Gerald Kassner: Langfristig zählen Werte
Vor einigen Wochen feierte Deutschlands sechstgrößter Flugreiseveranstalter, Schauinsland-Reisen, den 100. Geburtstag. Das Unternehmen ist in dritter Generation in Familienhand und wächst immer weiter.
von Frank-B. Werner, Euro am Sonntag
Er ist locker und entspannt. Und er ist witzig und ernsthaft zugleich - so, wie man sich jemanden vorstellt, dem eine Milliardenfirma gehört, die gerade ihr 100-jähriges Jubiläum feiert. 1989 ist Gerald Kassner, damals gerade 25 Jahre alt, in die vom Großvater gegründete Firma eingestiegen. 1997 hat er die Geschäftsführung von seiner Mutter Doris übernommen, die bis vor wenigen Jahren noch im Unternehmen präsent war.
Kassner öffnete den auf Busreisen spezialisierten Veranstalter für den Flugtourismus - "das war häufig nicht nur bequemer, sondern auch billiger als die Busreise, vom Glamourfaktor ganz abgesehen". Er machte Schauinsland- Reisen damit hinter TUI, Thomas Cook, DER Touristik, FTI, AIDA Cruises und Alltours zur Nummer 7 im deutschen Reiseveranstaltermarkt. Im Jubiläumsjahr buchten rund 1,6 Millionen Urlauber ihre Ferienreise über Kassners Unternehmen.
Der Markt ist zwar hart umkämpft, aber durchaus lukrativ. Insgesamt setzte die Branche im vergangenen Jahr 33,7 Milliarden Euro um. Fast 70 Millionen Reisen buchten die Deutschen 2017, 72 Prozent verbringen die "schönsten Wochen des Jahres" im Ausland; dort sind die beliebtesten Ziele Spanien (13,1 Prozent), Italien (8,3 Prozent), die Türkei (5,7 Prozent), Österreich (5,0 Prozent), Griechenland (3,8 Prozent) und Kroatien (3,3 Prozent). Kassners Schauinsland-Reisen mischt genau in diesen Regionen mit, gilt daneben als führend bei Kreuzfahrten.
€uro am Sonntag: Im Fernsehen werden wir von der Werbung vieler internationaler Buchungsportale überflutet. Wie erleben Sie als Veranstalter den digitalen Wandel?
Gerald Kassner: Wir verkaufen ja nicht ein Hotel in Deutschland oder einen Nur-Flug - das machen viele Menschen heute wohl tatsächlich oft direkt oder im Internet -, sondern wir verkaufen komplette Reisen. Da beobachten wir, dass die Leute heute zwar viel besser informiert sind, gleichwohl aber immer noch gern im Reisebüro buchen. Das sieht man auch daran, dass das Reisebürosterben schon vor einigen Jahren zum Erliegen gekommen ist. Im Reisebüro gibt es nicht anonyme Bewertungen, sondern eine persönliche Empfehlung durch einen Menschen, bei dem man sich hinterher auch beschweren kann, falls es doch nicht so gut war. Und vor allem: Man hat einen Ansprechpartner, der sich kümmert, wenn zwischendrin etwas schiefgeht. Wir sehen das bei unseren Kunden: 25 Prozent von ihnen buchen erneut eine Reise bei uns. Das liegt an der Zufriedenheit.
Sie glauben also, dass Online auch in Zukunft keine große Rolle spielen wird.
Ich will da nicht missverstanden werden. Die Leute informieren sich viel mehr als früher über das Internet und buchen dann trotzdem im Reisebüro. Aktuell sehen wir im Bereich der Frühbucher auch einen Anstieg der Onlinebuchungen. Aber insgesamt ist es immer noch so, dass etwa drei Viertel aller Pauschalreisen in einem der rund 10.000 deutschen Reisebüros gekauft werden. Und ich glaube, dass Reisebüros wichtig bleiben. Wir werden die Zahl unserer eigenen Reisebüros deshalb mittelfristig von 40 auf 100 erhöhen.
Wie differenzieren Sie sich von den anderen großen Veranstaltern?
Wir sind groß, aber mit mittelständischer Prägung. Wir kümmern uns um unsere Partner, bei denen wir Leistungen einkaufen, genauso wie um unsere Kunden, die bei uns ihre Reisen buchen.
Was bedeutet das?
Schauen wir auf die Kunden. Als nach der Air-Berlin-Pleite viele unserer Kunden gestrandet waren, blieb ein Großteil unserer 400 Mitarbeiter am Wochenende im Büro und versuchte, den Kunden zu helfen, mit Unterstützung vor Ort und möglichst schnellen Umbuchungen. Wir haben ein tolles Team.
Und offensichtlich einen kooperativen Betriebsrat.
Wir haben gar keinen Betriebsrat.
Dass es so etwas bei Ihrer Betriebsgröße noch gibt ...
... überrascht mich nicht, weil wir ganz ohne Betriebsrat - oder vielleicht gerade deshalb - viel für unsere Mitarbeiter tun. 2014 ermittelte eine unabhängige Fachumfrage, dass Schauinsland- Reisen das beste Betriebsklima hat und seinen Mitarbeitern die beste Work-Life-Balance der Reisebranche bietet. Daran haben wir weiter gearbeitet und mit unserem neuen Campus, den wir Anfang des Jahres bezogen haben, noch einmal einen Riesenschritt nach vorn gemacht. Moderne Büros, eine tolle Kantine. Wir tun das gern, aber wir müssen das auch tun, denn wir haben viele Mitbewerber. Wir sehen uns deshalb in der Pflicht, unseren Mitarbeitern ein angenehmes Arbeitsumfeld zu bieten. Sonst laufen sie uns weg. Im Übrigen kann jeder Mitarbeiter, der ein Anliegen hat, zu mir kommen. Meine Tür steht immer offen.
Zurück zum Kümmern. Wie sieht das auf der Einkaufsseite aus?
Das Touristikgeschäft ist ein Geschäft von Menschen für Menschen. Und es ist, weil die Vorlieben unserer gemeinsamen Kunden sehr wechselhaft sind, ein volatiles Geschäft. Nehmen Sie die Türkei. Die hat noch vor wenigen Jahren geboomt, dann brach das Geschäft ein. In diesem Jahr läuft es wieder viel besser als prognostiziert. In der langen Frist zählen dann Werte wie Treue, Verlässlichkeit, Erreichbarkeit und Schnelligkeit. Die müssen Sie leben, und das wird honoriert. Sie müssen Partnerschaften auch im Volumen respektieren. Das gilt nicht nur für unsere Hotelpartner, sondern auch für die Zusammenarbeit mit den anderen deutschen Veranstaltern. Insbesondere bei unserer eigenen Airline Sundair arbeiten wir eng mit anderen Reiseveranstaltern zusammen, um die Auslastung hoch zu halten und Nischen im Flugplan zu schließen. Das funktioniert auf lange Sicht nur, wenn man fair miteinander umgeht.
Haben Sie sich deshalb an einer Fluggesellschaft beteiligt?
Die Idee war zunächst sicher, bei der Grundlast etwas unabhängiger zu sein. Der Zugriff auf eigene Flugkapazität hat uns dann aber geholfen, die Lücken nach der Air-Berlin-Pleite schneller zu schließen. Unser Fifty-fifty-Partner bei Sundair, an der wir seit Herbst 2016 beteiligt sind, Marcos Rossello, kommt aus der Luftfahrtbranche. Das ist kein Finanzinvestor, wie das sonst im Luftfahrtgeschäft häufig vorkommt. Der kennt sich richtig aus. Wir haben jetzt vier Maschinen, vielleicht erweitern wir die Flotte im kommenden Jahr auf sechs; aber wir wollen natürlich nicht das Risiko nehmen, Überkapazitäten aufzubauen. Das kann dann schnell sehr viel Geld kosten.
Wie kann man sich heute sonst noch im Wettbewerb differenzieren?
Wir haben die besten Hotels und die schönsten Liegen am Strand (lacht). Im Ernst, wir investieren viel in eigene Hotels und sichern uns Exklusivkapazitäten. So haben wir zum Beispiel auf Fuerteventura 1.000 Betten exklusiv in der Vermarktung und vor Kurzem ein 400-Zimmer-Haus erworben. Insgesamt vermarkten wir 200 Hotels exklusiv. Bei den eigenen können wir unsere Standards ganz besonders gut umsetzen, deshalb werden wir unser eigenes Hotelportfolio weiter ausbauen. Und dann brauchen Sie gute Leute vor Ort. Das habe ich von meiner Mutter gelernt. Die Reiseleitung ist entscheidend. Selbst wenn es einmal kleine Probleme gibt. Wenn ein freundlicher Mitarbeiter die schnell fixt, leidet die Kundenzufriedenheit nicht, wird manchmal sogar noch gestärkt, weil die Leute merken, dass man sie ernst nimmt und sich um sie kümmert. Der Rest sind eigentlich Selbstverständlichkeiten: angenehme Flugzeiten und sowohl im Online- als auch im Reisebürogeschäft eine hohe Datenverfügbarkeit.
Welches sind die größten Risiken in Ihrem Geschäft?
Ganz klar politische Unwägbarkeiten in den Zielländern. Kommt es irgendwo zu Anschlägen oder Tumulten auf den Straßen, meiden die Leute diese Destination. Eine Konjunkturschwäche merken wir natürlich auch, aber nicht so fundamental. Die Leute fahren dann elf Tage weg statt zwei Wochen oder buchen ein Hotel mit einem Stern weniger. Aber Urlaub machen sie. Nicht direkt ein Risiko, aber eine stetig wachsende Erschwernis sind die Bürokratie und die steuerliche Belastung wie zum Beispiel die Hinzurechnungsbesteuerung auf unsere im Ausland geschaffenen Hotelkapazitäten bei der deutschen Gewerbesteuer. Da führen wir jetzt auch einen Prozess und haben vor dem Finanzgericht Düsseldorf gewonnen. Ein großes Risiko ist sicher noch alles, was Branchenfremde noch vorhaben und für uns bislang nicht sichtbar ist - also was haben Google und Amazon noch vor.
Und welche Chancen sehen Sie für Ihr Unternehmen in der Zukunft?
Da gibt es mehrere Felder. Zum einen hilft uns die Regulierung indirekt auch einmal, weil die seit 1. Juli geltende EU-Pauschalreise-Richtlinie die Veranstalterhaftung zementiert hat. Damit ist eine Pauschalreise wesentlich sicherer als eine selbst zusammengestellte. Es sollte also einen Trend zur Pauschalreise geben - umso stärker, je individueller der Kunde sie konfigurieren kann. Dann wird sich das Incoming-Geschäft als Dienstleistung auch für andere Veranstalter weiter gut entwickeln. Und schließlich wird sich trotz aller Umweltdiskussionen der Kreuzfahrtmarkt weiterentwickeln.
Nach eigenen Hotels und Flugzeugen kommt dann bald noch das eigene Schiff?
Sicher nicht. Wir kooperieren eng mit AIDA und Mein Schiff und bieten für unsere Gäste die Kombination mit Vor- und Nachurlaub an. Da sind wir führend, und das geht schon stark in Richtung Individualisierung der Pauschalreise.
Noch ein ganz anderes Thema. Warum sponsert Schauinsland-Reisen Fußballklubs?
Fußball ist der Sport unserer Kunden. Mit dem Trikot-Sponsoring bei Preußen Münster und dem Sponsoring des MSV Duisburg, der in der Schauinsland-Reisen-Arena spielt, erreichen wir hohe Visibilität. Außerdem sind wir ein Duisburger Unternehmen. Da haben wir auch eine gewisse Verpflichtung.
Vita:
Von Hünxe in die Welt
Gerald Kassner (55), studierter Betriebswirt, trat 1989 in dritter Generation in das von Großvater Erich Kassner in Duisburg gegründete Unternehmen ein und machte aus dem traditionellen Anbieter für Busreisen in einem Vierteljahrhundert Deutschlands sechstgrößten Flugreiseveranstalter. Kassner ist begeisterter Tennisspieler und wohnt in Hünxe bei Wesel.
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Bildquellen: Severine Groneberg/Schauinsland-Reisen GmbH