Eurozone in der Krise: Utopie und nackte Wirklichkeit

Auch 2015 prägte die Schuldenkrise die Stimmung in der Eurozone. Unsere Gastautoren - beide sind Mitglied im Aktionskreis Stabiles Geld - fordern verantwortungsvolles Handeln der Politik, um den Eurofrust der Bürger zu beenden.
von Ralph Hirdina und Thomas Jost, Gastautoren von Euro am Sonntag
Die europäische Elite aus Politik und Wirtschaft, Teile der ökonomischen Zunft und visionäre Bürger träumen noch vom Euro als Motor für die politische Integration und die europäische Wirtschaft. Diese Träume kontrastieren nach acht Jahren Dauerkrise im Euroraum mit der Wirklichkeit und haben in weiten Teilen der Union zu Frust und Skepsis geführt.
Die zum Teil planlose und das europäische und nationale Recht brechende Rettungspolitik der Regierungen und der Europäischen Zentralbank (EZB) führten dazu, dass die EU immer weiter auseinanderdriftet. In Griechenland, Portugal, Spanien, Italien und Frankreich formierten sich Strömungen, die mit einem Euroaustritt drohen oder flirten. Das Vereinigte Königreich könnte gar aus der EU austreten. Wie sind der Euro und die EU zu retten?
Die Eurokrise und ihre schmerzhaften Folgen hätten abgemildert werden können, wenn der Euroraum eine einheitliche Wirtschafts- und Sozialpolitik mit einheitlichen Steuer- und Sozialsystemen und entsprechenden Umverteilungsmechanismen hätte. In einem solchen Europäischen Bundesstaat könnten beispielsweise die Belastungen durch die stark auseinanderlaufenden Arbeitslosenquoten auf alle Schultern verteilt werden.
Ein Länderfinanzausgleich bräuchte
einen EU-Bundesstaat
Diese Vision ist jedoch völlig unrealistisch. Die Krisenländer in Südeuropa und auch Frankreich, die Profiteure einer solchen weitestgehenden europäischen Integration, sind nicht bereit, nationale Souveränität abzugeben und ihre Sozialsysteme nachhaltig zu reformieren. Arbeitnehmer in Deutschland müssten dadurch zusätzliche untragbare Belastungen auf sich nehmen und die Ablehnung der EU würde auch hierzulande zunehmen.
Häufig wird daher eine abgeschwächte Form der Integration in Form eines europäischen Länderfinanzausgleichs gefordert. Das aber wäre nur in einem Bundesstaatsprinzip möglich, dem der Wähler überhaupt zustimmen müsste. Von einem solchen Länderfinanzausgleich, wie er etwa in Deutschland praktiziert wird, sollte man allerdings nicht viel erwarten. Im deutschen Länderfinanzausgleich fließen nur geringe Summen, über die gleichwohl jedes Jahr heftig gestritten wird.
Angesichts Hunderter Milliarden Euro, die in der Eurokrise als Hilfsgelder flossen, lenkt diese Diskussion nur von den eigentlichen Problemen ab. Ein solcher Finanzausgleich würde auch eine Vereinheitlichung der Steuersätze, eine überall gleiche und durchsetzungsfähige Finanzverwaltung und eine einheitliche Bekämpfung der Schwarzarbeit voraussetzen. Auch dies erscheint völlig unrealistisch, man denke nur an den schon Jahre anhaltenden Kampf der Troika in Griechenland.
Die derzeitige Stimmung in der EU, die von Angst und Hilflosigkeit geprägt ist, lässt anscheinend keinen neuen zukunftsträchtigen Entwurf zu. Daher sollte sich die EU auf die bestehenden Regeln und Vereinbarungen besinnen. Die Eurozone basiert auf der Regel des No Bailout - nach der jede Haftung für die Verbindlichkeiten der Mitgliedsstaaten und die Haftung eines Mitgliedsstaats für die Verbindlichkeiten eines anderen Mitgliedsstaats verboten ist - und dem Stabilitäts- und Wachstumspakt. Beide Grundfesten wurden in der Eurokrise und im Zuge der Rettungsmaßnahmen schwer beschädigt. Es gilt, sie wieder krisenfest und vor allem glaubwürdig zu machen, wenn andere Wege realistisch nicht gangbar sind. Die Rettungsschirmprogramme für die Krisenländer konnten nur durch Ergänzung von Art. 136 AEUV auf rechtssicheren Boden gestellt werden, nach dem Hilfen unter strengen Auflagen möglich sind, wenn die Stabilität der Eurozone insgesamt bedroht ist.
Mit Blick auf die hohen Staatsschulden in einigen Euroländern, die vor allem im griechischen Fall vom IWF als untragbar angesehen werden, müsste geklärt werden, wie mit der weiter geltenden No-Bailout-Regel, auf der vor allem die deutsche Regierung beharrt, in Zukunft umgegangen werden soll. Der deutschen Öffentlichkeit ist es völlig bewusst, dass Griechenland niemals seine ausstehenden Staatsschulden vollständig zurückzahlen kann. Durch die Streckung der Tilgung über Jahrzehnte und die sehr niedrigen, nicht marktgerechten Zinsen ist de facto bereits jetzt ein Schuldenschnitt akzeptiert.
Um eine erneute Staatsschuldenkrise zu vermeiden, muss die Politik endlich die Regeln des Stabilitätspakts einhalten. Der Pakt wurde 2005 aufgeweicht und wieder und wieder gebrochen, unter anderem auch von Deutschland und Frankreich. Griechenland und Portugal haben die Regeln in keinem einzigen Jahr nach ihrem Eurobeitritt eingehalten. Bis zum Jahr 2014 wurde die Drei-Prozent-Obergrenze für das jährliche staatliche Haushaltsdefizit in Relation zum Bruttoinlandsprodukt in 156 Fällen überschritten, wobei diese Überschreitung nur in knapp einem Drittel der Fälle aufgrund einer hinreichend großen rezessiven Wirtschaftsentwicklung erlaubt gewesen wäre.
Obwohl der Pakt während der Eurokrise wieder geschärft wurde, wird er von der Politik in fast allen Euroländern weiterhin infrage gestellt. Man lächelt über ihn und sieht ihn an als ein Trostpflaster für "schräge" Ökonomen und Juristen, vor allem deutscher Herkunft.
Die Rettung für den Euro - und das dauerhaft - verspricht dagegen derzeit nur die Politik der EZB, die jedoch dafür keine rechtliche Zuständigkeit und kein Mandat hat. Nur durch die Ankündigung des OMT-Programms, die fortlaufenden ELA-Kredite der griechischen Notenbank und das Programm des Quantitative Easing gelingt es, die Finanzierung der Staatsschuld vieler Eurostaaten zu einem tragbaren, aber nicht marktgerechten Zinsniveau zu sichern und die Eurozone in diesem Sinne zu retten. EZB-Präsident Draghi, der die Programme nach Medienberichten offenbar mit einem "Küchenkabinett aus einer Handvoll Beratern" vorbereitet und im EZB-Rat auch gegen Widerstände durchsetzt, da die Vertreter der Krisen- und potenziellen Krisenländer die Mehrheit stellen, ist damit der eigentliche, aber nicht rechtmäßige Garant für den Euro ("Believe me …").
Politik muss der EZB Grenzen
aufzeigen und selbst handeln
Die Kritik aus Teilen der Politik, der Ökonomen- und Juristenzunft und vor allem der Bürger, die die Maßnahmen der EZB als nicht rechtskonform einstufen, geht ins Leere, da Rechtsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof mit dem Takt der Ankündigung und Umsetzung neuer EZB-Programme nicht Schritt halten können. Wie könnte der Politikverdruss der Bürger größer sein, wenn man offensichtlich ohnmächtig ist und auch durch sein Wahlverhalten nichts ändern kann.
Nach der Vereinbarung des dritten Hilfspakets für Griechenland ist in der Eurozone eine trügerische Ruhe eingekehrt. Wie geht es weiter mit der europäischen Integration? Wenn eine realistische Vision fehlt, sollte man daran arbeiten, die Grundfesten der Eurozone, wie den Stabilitäts- und Wachstumspakt und die No-Bailout-Regel, zu stärken. Auf jeden Fall muss die Politik auch der EZB Grenzen aufzeigen und selbst tragfähige Perspektiven eröffnen. Eine dauerhafte Finanzierung der Staatsschulden mithilfe der EZB kann nicht die Lösung sein. Sie zerstört das Vertrauen der EU-Bürger in die Union und in den Euro.
zur Person:
Ralph Hirdina,
Professor für
Wirtschaft und Recht
Hirdina studierte nach der Ausbildung zum Bankkaufmann Rechtswissenschaften an der LMU München. Nach der Promotion arbeitete er als Rechtsanwalt und bei der Deutschen
Bundesbank. Seit 2000 hält er eine Professur für Wirtschaftsprivatrecht und Arbeitsrecht
an der Hochschule Aschaffenburg.
Thomas Jost,
Professor
für Volkswirtschaftslehre
Jost ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fakultät für
Wirtschaft und Recht der Hochschule Aschaffenburg (seit 2000). Von 1989 bis 2000 war er in der Hauptabteilung Volkswirtschaft im Direktorium der Deutschen Bundesbank tätig und dort auch Mitglied der Forschungsgruppe sowie der Short Term Economic Prospects Group der OECD.
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Bildquellen: Hochschule Aschaffenburg