Kfz-Versicherung

Neue Urteile bei grober Fahrlässigkeit

12.07.10 13:45 Uhr

Der Gesetzgeber macht's möglich: Seit 2008 gibt es von Versicherungen auch bei grober Fahrlässigkeit Geld. Nun präzisieren erste Urteile die Quotenregelung.

von Claudia Marwede-Dengg, Euro am Sonntag

Das Prinzip „alles oder nichts“ war vorgestern, heute gilt die Quotenregelung. Grobe Fahrlässigkeit ist im Versicherungsfall kein Grund mehr, dass eine Versicherung ihre Leistung einfach komplett streichen darf. „Der Versicherer darf lediglich die Leistung kürzen. Das heißt, der Versicherte erhält wenigstens einen Teil der versprochenen Leistung“, so Rechtsanwalt Klaus Schneider, Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV).

Diese Änderung gilt grundsätzlich seit der Reform des Versicherungsvertragsrechts zum 1. Januar 2008. Allerdings hat der Gesetzgeber offengelassen, wie stark die Leistung bei welcher Form von grober Fahrlässigkeit gemindert werden darf. Selbst eine Rahmenvorgabe existiert nicht. Jost Henning Kärger, stellvertretender Leiter Verkehrsrecht in der juristischen Zentrale des ADAC, bedauert das: „Ein Rahmen für eine Regulierungsregelung wäre schön gewesen, aber das muss sich erst im Lauf der Zeit über die Gerichte entwickeln.“

Für die Kfz-Kaskoversicherung liegen inzwischen erste Urteile vor, bei denen es um Trunkenheit am Steuer und um Rotlichtverstöße ging. „Aus den wenigen Urteilen lässt sich aus unserer Sicht aber noch keine eindeutige Tendenz ablesen. Jeder Fall ist ein Einzelfall“, so Kärger weiter. Das Landgericht Bonn beispielsweise hat die Leistungskürzung eines Versicherers in Höhe von 75 Prozent bei einem durch eine Trunkenheitsfahrt verursachten Vollkaskoschaden für rechtens erklärt (Az. 10 O 115/09). Der stark alkoholisierte Fahrzeugbesitzer hatte zwar wegen seines Rauschs das Steuer einem Begleiter überlassen, doch der hatte ebenfalls zu viel getankt und verursachte einen Unfall.

Die Bonner Richter stuften die Fahrzeugüberlassung als „grobe Fahrlässigkeit im oberen Bereich“ ein. Der Versicherte habe gewusst, dass auch sein Begleiter nicht fahrtüchtig war. Die Leistungskürzung von 75 Prozent sei daher gerechtfertigt, nicht jedoch ein vollständiger Leistungsausschluss, da das Verhalten nicht ganz so schwer wiege wie eine eigene Trunkenheitsfahrt.

Anders sieht es aus, wenn der Fahrer 1,1 Promille Alkohol im Blut hat und dann einen Unfall verursacht. In einem solchen Fall kann der Versicherer die Leistung um 100 Prozent kürzen, sagte zumindest das Amtsgericht Bühl (Az. 7 C 88/09).

Im zweiten bisher vorliegenden Urteil eines Landgerichts ging es um einen Unfall infolge eines Rotlichtverstoßes. Das Landgericht Münster gab einer Versicherung recht, die ihre Leistungspflicht um 50 Prozent reduziert hatte (Az. 15 O 141/09).

Die Versicherte hatte dagegen argumentiert, sie habe die rote Ampel wegen der tief stehenden Sonne übersehen. Die Richter befanden jedoch, es sei unerheblich, ob der Unfallverursacher aus Unachtsamkeit in die Kreuzung eingefahren sei oder weil er von der Sonne geblendet war. Das Missachten einer roten Ampel sei grundsätzlich ein besonders gravierender Pflichtverstoß und damit immer eine grobe Fahrlässigkeit.


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Nach Meinung des Gerichts berechtigt dies den Versicherer, die Leistung in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Bei einem Rotlichtverstoß sei eine Leistungskürzung von mindestens 50 Prozent durchaus gerechtfertigt.

Da der gesetzliche Rahmen weitgehend fehlt, hat das Landgericht Münster zudem auch noch versucht, eine generelle Quotenregelung auf den Weg zu bringen. Das Hauptziel ist klar: Die Richter wollen vermeiden, dass sich künftig die Entscheidungen – bei vergleichbaren Fällen grober Fahrlässigkeit – von Gericht zu Gericht zu stark unterscheiden.

Das Gericht in Münster plädiert daher für die Einführung fester Musterquotenstufen von 0, 25, 50, 75 und 100 Prozent, die dann aber unter Berücksichtigung des Einzelfalls und je nach Grad des Verschuldens angepasst werden könnten.

Mit dem Vorschlag der Musterquoten griffen die Münsteraner Richter eine Empfehlung auf, die der Deutsche Verkehrsgerichtstag in Goslar bereits im Januar 2009 für die wichtigsten Schadensfälle in der Kfz-Versicherung gegeben hatte.

Zu den aktuell aufgeführten Fällen gehört unter anderem Trunkenheit am Steuer: Wer einen Unfall wegen Trunkenheit am Steuer verur­sacht, muss bei einem Blutalkohol­gehalt ab 0,5 Promille mit einer Leistungskürzung von 50 Prozent rechnen. Bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille und höher darf der Versicherer die Leistung sogar komplett kürzen. Für den Bereich 0,3 bis 0,5 Promille empfehlen die Verkehrs­experten keine generelle Quote; hier bleibt die Kürzung eine Frage des Einzelfalls. Bei drogenbedingter Fahruntüchtigkeit sollte sich der Rahmen für die Kürzung je nach Einzelfall zwischen 50 und 100 Prozent bewegen.

Nächster Punkt: Wer mit abgefahrenen Reifen unterwegs ist, muss im Schadensfall mit einer Kürzung von 25 Prozent der vereinbarten Leistung rechnen. Das Gleiche gilt bei Missachtung eines Stoppschilds oder eines festen grünen Abbiegepfeils. Übersieht ein Autofahrer eine rote Ampel, darf die Versicherung die Leistung um die Hälfte reduzieren. Steckt der Autoschlüssel im Zündschloss und das Auto wird gestohlen, kann die Versicherungsleistung um 75 Prozent gekürzt werden. Wer ansonsten nicht sorgsam mit seinem Autoschlüssel umgeht und diesen zum Beispiel in der Kneipe auf den Tresen legt, dem droht bei Autoklau eine Reduzierung der Versicherungsleistung um 25 Prozent.

Wer auf Nummer sicher gehen und eine Leistungskürzung komplett vermeiden will, sollte bei der Wahl seiner Kfz-Versicherung nicht nur auf den Preis, sondern auch auf die Leistung achten. „Bei hochwertigen Versicherungen ist das Risiko ‚grobe Fahrlässigkeit‘ oft stark oder sogar ganz ausgeschlossen“, erläutert ADAC-Rechtsexperte Kärger. „Bei günstigen Versicherungen gibt es dagegen nur den gesetzlichen Minimalschutz mit Quotierung.“

Wer etwa ein hochwertiges oder fast neues Auto besitzt, sollte ganz genau überlegen, wie viel Risiko er persönlich tragen will und ob ein verbesserter Versicherungsschutz für ihn besonders wichtig ist. Die durchschnittlich 15 Prozent, die ein besserer Schutz nach Angaben des Bunds der Versicherten mehr kostet, können sich im Schadensfall unter Umständen schnell amortisieren.