Flüchtlingskrise: Neues Zuhause gesucht
Zigtausende Asylsuchende leben in Notunterkünften, doch nicht auf Dauer. Wie die Kommunen Wohnraum suchen und welche Rechte Eigentümer haben.
von Markus Hinterberger, Euro am Sonntag
Derzeit teilen sie sich zwei Feldbetten in einer ehemaligen Druckerei im hessischen Neu-Isenburg. Desir M. und seine beiden Söhne Muhammad und Mahmoud. Doch die drei sind glücklich. Anders als in ihrer syrischen Heimat oder auf dem Weg nach Deutschland sind sie in Sicherheit und haben gute Chancen auf Asyl. Aber deutschen Beamten bereiten Familien wie die von Desir M. einiges Kopfzerbrechen. Denn der Raum ist knapp. Nach offiziellen Schätzungen werden dieses Jahr bis zu 800.000 Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Die meisten davon sind Bürgerkriegsflüchtlinge vor allem aus Syrien. Bei ihnen ist der Fall klar: Sie dürfen in der Regel bleiben. Geht es um die Frage, wo sie wohnen sollen, herrscht allerdings viel Unklarheit. Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen, hat angekündigt, notfalls leer stehende Wohnungen und Büroräume zu beschlagnahmen, um Flüchtlinge einzuquartieren. Auch die Stadtoberen aus Dortmund und Gelsenkirchen sprechen von "Zwangseinquartierungen".
Unrealistische Drohkulisse
Markus Gildner, Projektentwickler bei der Initiative The Peoples Project, die günstigen Wohnraum schaffen will, hält das für unrealistisch. "Zwangsmaßnahmen ziehen nur lange Gerichtsprozesse nach sich", so Gildner. Zudem gilt in Deutschland in Wohngebieten die Vorgabe, dass die Gebietsprägung erhalten bleiben muss. Heißt: Wer ein Flüchtlingsheim in einem reinen Wohngebiet eröffnet, riskiert Klagen. Nach wie vor gibt es keine einheitliche Regelung, ob und ab wann ein Flüchtlingsheim als Wohnung oder als Anlage für soziale Zwecke gilt."Beschlagnahmungen sind das allerletzte behördliche Mittel", sagt Winfried Kluth, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Uni Halle-Wittenberg. Das Hauptproblem: Die Kommune, die den Wohnraum beschlagnahmt, muss beweisen können, dass es tatsächlich keine andere Form der Unterkunft gibt. "Das halte ich aus juristischer Sicht für sehr schwierig, und es ist im Falle von Flüchtlingen auch noch nie ausprobiert worden", meint Kluth. In Oberbayern, wo die meisten Flüchtlinge derzeit ankommen, lehnt die Bezirksregierung Zwangsmaßnahmen ab - auch wenn im Regierungsbezirk, vor allem in der Hauptstadt München, kaum Wohnraum leer steht. Auch Kündigungen von Mietern städtischer Wohnungen, um danach Flüchtlinge unterzubringen, wie im nordrhein-westfälischen Nieheim geschehen, soll es nicht geben.
Das deutsche Asylrecht sieht unterschiedliche Unterkunftsarten vor. Von der Erstaufnahme, nach der die Menschen zunächst auch in umgewidmeten Lagerhallen oder ehemaligen Kasernen unterkommen, geht es in Gemeinschaftsunterkünfte. Hier gibt es in der Regel keine Feldbetten mehr, sondern Stockbetten und kleinere Zimmer, in denen zumindest Familien unter sich sein können. Grundsätzlich sollen dort jedem Flüchtling sieben Quadratmeter zur Verfügung stehen, angesichts der vielen Neuankömmlinge darf es derzeit auch weniger Platz sein. Asylsuchende können aber auch in dezentralen Unterkünften, so heißen im Amtsdeutsch einzelne Wohnungen und kleinere Mehrfamilienhäuser, unterkommen.
Vor allem bei letzteren beiden sind die Behörden auf Hilfe angewiesen. "Wir sind gemeinsam mit den Regierungen ständig auf der Suche nach geeigneten Objekten", sagt Dieter Knauer, Geschäftsführer der Gesellschaft Immobilien in Bayern, welche die Anwesen des Freistaats verwaltet. Knauer und seine Mitarbeiter schließen nach den Vorgaben des Sozialministeriums und der Bezirksregierungen Mietverträge für die Unterkünfte ab.
Bürger, die leer stehende Wohnungen oder Gewerbeflächen Flüchtlingen zur Verfügung stellen wollen, können sich bei ihrer Stadtverwaltung oder ihrem Landratsamt melden. Hier wird meistens bereits schon bei einem Vorgespräch geklärt, ob sich die Immobilie eignet. So sollten Gemeinschaftsunterkünfte Platz für mindestens 50 Menschen bieten. Bei der Höhe der Miete gibt es aber Widersprüche. Einerseits heißt es aus dem bayerischen Sozialministerium, man müsste sparsam sein und würde sich an ortsüblichen Mieten orientieren, andererseits mehren sich Meldungen von Miethöhen, die eher aus dem Luxussegment bekannt sind.
In Kürze
Zwangseinquartierungen sind nicht verboten, sie sind aber bislang nur bei Wohnungskündigungen etwa von Sozialhilfeempfängern üblich. Im Fall von Flüchtlingen haben Rechtsexperten Bedenken.
An Flüchtlinge vermieten Wer eine leer stehende Immobilie seiner Gemeinde als Flüchtlingsunterkunft zur Verfügung stellen will, sollte Folgendes beachten: Wohnungen und Häuser sind nur für Asylanten geeignet, die Bleiberecht haben oder ziemlich sicher Bleiberecht haben werden. Eventuelle Umbauten, die gemeinsam mit dem zuständigen Sozialamt beschlossen wurden, werden vom Vermieter gezahlt. Mietwohnungen müssen umgewidmet werden, denn wer Asylsuchende beherbergt, gilt als Gewerbetreibender. Die Miete orientiert sich daran, was üblicherweise vor Ort gezahlt wird.
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