Wer pflegt, erbt mehr
Die Anerkennung von Pflegeleistungen im Erbfall hat der Gesetzgeber seit Jahresbeginn verbessert. Wer von der Neuregelung profitiert.
von Claudia Marwede-Dengg, Euro am Sonntag
Derzeit werden mehr als die Hälfte aller pflegebedürftigen Senioren daheim von Angehörigen gepflegt. Da der Anteil der Älteren und Hochbetagten in Zukunft weiter steigen wird, wird auch der Pflegebedarf zunehmen. Das Engagement der Familie wird also künftig noch wichtiger. Das sieht auch der Gesetzgeber so – und hat dafür gesorgt, dass seit Anfang dieses Jahres die häusliche Pflege im Erbfall besser honoriert wird. Davon profitieren pflegende Kinder und Enkelkinder.
Neu ist die Berücksichtigung von Pflegeleistungen im Erbrecht nicht. Paragraf 2057 a des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) regelt die Pflicht zu einem finanziellen Ausgleich aus der Erbmasse und nennt die Voraussetzungen dafür. Zunächst darf der Pflegende für seine Pflegeleistungen kein angemessenes Entgelt erhalten haben, ferner muss er ein Abkömmling der verstorbenen pflegebedürftigen Person sein und über längere Zeit auf berufliches Einkommen verzichtet haben. Und schließlich darf kein von der gesetzlichen Erbfolge abweichendes wirksames Testament vorhanden sein. „Doch in der Praxis gab es bisher nur wenige Fälle, in denen Ansprüche angemeldet wurden“, sagt Klaus Michael Groll, Präsident des Deutschen Forums für Erbrecht (DFE). Zum einen hätten viele von dieser Regelung nichts gewusst, zum anderen habe die alte Regelung hohe Hürden beinhaltet, vor allem „die Voraussetzung, dass der Pflegende seinen Beruf aufgab oder einschränkte und entsprechende Einkommenseinbußen hatte“, so Groll.
Pflegende werden besser gestellt
Diese Einschränkung wurde nun gestrichen. Künftig besteht also der Ausgleichsanspruch beim Erbe sowohl für Pflegende, die weiterhin berufstätig sind und damit eine Doppelbelastung auf sich genommen haben, als auch für pflegende Hausfrauen und Rentner, die nicht oder nicht mehr berufstätig waren. Aber keine Regel ohne Ausnahme: Nach Paragraf 2057 a Absatz 2 BGB entfällt der Anspruch, „wenn für die Leistungen ein angemessenes Entgelt gewährt oder vereinbart worden ist oder soweit dem Abkömmling wegen seiner Leistungen ein Anspruch aus anderem Rechtsgrund zusteht“.
Im Vorfeld der Neuregelung wurde immer wieder auch über eine Erweiterung des Kreises der Pflegenden diskutiert. Dazu hat sich der Gesetzgeber dann letztlich nicht durchgerungen. Anspruch auf eine Sondervergütung haben laut BGB nach wie vor nur direkte „Abkömmlinge“ von Menschen, die vor ihrem Tod gepflegt wurden. Dazu gehören Kinder – unabhängig davon, ob ehelich, nicht ehelich oder adoptiert –, Enkel und Urenkel. Wer dagegen den verstorbenen Bruder oder die Schwester, seine Schwiegereltern, seinen Lebensgefährten oder einen Freund gepflegt hat, geht weiterhin leer aus. Wie viel die Pflege wert ist, hängt vom Einzelfall ab. Denn der Gesetzgeber hat hier nur einen Rahmen gesetzt. DFE-Experte Groll nennt die wesentlichen Punkte: „Die Höhe der Vergütung orientiert sich an den Pflegesätzen der Pflegeversicherung. Außerdem muss die Pflegeleistung intensiv sein und über einen längeren Zeitraum erbracht werden. Es reicht nicht, sich eine Woche um den Betreuten zu kümmern.“
Umsetzung schwierig
Wie verläuft nun die Anrechnung der Pflegevergütung im Erbfall? Dazu ein Beispiel: Eine Mutter war in den letzten 16 Monaten ihres Lebens pflegebedürftig und wohnte bei ihrer Tochter. Diese ist vollzeitbeschäftigt und hat sich neben ihrem Beruf um die Mutter gekümmert. Der Sohn lebt in einer anderen Stadt und konnte sich an der Pflege seiner Mutter nicht beteiligen. Die Mutter hinterlässt beiden Kindern ein Geldvermögen von 100 000 Euro.
Die Tochter macht nun im Erbfall geltend, dass sie 140 Stunden an Pflegeleistungen im Monat erbracht hat – bei einem unterstellten Stundenlohn von 8,50 Euro für Pflegekräfte macht das 1190 Euro pro Monat. Für die gesamten 16 Monate hat sich das auf 19 040 Euro summiert. Diesen Betrag kann sie als Pflegevergütung beanspruchen. Konkret: Diese Sum-me wird vor der weiteren Verteilung der Erbmasse abgezogen. Die verbleibenden 80 960 Euro teilen sich dann die beiden Geschwister. Der Sohn erhält 40 480 Euro, die Tochter bekommt ebenfalls 40 480 Euro, zusätzlich aber noch die 19 040 Euro für ihre Pflegeleistungen für die Mutter. Unterm Strich erhält sie also insgesamt 59 520 Euro.
So weit der Idealfall. In der Regel dürften jedoch die Geschwister, die sich nicht an der Pflege des Elternteils beteiligt haben, die Pflegeleistung bestreiten. „Für denjenigen, der pflegt, heißt das, dass er den Vergütungsanspruch beweisen muss“, sagt Rechtsanwalt Groll. Dafür müsste er alles aufschreiben und möglichst auch noch bestätigen lassen – in der Praxis dürfte das schwierig sein.
Wer es dennoch versucht, sollte zumindest ein Pflegetagebuch führen, in dem er seinen pflegerischen Aufwand festhält. Pflegetagebücher erhält der Pflegende entweder über seine Pflegekasse oder über die des Pflegebedürftigen.
Doch der Streit um den Wert der Pflegeleistung ist nicht zwingend: Durch klare Regelungen im Testament kann der Pflegebedürftige schon zu Lebzeiten dafür sorgen, dass diese Klippe umschifft wird. Dazu sollte er möglichst detailliert auflisten, wer ihn ab wann gepflegt hat und wie diese Leistung als Vorausvermächtnis aus dem Nachlass finanziell bemessen sein soll. „Für den Familienfrieden ist es besser, eine lebzeitige Vergütung zu zahlen oder den Betreffenden im Testament über ein Vermächtnis zu bedenken“, weiß der DFE-Experte.
Testamentarische Regelungen zu Lebzeiten haben zudem einen weiteren Vorteil: Auf diesem Weg kann der Pflegebedürftige auch diejenigen bedenken, die ohne Testament leer ausgehen, nämlich Schwiegertöchter und -söhne ebenso wie Nachbarn, Bekannte oder Freunde.