Euro am Sonntag-Einschätzung

Italien: Die Ruhe vor dem Sturm

17.12.16 12:00 Uhr

Italien: Die Ruhe vor dem Sturm | finanzen.net

Das befürchtete Chaos nach der gescheiterten Verfassungsreform in Italien blieb aus. Die ganze Tragweite der Entscheidung könnte jedoch zum Risiko für Europa werden.

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von Astrid Zehbe, Euro am Sonntag

Noch während die Wahllokale geöffnet waren, witterten Gegner des italienischen Verfassungsreferendums Betrug: Weil in den Wahlkabinen angeblich radierbare Bleistifte auslagen, befürchteten sie, dass die Ergebnisse im Nachhinein zu einem Ja für die Reformpläne von Matteo Renzi zurechtgeschummelt werden könnten. Die Sorge erwies sich als unbegründet. Kurz nach Mitternacht trat ein sichtlich enttäuschter Ministerpräsident vor die Kameras, gestand die Niederlage ein und kündigte - wie erwartet - seinen Rücktritt an.



Das Wahlergebnis kam nicht überraschend und ist dennoch ein Paukenschlag: Mit dem Rückzug Renzis drohen dem Land politisch unruhige Zeiten. Insbesondere die Probleme der angeschlagenen Wirtschaft Italiens - vor allem im Bankensektor - könnten sich verschärfen und zu einer ernsten Gefahr für ganz Europa werden.

Angesichts dieser Risiken blieben die Anleger nach dem Referendum jedoch gelassen. Europas Börsen starteten zwar größtenteils im Minus, viele drehten dann aber rasch ins Plus. Die Ren­diten für zehnjährige italienische Anleihen kletterten überschaubar um 11,20 Basispunkte auf 2,09 Prozent. Auch die Kurse spanischer und portugiesischer Bonds gerieten nur leicht unter Druck. Selbst der Euro, der zwischenzeitlich auf 1,0506 Dollar und damit auf den tiefsten Stand seit März 2015 fiel, schloss am Ende lediglich leicht im Minus. Das Nein-Votum war von den Marktteilnehmern längst antizipiert worden.

Besonnene Marktreaktionen

Dass die Reaktionen jedoch derart besonnen waren, ist der Erwartung zu verdanken, dass die Europäische Zentralbank (EZB) ihre expansive Geldpolitik beibehält. "Mario Draghi wird nicht noch zusätzliches Öl ins Feuer gießen wollen. Die Diskussion um einen vorzeitigen Ausstieg aus dem Wertpapieraufkaufprogramm dürfte vom Tisch sein", sagte Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank kurz nach dem Volksentscheid. Er behielt recht. Bei ihrer Sitzung am Donnerstag kündigte die EZB an, ihr Kaufprogramm für Staatsanleihen bis mindestens Ende 2017 zu verlängern.


Ab April sollen monatlich allerdings nur noch 60 statt 80 Milliarden Euro in den Markt gepumpt werden. Auf diese Weise sollen die Renditen und damit die Refinanzierungskosten für Länder wie Italien auf einem niedrigen Niveau gehalten werden. Kurzfristig ist damit Ruhe an den Finanzmärkten eingekehrt. Doch langfristig könnte es gefährlich werden.

Denn wie es in Italien weitergeht, ist ungewiss. Staatspräsident Sergio Mattarella führt mit den Parteien des Parlaments Gespräche, um einen Nachfolger für Renzi zu finden. Gelingt dies nicht, gibt es vorgezogene Neuwahlen. Das fordern vor allem kleine Parteien wie die eurokritische Fünf-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo. Sie pokern auf eine Regierungsbeteiligung, was wohl das Ende jeglicher Reformbemühungen wäre. Doch selbst bei einer Übergangsregierung bis zu den regulären Wahlen 2018 droht Stillstand. Mit Matteo Renzi fehlt Italien ein durchsetzungsstarker und tatkräftiger Reformer.


"Politische und wirtschaftliche Reformen sind nun auf absehbare Zeit vom Tisch", sagt auch Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianz. "Italiens Wachstumsschwäche, die hohe Staatsverschuldung und der kränkelnde Bankensektor werden nun wieder verstärkt in den Fokus rücken."

Die Probleme des Landes sind enorm. Die Kluft zwischen dem wirtschaftlich starken Norden und dem kriselnden Süden, die sehr hohe Arbeitslosigkeit vor allem bei jungen Menschen und niedrige Investitionen machen der drittgrößten Volkswirtschaft Europas zu schaffen. Dass die Wirtschaft zuletzt immerhin leicht zugelegt hat, ist nur ein schwacher Trost. Als größtes Risiko gilt die hohe Staatsverschuldung, die mittlerweile 135 Prozent des Bruttoinlands­produkts (BIP) erreicht. Die durch die EZB künstlich niedrig gehaltenen Re­finanzierungskosten bieten wenig Anreiz, zu sparen und die dringend notwendigen Reformen durchzuführen. Im Gegenteil: Der Schuldenberg wächst weiter - und mit ihm das Misstrauen in die Zahlungsfähigkeit Italiens.

Banken am Abgrund

Auch die Ratingagentur Moody’s blickt skeptisch auf das Land. Vergangenen Mittwoch senkten die Bonitätswächter ihren Ausblick wegen der hohen Schuldenlast von "stabil" auf "negativ". Damit droht Italien eine Herabstufung der Kreditwürdigkeit. Das könnte teuer werden: Verkaufen besorgte Anleger ihre italienischen Staatsanleihen, steigen die Renditen. Für neue Kredite müsste Italien mehr bezahlen, was langfristig eine gefährliche Schuldenspirale in Gang setzen könnte.

Doch auch für den Bankensektor steigen die Risiken: Neben der schwachen Rentabilität stellen faule Kredite mit ­einem Volumen von insgesamt 360 Milliarden Euro das Hauptproblem der Geldhäuser dar. Um diese auf einen ­realistischen Wert abzuschreiben, benötigen mindestens acht Institute - darunter Monte dei Paschi di Siena sowie die UniCredit - demnächst frisches Kapital.

Doch Investoren zu finden, die Geld in angeschlagene Institute stecken, gestaltet sich angesichts der politischen Turbulenzen schwierig. Besonders deswegen, weil viele Banken auch hohe Bestände an italienischen Staatspapieren in ihren Büchern haben. Erhöht sich die Unsicherheit an den Märkten - etwa bei einer Zuspitzung der Regierungskrise oder einer Herabstufung der Kreditwürdigkeit Italiens -, droht ein Ausverkauf der Staatspapiere. Das würde die Bankbilanzen enorm belasten und womöglich zum Zusammenbruch führen.

Gefährlicher Dominoeffekt

Vor allem für Aktionäre, Gläubiger und Kunden wäre das schmerzhaft. Denn diese müssen laut der sogenannten Bail-in-Regeln der EU bei Schieflage einer Bank an der Rettung beteiligt werden, bevor der Staat einspringt. Allein bei der Banca Monte dei Paschi di Siena, die vergangene Woche bei der EZB um einen Aufschub für ihren Rettungsplan gebeten hatte, wären davon 150.000 Kleinanleger betroffen.

Entsprechend bemüht ist Rom, dem Geldhaus zu helfen. Medienberichten zufolge bereitet sich das Finanzministerium darauf vor, seine Anteile an der Bank aufzustocken. Gelingt dies nicht, droht ein Sturm auf die Banken, bei dem die Menschen ihr Geld abzögen.

Zudem könnten die Probleme auf andere Länder übergreifen: Besonders deutsche Geldhäuser sind stark in Italien engagiert. Müssten sie hohe Forderungen abschreiben, wird auch ihre Kapitaldecke gefährlich dünn. Schlimmstenfalls gäbe es ähnliche Szenarien wie in Italiens Bankensektor. Die Währungshüter in Frankfurt haben vergangene Woche also nicht nur Italien Zeit gekauft, sondern ganz Europa.

Investor-Info

Renditen in Italien
Leicht gefallen

Nachdem die Renditen für italienische Staatsanleihen bis zum Sommer dieses Jahres gesunken sind, steigen sie seit September wieder kräftig an. Neben der politischen Un­sicherheit spielt dabei vor allem die Schief­lage vieler Kreditinstitute und die Angst vor einem Bankencrash eine Rolle. Dass sich die Kurse der Staatspapiere in den vergangenen Tagen wieder etwas erholt haben - die Ren­diten also gesunken sind -, ist der Erwartung weiterhin lockerer Geldpolitik geschuldet.

US-Dollar/Euro
Von Schwäche profitieren

Nach der EZB-Sitzung ist klar: Es ist kein Ende der lockeren Geldpolitik in der Eurozone in Sicht. Zu schwach sind die Wirtschafts­daten, zu groß die Probleme der Banken. Das wird den Euro mittelfristig weiter schwächen. Mit einem Long-Zertifikat USD/EUR können Anleger auf eine weitere Abschwächung des Euros gegenüber dem Dollar wetten.

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Ein Viertel Italien

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Bildquellen: Iakov Kalinin / Shutterstock.com, Carlos Caetano / Shutterstock.com

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