Pflegeheime in Hochglanzprospekten: Der Schein trügt oft
Mit Schulnoten sollte der Markt für Pflegeheime durchsichtig werden. Jetzt müssen die Verantwortlichen bis zum Jahresende nachsitzen.
von Claudia Marwede-Dengg, Euro am Sonntag
Viele kennen das. Der hochbetagte Vater oder die Mutter liegen mit Oberschenkelhalsbruch im Krankenhaus. Die Entlassung steht bevor, doch es gibt kein Zurück mehr in die eigenen vier Wände. Ein Pflegeplatz muss her.
Vielen Angehörigen geht es so.Doch was taugen die Einrichtungen? Gibt es Spezialisierungen? Das blinde Vertrauen auf Mundpropaganda hilft nicht weiter, und der Markt für Pflegeheime ist so durchsichtig wie Milchglas. Wer sich selbst einen Überblick über Pflegeheime und ‑dienste und deren Angebote verschaffen will, tut sich sehr schwer. Ganz besonders schwierig wird es dann beim Thema Verbraucherschutz und Qualität.
Das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz vom Juli 2008 sollte beides ändern: Damit die Betroffenen und deren Angehörige künftig zumindest besser darüber informiert sind, was im Pflegefall auf sie zukommt, müssen bis Ende 2010 sämtliche der mehr als 23 000 Pflegeeinrichtungen und ‑dienste nach einheitlichen Kriterien auf Qualität geprüft werden.
Doch damit nicht genug: Um das Angebot auch wirklich transparent zu machen, sind die Ergebnisse erstmals für jedermann zugänglich: Unter www.pflegelotse. de sind die Transparenzberichte etwa beim Verband der Ersatzkassen (VDEK) abrufbar, bei den Kassen des AOK-Bereichs unter www.aok-gesundheits navi.de, bei den Betriebskrankenkassen unter www.bkk-pflege.de (BKK) und bei den Innungskassen sowie der Knappschaft unter www.der-pflegekompass.de. In allen diesen Onlineportalen lassen sich per Mausklick Pflegeheime und Pflegedienste sowohl nach Orten und Postleitzahlen als auch nach gewünschten Leistungen sowie Kosten und Eigenanteilen recherchieren. Das Angebot steht im Übrigen auch Versicherten offen, die privat pflegeversichert sind.
Ab 2011 werden die Daten für diese Transparenzberichte regelmäßig mindestens einmal pro Jahr erhoben. Verantwortlich ist der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK). Er kommt unangemeldet und prüft nach einem einheitlichen Kriterienkatalog, den sogenannten Pflege-Transparenzvereinbarungen (PTV, siehe Kasten). Bis Mitte August dieses Jahres hatte der MDK nach eigenen Angaben etwa 11 000 Pflegeheime und Pflegedienste geprüft, also knapp die Hälfte der Anbieter.
Die Verantwortlichen einigten sich im Dezember 2008 auf die Transparenzvereinbarung. Für die Pflegekassen ist das der GKV-Spitzenverband, die Pflegeleistungsanbieter sind vertreten durch die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe, die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände und die Vereinigung der Träger der Sozialhilfe.
Doch nicht alle Anbieter fanden das Verfahren gerecht. Ihr Hauptkritikpunkt: Durch die Vergabe von Durchschnittsnoten können auch Einrichtungen mit schlechter medizinischer Pflege eine gute Gesamtnote erhalten, beispielsweise wenn die Note „mangelhaft“ in der Pflege – überspitzt formuliert – durch ein „sehr gut“ für abwechslungsreiche Seniorenteller kompensiert würde. Einzelne Pflegeheime bemühten daher die Gerichte und wollten auf diese Weise die Veröffentlichung der Prüfungen im Internet verhindern.
Die bisherige Rechtsprechung ist allerdings höchst unterschiedlich. Das Landessozialgericht Sachsen hält die Veröffentlichung von Transparenzberichten für rechtens. Das geht aus einem Beschluss vom 4. März dieses Jahres hervor, mit dem die Richter die Beschwerde eines Pflegeheimbetreibers gegen eine ebenfalls zugunsten der Kassen ausgefallene Entscheidung des Sozialgerichts Dresden zurückwiesen (Az. S 39 P 279/09 ER).
Das Sozialgericht Münster war dagegen anderer Meinung und entschied, die Veröffentlichung der Transparenzberichte über Pflegeheime im Internet sei rechtswidrig (Az. S 6 P 111/10): Die abqualifizierende Bewertung der Pflegequalität durch Pflegenoten führe die Verbraucher in die Irre und verletze das Recht der Heimträger auf Berufsausübungsfreiheit. Allerdings ist das Urteil noch nicht rechtskräftig. Wegen der Bedeutung des Verfahrens haben die Richter zudem die Sprungrevision zum Bundessozialgericht zugelassen.
Inzwischen haben sich die Vertreter der Kassen und die Träger der Pflegeeinrichtungen wieder an den Verhandlungstisch gesetzt. Die Pflegenoten hätten sich grundsätzlich bewährt, meint Florian Lanz vom GKV-Spitzenverband, dennoch gebe es natürlich Überarbeitungsbedarf. „Den wichtigsten sehen wir darin, dass Risikokriterien wie Flüssigkeitsversorgung, Ernährungszustand oder Dekubitus-(Wundliegen) Prophylaxe durch eine stärkere Gewichtung einen größeren Einfluss auf die Bereich- und Gesamtnote haben“, ergänzt Lanz. Sein Fazit: „Eine sehr gute oder gute Gesamtnote darf nur noch dann vergeben werden, wenn es in den pflegerischen Kernbereichen keine Mängel gibt.“ Bis zum Jahresende soll eine entsprechend überarbeitete Pflege-Transparenzvereinbarung vorliegen.
Und woran können sich Pflegebedürftige orientieren, die sich jetzt informieren wollen? Sie müssen sich bis auf Weiteres mit den bisherigen Informationen begnügen. „Die bereits benoteten Einrichtungen bleiben bis zur neuerlichen Prüfung mit ihren ‚alten‘ Noten im Netz stehen“, erläutert Michaela Gottfried, Pressesprecherin des VDEK. 2011 soll es dann eine neue Prüfrunde mit überarbeiteten Qualitätskriterien geben. Vielleicht hilft das Angehörigen.
Benotete Pflegeheime: Wenig Musterschüler
Um Angehörigen die Suche nach einem geeigneten Pflegeheim zu erleichtern und Unterschiede in der Qualität darzustellen, checkt der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) stationäre Pflegeeinrichtungen und benotet jeweils die „Pflege und medizinische Versorgung“, den „Umgang mit demenzkranken Bewohnern“, die „soziale Betreuung und Alltagsgestaltung“ sowie den Bereich „Wohnen, Verpflegung, Hauswirtschaft und Hygiene“. Aus dem Mittelwert der Einzelnoten setzt sich dann das Gesamtergebnis zusammen. Die Kriterien sind in den Pflege-Transparenzvereinbarungen festgelegt.