Allianz-Chefanleger Lindner: "Das macht sonst niemand"
Der Mann, der 200 Millionen am Tag anlegen muss, erklärt im Interview, weshalb er auf Aktien setzt und warum er Lebensversicherungen für so lohnend wie noch nie hält.
von Martin Reim, Euro am Sonntag
Die Zahlen sind bemerkenswert. Andreas Lindner verantwortet Investments im Wert von knapp 300 Milliarden Euro, das ist mehr als die Wirtschaftsleistung Hessens und eines der größten Portfolios hierzulande. Jeden Tag wollen etwa 200 Millionen Euro neu angelegt sein. Mit solch immensen Summen hantiert der gebürtige Schwabe, weil er Anlagechef des Versicherers Allianz für Deutschland ist. Allein 250 Milliarden Euro entfallen auf die Lebensversicherungssparte, die mit ihren gut zwölf Millionen Verträgen mit Abstand den Markt anführt.
€uro am Sonntag: Herr Lindner, haben Sie in Ihrem Büro ein Terminal, um die aktuellen Kurse zu verfolgen?
Andreas Lindner: Nein. Als Langfrist-Investor, der mit seiner Strategie über Jahre und teilweise über Jahrzehnte vorausblickt, ist das für uns von geringerer Relevanz.
Aber dass es an den Weltbörsen seit Ende Januar kräftig nach unten ging, haben Sie mitbekommen?
Ich beobachte die Finanzmärkte durchaus, aber nicht auf quasi minütlicher Basis. Für uns ist es wichtig, die großen Trends richtig einzuschätzen - nicht, ob es bei Anleihen grade mal nach oben oder bei Aktien nach unten geht.
Ein Trend ist sicherlich, dass noch nie so viel Geld an den Finanzmärkten unterwegs war wie derzeit. Manche Beobachter sehen den jüngsten Minicrash als Vorboten, dass die größte Finanzblase aller Zeiten platzen könnte. Was halten Sie von solchen Einschätzungen?
Das Problem von Spekulationsblasen ist, dass man sie meist erst im Nachhinein erkennt. Aber in der Tat sind durch das Eingreifen der Zentralbanken die Preise am Anleihemarkt ein Stück weit verzerrt. Anleihen sind derzeit überbewertet …
… die Kurse sind also zu hoch und die Renditen zu niedrig. Lässt sich das beziffern?
Wir haben eine Schätzung vorgenommen, wie das Programm der Europäischen Zentralbank zum Ankauf von Anleihen wirkt. Demnach belief sich der renditesenkende Effekt auf die deutschen Langfristzinsen bisher auf eine Größenordnung von 0,8 Prozentpunkten, bezogen auf zehnjährige Bundesanleihen. Dort ist die Verzerrung am ausgeprägtesten, und sie ist erheblich, wenn Sie die aktuelle Rendite von rund 0,6 Prozent betrachten.
Wo sehen Sie die Rendite in zwölf bis 18 Monaten?
Wir werden wahrscheinlich eine Eins vor dem Komma sehen. Das gab es immerhin seit dem Jahr 2014 nicht mehr. Aber wenn man sich die relativ niedrigen Inflationszahlen in Euroland ansieht, wird die EZB erst einmal keinen großen Handlungsspielraum haben, um ihre Geldpolitik zu straffen.
Es ist derzeit viel die Rede von einer Zinswende. Zu Recht?
Ich sehe keine Zinswende - zumindest keine, die diesen Namen verdient. Die Zinsen steigen zwar, aber in eher geringem Umfang. Wir erwarten auf Sicht von zwei bis drei Jahren lediglich einen Effekt durch eine gewisse Normalisierung der EZB-Politik. Sprich: Sie wird ihr Ankaufprogramm zurückfahren und vielleicht eine Leitzinsanhebung ins Auge fassen. Das wird das Zinsniveau etwas anheben. Auf lange Sicht werden wir aber Zinssätze jenseits von drei Prozent nicht mehr sehen.
Weshalb?
Das hat strukturelle Gründe. Die Wachstumsraten rund um den Globus sind moderater als noch vor zehn oder 15 Jahren. Und die Inflation ist nach wie vor sehr gering, teilweise fallen die Preise sogar. Die langfristigen Zinsen hängen, solange die Zentralbanken nicht eingreifen, im Wesentlichen von den Erwartungen an Wachstum und Inflation ab. Das bedeutet: Auch wenn sich die Zentralbanken künftig zurückhalten, wird das Zinsniveau auf lange Sicht eher niedrig bleiben.
Sollte die EZB ihren Politikwechsel schneller einleiten, als es zurzeit aussieht?
Aus unserer Sicht könnte sie ihre extrem lockere Geldpolitik früher beenden. Wir haben in Deutschland ein sehr hohes Wirtschaftswachstum und niedrige Arbeitslosigkeit, da ist die jetzige Politik unpassend. Allerdings gibt es in einigen europäischen Ländern - wie Griechenland, Italien und Spanien - viele Arbeitslose. Und die EZB muss allen gerecht werden.
Sie zeigen mehr Verständnis für EZB-Chef Mario Draghi, als es manch andere in Ihrer Branche tun. Für diese ist Draghi quasi der Todfeind der deutschen Lebensversicherungskunden.
Sicher ist: Die EZB-Politik geht langfristig zulasten aller Sparer, auch der Altersvorsorgesparer. Die EZB hat es aber auch geschafft, auf dem Höhepunkt der Eurokrise, als große Unruhe da war, die Lage zu beruhigen und der Politik Zeit zu erkaufen, um die notwendigen Anpassungen vorzunehmen.
Hat die Politik die Zeit genutzt?
Bedingt. In einigen Ländern wie Spanien und Portugal gab es Fortschritte, aber es hätte insgesamt mehr passieren müssen.
Bei den Wahlen in Italien haben Europa-Skeptiker mehr als 50 Prozent geholt. Macht Ihnen das Ergebnis Sorgen?
Mit Blick auf die Kapitalmärkte, nein.
Haben Sie italienische Staatsanleihen im Portfolio?
Wir haben rund ein Prozent in italienische Staatsanleihen investiert. Anpassungsbedarf sehe ich hier aktuell keinen.
Der Großteil Ihres Portfolios muss in verzinslichen Investments stecken, um kontinuierliche Auszahlungen zu garantieren. Wie reagieren Sie auf die anhaltende Renditeschwäche bei Euro-Anleihen?
Ganz einfach: Wir schauen uns nach Alternativen außerhalb der Eurozone um. In den USA sind wir verstärkt in Unternehmensanleihen gegangen, und in Asien sowohl in Staats- als auch Unternehmensanleihen. Zudem haben wir unser Engagement bei nicht handelbaren Anleihen deutlich ausgeweitet. Hier geht es um die Finanzierung von Infrastruktur und Gewerbeimmobilien. Da sind Zinsaufschläge von zwei bis drei Prozentpunkten drin.
Infrastruktur ist in Deutschland ein Reizthema. Die Allianz und die gesamte Versicherungsbranche fordern immer wieder, dass die Politik offener für solche Investments wird - bislang vergeblich. Meinen Sie, das wird sich bei der Neuauflage der Großen Koalition ändern?
Man soll die Hoffnung nie aufgeben. Wir könnten helfen, den Investitionsstau auch bei Autobahnen oder Datennetzen zu beheben. Eine private Finanzierung von Infrastruktur kann nämlich auch für die öffentliche Hand vorteilhaft sein, wenn sie Risiken abgeben kann. Aber bislang wird unser Angebot nicht angenommen.
Wo wollen Sie noch ausbauen?
Bei Immobilien. Derzeit liegt der Anteil an unseren gesamten Investments bei knapp sechs Prozent. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass wir im Lauf mehrerer Jahre hier in einen zweistelligen Prozentbereich hineinlaufen.
Ist Ihnen das nicht zu gefährlich? Sogar die Deutsche Bundesbank warnt vor einer Spekulationsblase bei Immobilien.
Bei deutschen Wohnimmobilien, vor allem in den Metropolen, ist das Preisniveau nicht mehr attraktiv.
Da brauchen Sie große Fantasie, um die Steigerungen zu rechtfertigen, wenn man sich die zu erwartenden Mietrenditen betrachtet. Wir haben bereits vor Jahren unsere Bestände hier verkauft, bei kleinteiligen Gewerbeimmobilien sieht es ähnlich aus. Hingegen sind bei gewerblichen Großprojekten die Preisverzerrungen wesentlich geringer, weil die Nachfrageseite nicht so stark ist.
Weshalb?
Es gibt nicht viele Investoren, die bei Finanzierungen von 200 bis 500 Millionen Euro mit von der Partie sind. Genau hier setzt unsere Strategie an, und wir sind in diesem Bereich weltweit dabei.
Und was halten Sie von Aktien?
Aktien gehören derzeit mit zu den attraktivsten Anlageklassen. Wir sehen die jüngste Korrektur an den Märkten durchaus positiv, weshalb wir die Gelegenheit zum Nachkaufen genutzt haben, vor allem in Asien. 2017 haben sich die US-Aktien wie an der Schnur gezogen nach oben entwickelt. Es ist gut, dass die Investoren mal wieder gesehen haben, dass Aktieninvestments mit Schwankungen verbunden sind.
Haben Sie hier eine Zielmarke, was die Aktienquote betrifft?
Nein, aber wir werden den Anteil von derzeit gut zehn Prozent sicherlich strukturell ausbauen. Wir glauben, dass wir mit Aktien langfristig Überrenditen realisieren können. Erstens agieren die Unternehmen extrem erfolgreich, wobei die deutschen sehr weit vorn sind. Zweitens sehen wir zumindest für die nächsten zwölf bis 18 Monate global eine gute konjunkturelle Entwicklung, und drittens sind die Dividendenrenditen attraktiv.
Welche Aktien gefallen Ihnen derzeit denn konkret?
Die Auswahl von Einzelwerten überlasse ich unseren Assetmanagern. Wir sehen derzeit die größten Potenziale in der Eurozone und teils auch in Schwellenländern. Was die USA betrifft, sind wir ein bisschen vorsichtiger, denn hier sind die Bewertungen schon relativ hoch.
Wirkt die Politik von Donald Trump positiv oder negativ?
Die jüngst bekannt gegebene Steuerreform kurbelt die Konjunktur an. Aber inländische Investoren werden bei der Reform ganz klar bevorzugt, was uns dazu bringen könnte, in manchen Bereichen sogar weniger zu investieren.
Nun zu einem Thema, das die Kunden der Allianz Leben direkt betrifft - die Überschussbeteiligung. Sie ist jahrelang geschrumpft, 2018 bleibt sie im Vergleich zum Vorjahr konstant. Wie haben Sie das geschafft?
Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, nun können unsere Kunden die Früchte jahrelanger Anstrengungen ernten. Zum einen haben wir bereits vor Jahren begonnen, neue Produkte anzubieten, die uns mehr Freiheit in der Kapitalanlage ermöglichen - und damit höhere Renditen für die Kunden. Zudem sind wir extrem kosteneffizient. Drittens haben wir einerseits unser Engagement in alternativen Anlagen, Aktien und Immobilien stark ausgebaut, und andererseits Euro-Anleihen kontinuierlich abgebaut. So konnten wir den erneuten Zinsrückgang kompensieren, durch stabile, ertragsstarke Assets.
Ist nun der Tiefpunkt bei der Überschussbeteiligung erreicht und es geht endlich wieder aufwärts?
Wie Sie wissen, wird die Überschussbeteiligung immer am Jahresende festgelegt. Außerdem: Neue Kunden bekommen für das Produkt "Perspektive" für 2017 und 2018 eine Gesamtverzinsung von 3,7 Prozent. Das liegt um rund drei Prozentpunkte über der Rendite zehnjähriger Bundesanleihen - noch nie war die Differenz so groß.
Einspruch! Der Wert führt in die Irre. Hier sind nicht die Kosten eingerechnet, die auf den Kunden entfallen. Und ein Gutteil der Verzinsung kann in schlechten Zeiten gestrichen werden.
Dennoch müssen Sie sehen, wie viel Sie im Vergleich zu anderen, ähnlich sicheren Vorsorgeformen bekommen. Schauen Sie mal bei einer Bank nach, wie gering hier die Zinsen sind. Und wir Versicherer zahlen garantiert bis ans Lebensende, das macht sonst niemand. Ich halte Lebensversicherungen nach wie vor für die beste Form der Altersvorsorge. Technisch gesagt: Wir generieren aus hochvolatilen Investments einen stetigen Renditestrom. Das soll uns erst mal jemand nachmachen.
Gleichwohl ist das Image der Lebensversicherung in der Öffentlichkeit schlecht. Was kann Ihre Branche dagegen tun?
Wir waren lange nicht gut, was Transparenz angeht. Unser Produkt ist erklärungsbedürftig. Es gilt, Reputation wiederherzustellen, entsprechend sind wir auch Vorreiter bezüglich der Kostentransparenz. Ich sage ganz klar: Es gibt - wie anderswo auch - schlechtere und bessere Anbieter. Kunden sollten prüfen, welcher Wettbewerber langfristig die entsprechenden Renditeerwartungen erfüllen kann.
Meinen Sie damit, dass Branchenakteure zusammenbrechen könnten? Diese These wird ja immer wieder aufgestellt.
Nein. Es gibt entsprechende Sicherungsmechanismen, damit die Ansprüche der Kunden jederzeit voll erfüllt werden können.
Sie beschäftigen sich seit Jahrzehnten beruflich mit Geldanlage. Was haben Sie für Ihre privaten Investments gelernt?
Man muss sich zunächst über seine Ziele im Klaren sein. Es ist ein Unterschied, ob ich für ein Auto spare, ein Haus oder für die Altersvorsorge. Auch die Lebensumstände sind wichtig. Kann ich in die Lage kommen, dass ich kurzfristig Geld brauche? Wie ausgeprägt ist meine Risikoneigung? Zudem ist es für Privatanleger sehr schwer, sich aus der immensen Vielfalt von Finanzprodukten das richtige herauszusuchen. Wenn es um die Altersvorsorge geht, kann ich Ihnen nur eine Lebensversicherung empfehlen.
Haben Sie auch eine?
Ja - sogar fünf, natürlich alle bei der Allianz.
Vita
Eigengewächs
Andreas Lindner ist gebürtiger Böblinger und lässt sich seine schwäbische Herkunft ein wenig anhören. Er ist ein Eigengewächs der Allianz Lebensversicherung in Stuttgart. Hier fing der heute 46-Jährige nach der Zeit an der Tübinger Universität im Rechnungswesen an. Früh wechselte er dann in die Investmentsparte der Assekuranz. Heute ist der Diplom-Betriebswirt der Chefstratege für die Kapitalanlagen der Allianz Deutschland. Spätestens seit einem Gastsemester im schwedischen Lund ist er Skandinavien eng verbunden. So ist es kein Wunder, dass Lindner derzeit den neuesten Krimi des norwegischen Erfolgsautors Jo Nesbø ("Durst") liest. Der passionierte Tennisspieler ist verheiratet und hat drei Kinder.
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