leben überhaupt: Was soll man in der Gegenwart für die Zukunft tun? Es liegt in der menschlichen Natur, das Altern zu verdrängen, und daher verdrängt man auch die Notwendigkeit der Vorsorge. Das ist ein gesellschaft­liches, ein kulturelles Problem. Man drückt sich gern vor diesem Thema.

Für viele ist es vermutlich peinlich, über Geldsorgen zu reden.
Richtig. Wer spricht beispielsweise offen über seinen Gehaltsscheck. Das ist verpönt. Dabei ist es sinnvoll, Menschen um sich zu haben, die sich damit auskennen. So ein Geld-Freund ist hilfreich, um realistisch zu bleiben, langfristig zu denken und zuversichtlich zu sein. Viele sind aber nahezu panisch, wenn es um Geldangelegenheiten geht. Auch durch die Krise hat Geld für viele ­etwas Mysteriöses an sich. Geld und Kontrollverlust sind zuletzt ja beinahe zu einem Synonym geworden.

Misst man Geld also eher zu viel Bedeutung zu?
Geld ist bedeutend! Dinge wie Neid, Unsicherheit oder sogar Beziehungsprobleme haben oft einen Geldbezug. Wenn ich mich mit meiner Frau über irgendetwas gestritten habe, ertappe ich mich oft bei dem Gedanken, dass alles wieder gut wäre, wenn wir doch nur mehr Geld zur Verfügung hätten. Das mag seltsam klingen, ist es aber nicht, weil Fragen, wie sehr man den anderen liebt, die Familie liebt, wie sehr man sich um die Zukunft der Familie sorgt, einfach auch einen pekuniären Aspekt haben. Das war in den Romanen von Jane Austen so und gilt heute im Grund immer noch. Gleichzeitig ist Geld in diesem Kontext aber auch ein Stellvertreter für Dinge, die vielleicht vernachlässigt wurden, etwa Unterhaltungen oder den Kindern beim Lernen zu helfen. Weil wir da aber gern etwas nachlässig sind, benutzen wir Geld als Ersatz. Das ist nicht immer hilfreich.

Vermutlich liegt das daran, dass Geld eine tolle Recheneinheit ist.
Ja, und darum gleicht man sich ja auch so gern mit anderen ab. Und schon hat man wieder Sorgen, wenn andere etwa mehr verdienen. Dabei ist das Unsinn. Warum sollten Leute, die man vielleicht nicht mal besonders gut kennt, den Maßstab für das eigene Leben setzen? Wenn wir solche Denkmuster und Denkfehler an uns erkennen, müssen wir daran arbeiten, sie wieder loszuwerden.

Sie haben gesagt, Geld sei ein Mittel zur Selbstentfaltung. Wie wäre es damit, die Selbstentfaltung einige Jahre zurückzustellen, sich allein auf das Geldverdienen zu konzen­trieren, um dann später viel mehr Möglichkeiten zu haben?
Das klingt ganz vielversprechend. Es wäre so eine Art Investition in die Zukunft, wie etwa ein Studium. Es hat auch etwas Heroisches, sich so zurückzunehmen. Aber es birgt die Gefahr, dass das gute Leben zu lange aufgeschoben wird. Einen vorher festgelegten Zeitplan konsequent einzuhalten ist schwer, wenn man sich einmal so vehement auf einen Lebensstil festgelegt hat. Wahrscheinlicher ist, dass man den eingeschlagenen Weg beibehält und sein Leben damit im wahrsten Sinne des Wortes aufbraucht. Vermutlich verliert man auch das Gespür für die anderen Qualitäten des Lebens. Wie soll das gehen, erst dann Interesse für Bücher und Kunst zu entwickeln, wenn man reich geworden ist?

Ist es nicht trotzdem verlockend?
Natürlich. Gerade weil der eine oder andere Erfolg damit hat. Da ertappt man sich dann bei dem Gedanken: Ach, hätte ich doch auch dieses oder jenes vor zehn Jahren getan, etwa in die X-Aktie investiert, dann wäre ich jetzt reich. Entgangenen Chancen nachzutrauern ist ein schmerzlicher menschlicher Wesenszug, dem man kaum entgehen kann. So etwas verfolgt jeden, egal wie aufgeklärt.

Das tröstet nicht wirklich ...
Wir müssen akzeptieren, dass Geld mit einem gewissen Maß an Schmerz und Traurigkeit verbunden ist. Sonst verlieren wir den Verstand.

Wie investieren Sie Ihr Geld?
Ich mache das nicht selbst. Ich bin von Natur aus zu optimistisch, um ein guter Investor zu sein. Ich habe es mal mit Oldtimern probiert und mit Kunst. Aber ich habe gemerkt, dass ich bei diesen Dingen, die ich schätze, schnell euphorisch werde und dann Preise zahle, die weit über dem Marktniveau liegen. Das ist eine Charaktereigenschaft, die nicht zu einem Investor passt. Jeder, der investiert, sollte sich daher zunächst über sein Temperament im Klaren sein. Viele sind berauscht vom Geld und von der Börse, was zu schlechten Entscheidungen führt. Geldanlegen ist auch eine Charakterfrage.

André Kostolany hat einmal gesagt: Hast du wenig Geld, dann musst du spekulieren, hast du viel Geld, dann lass es lieber. Eine gute Börsenphilosophie?
Das gefällt mir. Er bringt den Unterschied in der Einstellung zum Geldverdienen und zum Gelderhalt in einem Leitsatz zusammen. Er verlangt dabei eine komplette Wandlung des Charakters. Um zu verdienen, muss man Risiken eingehen, das ist ein Naturgesetz. Um zu bewahren, muss man Risiko vermeiden. Eine dramatische Wandlung.

Wie ordnen Sie das philantropische Engagement von Leuten wie George Soros oder Bill Gates ein?
Schwierig. Eigentlich sollte das mit Steuereinnahmen durch den Staat organisiert werden. Auf der anderen Seite ist es ein Freiheitsrecht, so viel zu spenden, wie man will. Wir haben Glück, dass sich Gates und Soros um vernünftige Projekte kümmern und nicht schreckliche Dinge anstoßen — soweit wir das überhaupt wissen! Vielleicht braucht es eine spezielle Gesetzgebung hierfür. In der Antike wurden Menschen bei Missbrauch ihres Reichtums verbannt.

Von wem können wir denn einen guten Umgang mit Geld lernen?
Von Goethe. Er war ein Mann von so vielen Qualitäten: Dichter, Denker, Politiker — und ein Geldversteher mit Liebe zur Buchhaltung. Ein absoluter Realist, lernfähig und voll großer Zuversicht. Das gibt es selten, diese Kombination aus Kreativität, Lebenslust, Schaffenskraft und Sinn für ökonomische Realitäten. Vorbildlich. Einer wie Goethe stünde jeder Gesellschaft gut zu Gesicht.

Anleitung zur
Lebenskunst

John Armstrong (47) ist in ­Glasgow geboren und lebt – der Liebe wegen – in Australien. Dort arbeitet er als Berater des Vizekanzlers der Melbourne University. Parallel dazu hat er zahlreiche Bücher zu Themen aus den Bereichen Ästhetik, Kunst und Philosophie verfasst. Gemeinsam mit Alain de Botton, dem He­rausgeber der Ratgeber-Reihe „The School of Life“, publizierte er 2012 das Büchlein „How to Worry Less about ­Money“. Noch im ­selben Jahr erschien die Übersetzung „Wie man gelassen mit Geld umgeht – Kleine Philosophie der Lebenskunst“ im Kailash-Verlag (ISBN: 978-3-424-630619). Ganz besonders angetan ist der Philosoph von Johann Wolfgang von Goethe. „Ich versuche ihn in allen meinen Büchern und Texten unterzubringen“, gesteht er. Wer mehr über Goethes ­Einstellung zum Geld ­erfahren will, dem empfiehlt Armstrong wärmstens den ­Klassiker „Wilhelm Meisters ­Lehrjahre“.