Facebook ohne Filter

14.01.25 11:12 Uhr

Im Technologieland Deutschland hatten Amerikas Techmilliardäre lange Zeit gute Presse. Das galt für den Apple-Pionier Steve Jobs, der sich mit seiner asketischen Ausstrahlung und seinem Gespür für große Auftritte eine beeindruckende Fangemeinde herangezogen hatte. Es traf ebenso auf Elon Musk zu, der weithin als Innovator des Fahrzeugbaus und Totengräber des Verbrennermotors gepriesen wurde. Und es galt auch für den immer ein wenig lausbübisch dreinschauenden Meta-Gründer Mark Zuckerberg, dessen bekanntestem Produkt Facebook man zwar nicht denselben Nutzwert bescheinigen wollte wie einem iPhone oder einem Tesla, den aber dennoch stets der Hauch des visionären Wunderkinds umwehte. Eine Charakterzeichnung, die sich in der allgemeinen Wahrnehmung durch David Finchers The Social Network weiter verfestigte und eine Mischung aus Beklemmnis und Bewunderung nach sich zog.Nur ändern sich die Zeiten: Jobs ist lange tot. Musk hat sich in den Augen vieler zu einer Art Superschurken gewandelt, der in Missachtung deutscher Diskursgepflogenheiten den Kanzler einen „unfähigen Narren“ nennt und Gastbeiträge zugunsten der AfD verfasst. Und Zuckerberg? Der scheint sich seinen Konmilliardär immer mehr zum Vorbild zu nehmen. Zumindest ist das der Eindruck, den man den Reaktionen auf jenen Instagram-Clip entnehmen konnte, in dem der 40-Jährige jüngst diverse Änderungen in seinem Netzimperium bekanntgab. Darunter diejenige, der Redefreiheit größeres Gewicht einzuräumen, kontroverse Meinungen zu Themen wie Migration und Gender zuzulassen und vor allem keine Faktenchecker mehr zu beschäftigen, die Beiträge auf ihren Sachgehalt prüfen und bei Beanstandung mit einem Warnhinweis versehen.Nun könnte man annehmen, dass dies allenfalls zur Randnotiz taugt, zumal es ohnehin nur für die USA gilt. Hierzulande wird sich auch dank des Digital Services Act der Europäischen Union nur wenig ändern. Und doch ist die Aufregung groß und es ertönt ein lautes Zetermordio aus der Presse, die einmal mehr nicht weniger als die Demokratie selbst in Gefahr wähnt. Vor allem die Schärfe der Reaktion irritiert dabei: Einerseits, weil in ihr die eigenartige Ansicht aufscheint, bei den Meta-Plattformen handele es sich um eine Art Digitalallmende statt um ein kommerzielles Onlineangebot, für das die alte Marktdevise love it or leave it gilt. Und andererseits wegen der Unterstellung, der Konzern lege die Axt an lang etablierte Grundpfeiler des Meinungsaustauschs, obwohl es sich in Wahrheit um relative Neuerungen handelt. So greift etwa Facebook erst seit 2016 auf Faktenchecks zurück, Instagram gar erst seit 2019. Weder ist es ein Tabubruch, hier nach einiger Zeit Bilanz zu ziehen, noch illegitim, dabei zu der Einsicht zu gelangen, dass man über das Ziel hinausgeschossen ist.Weder ist es ein Tabubruch, hier nach einiger Zeit Bilanz zu ziehen, noch illegitim, dabei zu der Einsicht zu gelangen, dass man über das Ziel hinausgeschossen ist.Denn insbesondere Faktenchecks sind vor dem Hintergrund der diversen Mischfälle, Grenzaussagen und Mehrdeutigkeiten im Netz alles andere als unproblematisch. Ein Beispiel zur Illustration: Politiker A behauptet, die Arbeitslosenquote betrage nicht fünf Prozent, sondern liege weit höher. Der Faktenchecker kann nun einen Blick in die Statistik werfen und monieren, dass dies nicht stimmt. Er würde so aber den Sinngehalt der Aussage verkennen, der ja gerade darin besteht, dass die ausgewiesenen fünf Prozent nicht die tatsächliche Zahl der Arbeitslosen abbilden (etwa weil manche Gruppen außen vor bleiben). Ebenso zweischneidig ist der Hinweis, dass für bestimmte Aussagen die Evidenz fehle, was in der Praxis häufig als Widerlegung verstanden wird. Dabei ist etwas, das nicht belegt werden kann, nicht gleich unwahr, sondern häufig schlicht eine Vermutung mit offenem Wahrheitsgehalt. Ein Faktenchecker hätte Ende 1972 wohl auch darauf hingewiesen, dass keine Evidenz dafür bestehe, Vertraute des US-Präsidenten Richard Nixon hätten das Hauptquartier der Demokraten verwanzen lassen. Und hätte damit seiner eigenen Logik nach richtig gelegen.Über die community notes, die die Faktenchecks ersetzen sollen, schreibt wiederum Der Spiegel, dass Meta die „Entscheidung, was wahr und falsch ist, […] künftig auf seine Nutzer [abwälzt]“. Auch dies verrät eine seltsame Sicht der Dinge, ganz so, als seien besagte Nutzer dazu weniger in der Lage als private Dienstleister oder als gäbe es eine Notwendigkeit, solche Entscheidungen überhaupt zu treffen und Social-Media-Betreiber den Rang von Wahrheitsagenturen zuzuweisen. Leicht lässt sich die gegenteilige Position vertreten, nämlich die, dass es sich primär immer noch um Plattformen handelt, deren Besucher weder belehrt noch aufgeklärt werden müssen. Beim Gespräch in der Kneipe oder im Sportverein liegt es schließlich auch an einem selbst, abzuschätzen, was man seinem Gegenüber glauben kann. Dies umso mehr, als eine gesunde Skepsis gegenüber allem Gesagten zum Einmaleins kommunikativer Vernunft gehört – und was für Kneipenbekanntschaften gilt, sollte für den digitalen Raum erst recht gelten.So gesehen zeugt die Klage über das Ende der Faktenchecks vor allem vom Misstrauen gegenüber der Misstrauenskompetenz der Bevölkerung. Oder weniger zirkulär formuliert: gegenüber ihrer Fähigkeit, eigenständig zu denken und eigenverantwortlich zu bewerten. Nun kann man einwenden, dass sich im digitalen Raum zahlreiche Nutzer tummeln, denen man diese Fähigkeit aufgrund ihrer Leichtgläubigkeit oder ideologischen Verbohrtheit tatsächlich absprechen möchte. In beiden Fällen scheinen Faktenchecks aber nur bedingt hilfreich, denn der Leichtgläubige lässt sich so kaum auf Dauer einfangen und den Ideologen verhärten sie womöglich erst recht, indem sie ihm das Gefühl geben, seine politischen Überzeugungen würden mit unlauteren Mitteln angegriffen. Doch selbst wenn man hier eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit annähme, bliebe der ungute Nachgeschmack, dass da irgendwo Dritte sitzen, die in einer grau schattierten Welt den Daumen über die Richtigkeit kontroverser Inhalte heben oder senken. Die also eigenmächtig entscheiden, wo die Grenze verläuft zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen fehlendem und noch ausreichendem Kontext.Mit Rechtspopulismus hat all das nicht das Geringste zu tun.Zum Teil scheint es freilich so, als stoße man sich in Deutschland weniger an den Änderungen selbst als daran, dass man durch sie erneut die lange Nase aus Übersee gezeigt bekommt. Aus diesem Blickwinkel ist Zuckerbergs Vorstoß vor allem ein weiterer Akt im europäisch-amerikanischen Digitaltheater, das seine Zuseher regelmäßig mit diversen special effects wie Strafzahlungen und kommissionellem Theaterdonner unterhält. Dabei prallen zwei stark auseinanderlaufende Mentalitäten aufeinander: die europäische Abneigung gegenüber harter, verletzender oder irreführender Sprache und der amerikanische Drang nach unbedingter Redefreiheit; der hiesige Wunsch nach der grenzsetzenden Hand des Staates und die dortige Überzeugung, dass sich der Bürger selbst am besten um seine Angelegenheiten kümmern kann. Beide Vorstellungen sind legitim und lassen sich mit vernünftigen Argumenten vertreten. Kaum vernünftig ist es jedoch, in Selbstgefälligkeit oder Larmoyanz abzugleiten, als kenne man allein das einzig richtige Verhältnis von Autonomie und Intervention.Zum Teil werden dabei gar sonderliche Volten geschlagen, etwa wenn Der Spiegel Zuckerberg den Gebrauch „rechtspopulistischer Kampfbegriffe“ mit der Begründung vorwirft, dass in dessen Statement von „Zensur“ und „Altmedien“ die Rede gewesen sei. In Wahrheit verhält es sich so, dass das kritisierte to censor im Englischen längst nicht denselben totalitären Einschlag hat wie sein deutsches Pendant, dem in der Regel ja auch ein unmittelbar hoheitlicher Charakter zukommt („Eine Zensur findet nicht statt“). Und was so schwunghaft mit „Altmedien“ übersetzt wird, heißt im Original legacy media und ist ein positiv konnotierter Begriff, der auch in der Washington Post oder an medienwissenschaftlichen Fakultäten Verwendung findet. Mit Rechtspopulismus hat all das nicht das Geringste zu tun. Vielmehr handelt es sich um einen Allerweltsduktus mit wenig Potenzial für ernsthafte Sprachkritik.Lohnender wäre ohnehin, zu reflektieren, ob manche von Zuckerbergs Ausführungen nicht doch Hand und Fuß haben. „Wir haben einen Punkt erreicht, an dem es einfach zu viele Fehler gibt“, verweist er etwa auf die vielen Fälle, in denen das hauseigene Moderationssystem versagt hat und valide Inhalte vorschnell entfernt wurden. Ebenso bedenkenswert erscheint das Argument, dass Faktenchecker – unabhängig von ihrer Sinnhaftigkeit – häufig den Eindruck politischer Voreingenommenheit vermitteln und mehr Vertrauen zerstören als herstellen. Es mag nicht jedem gefallen, aber man kann sich daran stören, dass jede neue Unwahrheit Trumps minutiös ausgeschildert wird, Behauptungen über die angeblichen Verstrickungen des neuen Präsidenten mit Russland aber nur selten entsprechende Hinweise erhalten. Zuckerberg, der lange liberale Anliegen vertreten und sich im Wahlkampf 2024 politische Neutralität auferlegt hat, ob solcher Erwägungen zum Rechtsaußen zu stilisieren, ist der letzte, vielleicht aber beste Beleg dafür, wie sehr die Debatte den Boden der Tatsachen zu verlassen droht.Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal

Quelle: IPG Journal