Erbrecht

Neue Pflichtteilregelung: Rache der Enterbten

09.06.10 11:11 Uhr

Zum 1. Januar hat der Gesetzgeber beim Erbrecht alte Zöpfe abgeschnitten. Besonders bei den Regelungen zum umstrittenen Pflichtteil hat sich viel getan.

von Claudia Marwede-Dengg, Euro am Sonntag

Gelegentlich rafft sich der Gesetzgeber tatsächlich auf und schneidet alte Zöpfe ab – etwa im Rahmen der Neuregelung des Erbrechts zum 1. Januar dieses Jahres. Dabei entrümpelte er vor allem das Pflichtteilsrecht: Durch Neuerungen beim Pflichtteilsentzug, beim Pflichtteilsergänzungsanspruch und bei der Auszahlung des Pflichtteils hat der Erblasser wesentlich mehr Gestaltungsmöglichkeiten.

Wer­bung

Mit dem Pflichtteilsrecht soll grundsätzlich verhindert werden, dass ein Erblasser seine nächsten Angehörigen vollständig von der Erbschaft ausschließt. Jeder Berechtigte erhält daher einen Mindestbetrag in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Erbes. Paragraf 2303 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) sowie Paragraf 10, Absatz 6 des Lebenspartnerschaftsgesetzes listen auf, wer zu den Pflichtteilsberechtigten gehört: die Abkömmlinge, die Eltern sowie der Ehepartner beziehungsweise der Lebenspartner.

Zu den alten Zöpfen gehörte vor allem der Pflichtteilsentzugsgrund des „ehrlosen und unsittlichen Lebenswandels“. In Zeiten von Patchworkfamilien und Lebensgefährten ist das nun auch rechtlich kein Grund mehr, einen Erben komplett zu enterben. Stattdessen gilt jetzt: Der Entzug des Pflichtteils ist nur noch dann möglich, wenn der oder die Pflichtteilsberechtigte rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist.

Dafür wurde der Kreis derjenigen erweitert, gegen die sich ein Fehlverhalten des Pflichtteilsberechtigten auswirkt. Nach bisherigem Recht konnte ein Erblasser in seinem Testament einen Angehörigen nur enterben, der ihm, seinem Ehegatten und leiblichen Kindern nach dem Leben getrachtet oder körperlich schwer misshandelt hat. Jetzt liegt auch ein Enterbungsgrund vor, wenn ein Pflichtteilsberechtigter nahe stehenden Personen wie Lebenspartnern, Pflege- oder Stiefkindern nach dem Leben trachtet oder sie körperlich schwer misshandelt.

Wer­bung

Um die Enterbung möglichst hieb- und stichfest zu regeln, rät Klaus Michael Groll, Präsident des Deutschen Forums für Erbrecht (DFE): „Den gesetzlichen Entziehungskatalog sorgfältig prüfen, den Entziehungsgrund im Testament so deutlich wie möglich beschreiben und nach der Fertigstellung des Testaments dem Pflichtteilsberechtigten nicht verzeihen, jedenfalls dann nicht, wenn die Entziehung wirksam bleiben soll.“

Kräftig entrümpelt wurden auch die Regelungen des Pflichtteilsergänzungs-anspruchs. Dieser Anspruch stellt sicher, dass Schenkungen an einzelne Erben oder an Dritte nicht den Pflichtteilsanspruch der anderen Erben mindern. Bisher galt hier eine Zehnjahresfrist: Bei jeder Übertragung von Geld oder Sachwerten innerhalb dieses Zeitraums wurde so getan, als gehörten diese in voller Höhe zum Nachlass. Sie erhöhten damit das Vermögen für die Berechnung des Pflichtteilsanspruchs. Starb dagegen der Erblasser erst nach diesen zehn Jahren, blieb die Schenkung außen vor.

Diese „Fallbeil“-Regelung ist durch das Abschmelz- oder sogenannte Pro-Rata-Modell abgelöst worden. Hier wird der Wert der Schenkung nur noch im ersten Jahr nach dem Tod des Erblassers in voller Höhe der Erbmasse zugerechnet, im zweiten Jahr mindert sich der Betrag um zehn Prozent, im dritten um 20 Prozent und so weiter. Sind zehn Jahre rum, fällt wie bei der Altregelung die Übertragung der Vermögenswerte nicht in die Erbmasse.

Wer­bung

Interessante Gestaltungschancen und eine Ersatzstrategie, wenn der Entzug des Pflichtteils nicht möglich ist, sieht Erbrechtsexperte Groll: „Auch für Hochbetagte kann es sinnvoll sein, zum Beispiel dem lieben Sohn eine Immobilie zu schenken, um die Pflichtteilsansprüche des ungeliebten Sohns zu mindern. Jedes Jahr, das der Schenker noch lebt, zeitigt Wirkung.“ Früher sei das nur der Fall gewesen, wenn der Schenker noch zehn Jahre gelebt habe. Die dritte wesentliche Neuerung betrifft die erweiterten Stundungsmöglichkeiten bei der Auszahlung des Erbes. Da der Pflichtteilsanspruch ein Anspruch in Geld ist, muss der Erbe den oder die Pflichtteilsberechtigten auszahlen.

Probleme gab es vor allem dann, wenn der Nachlass aus einem Unternehmen oder einer Immobilie bestand: Eine Auszahlung hätte den Erben unter Umständen in finanzielle Nöte gebracht. Von der Möglichkeit der Stundung konnte nach der alten Regelung nur ein Erbe aus dem Kreis der Pflichtteilsberechtigten Gebrauch machen. Diese Begrenzung gilt nicht mehr, jetzt kann jeder Erbe – also zum Beispiel auch ein Neffe, der ein Unternehmen geerbt hat – die Verschiebung der Fälligkeit beantragen. Die Entscheidung darüber liegt beim Nachlassgericht. Zudem wurden die Voraussetzungen für eine Stundung erleichtert: Statt einer „ungewöhnlichen Härte“ ist jetzt „eine unbillige Härte“ ausreichend. Dabei ist das Interesse des Pflichtteilsberechtigten „angemessen zu berücksichtigen“.

Erleichtert wurde auch die Möglichkeit, ein belastetes Erbe auszuschlagen, um sich zumindest den Pflichtteil zu sichern. „Bisher war das nur möglich, wenn der Erbteil des Erben größer war als die gesetzliche Pflichtteilsquote dieses Erben“, erläutert DFE-Experte Groll. Jetzt könne das Erbe zwecks Erlangung eines Pflichtteilsanspruchs auch dann ausgeschlagen werden, wenn es die Pflichtteilsquote nicht übersteige. Allerdings warnt Groll auch: „Wer sein Erbe ausschlägt, ohne dass es sich um eine der gesetzlich geforderten Belastungen handelt, verliert das Erbe und den Pflichtteil.“ Beratung sei daher unerlässlich.

Wer seinen Pflichtteilsanspruch vor Gericht geltend machen will, muss aufpassen. Mit der Reform verkürzen sich die Verjährungsfristen. Erbrechtliche Ansprüche verjähren nun wie alle anderen Ansprüche nach dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz nach drei Jahren. Die bisher geltende lange Frist von 30 Jahren gilt nur noch in besonderen Ausnahmefällen wie beim Herausgabeanspruch gegen den Erbschaftsbesitzer oder den Vorerben.