Gehen nach der Energiewende in Deutschland die Lichter aus?
Deutschland ist der größte Strommarkt der EU - und war ein Vorreiter bei grünen Energiequellen wie Sonne und Wind.
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Doch jetzt, wo das Ende der letzten deutschen Atomkraftwerke bevorsteht und auch der Ausstieg aus der Kohleverstromung beschlossen ist, warnen Experten vor Engpässen bei der Stromversorgung. Von einem "Drahtseilakt ohne Sicherungsnetz" spricht Katherina Reiche vom Verband kommunaler Unternehmen (VKU), der regionale Stromversorger vertritt. Die Regierung habe bei der Energiewende nicht alle Szenarien durchgespielt. Die Bundesregierung erklärt hingegen, die Lage sei sicher: Wegfallende Strommengen aus Atom- und Kohlekraftwerken könnten durch mehr Energieeffizienz und Sonnen- und Windstrom ersetzt werden - und durch Importe.
Stromversorger und Netzbetreiber warnen dagegen, in längeren Schlechtwetterperioden könne der Beitrag Erneuerbarer Energiequellen vernachlässigbar gering werden - zumal es noch keine nennenswerten Speichermöglichkeiten gebe. Und selbst bei guten Wetterbedingungen bleibe das Transportproblem: Das Leitungsnetz zwischen norddeutschen Windparks und süddeutschen Großverbrauchern sei um Jahre schlechter, als es sein sollte.
VOM EXPORTEUR ZUM IMPORTEUR
Stefan Kapferer, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), hält es für riskant, sich auf Stromimporte zu verlassen, wenn gleichzeitig auch die europäischen Nachbarländer ihre Systeme umstellten: "Fast überall in Europa gibt es einen Rückgang konventioneller Kapazität und einen Zubau volatiler Leistung". Dazu kommt, dass die Atomkraftwerke des Strom-Exportlandes Frankreich sehr alt sind, was die Wahrscheinlichkeit von Kapazitätsrückgängen erhöht. Die Bundesregierung weist die Befürchtung zurück, dadurch wachse das Risiko: Die Wahrscheinlichkeit von gleichzeitigen Kraftwerksausfällen oder in ganz Europa einheitlichen Wetterbedingungen sei sehr gering.
Aber auch ohne Versorgungsprobleme dürfte ein Wandel Deutschlands vom großen Stromexporteur zum Importeur die miteinander verbundenen Strommärkte Europas in Aufruhr versetzen. Zurzeit ist Deutschland Netto-Exporteur in die Schweiz, nach Österreich, Polen und in die Niederlande, die wiederum Teilmengen davon nach Belgien und Großbritannien weiterliefern. Deutschland erzeugt rund 20 Prozent des Stroms in der EU, Frankreich weitere 17 Prozent.
GROSSE STROMKUNDEN MACHEN SICH SORGEN
Sorgen machen sich nicht nur Stromerzeuger, sondern auch große Kunden: "Auf konventionelle Energieversorgung können wir als energieintensive Industrie erst verzichten, wenn die Erneuerbaren zuverlässige Versorgung sicherstellen", sagt Volker Backs, der den Alu-Hersteller Hydro Aluminium Rolled Products GmbH im rheinischen Grevenbroich leitet. Auch der Aluminium-Konzern Trimet mit drei Werken in Nordrhein-Westfalen ist auf eine kontinuierliche Versorgung mit Grundlaststrom angewiesen, wie Vorstandschef Philipp Schlüter sagt: "Der geplante frühzeitige Ausstieg aus der Kohleverstromung erfüllt uns deshalb mit großer Sorge".
Nach Daten von Netzbetreibern sollen in den kommenden zehn Jahren in Europa Kohle- und Atomkraftwerke mit rund 100 GW Kapazität geschlossen werden, gleichzeitig sind mehrere hundert GW an Offshore-Windparks vor Europas Küsten geplant. Deutschland allein wird bis 2022 Kapazitäten von 12,5 Gigawatt (GW) an Kohlestrom und seine restlichen 10 GW Atomstrom stilllegen, so dass etwa 80 Gigawatt an konventioneller Stromerzeugung verbleiben. Zusammen mit wachsenden Ökostrom-Kapazitäten und der Möglichkeit von Importen könne das Land damit seine bei etwa 82 GW liegenden Bedarfsspitzen komfortabel decken, sagt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). In der weiteren Region Europa geben es Überkapazitäten von 80 bis 90 GW.
Unterstützt wird Altmaiers Position von Umweltschützern, die Stromkonzernen vorwerfen, die Gefahr von Blackouts zu übertreiben. "Das Motiv ist durchsichtig: Es soll Druck gemacht werden für die Bezahlung von Kapazitäten, die sonst am Markt keine Chance hätten", sagt der Grünen-Bundestagsabgeordnete Oliver Krischer.
Fabian Joas, Energieexperte beim Berliner Thinktank Agora Energiewende, sagt, der Weg zu einer erneuerbaren europäischen Stromversorgung werde sicher noch etwas holprig werden. "Aber dass wir auf lange Sicht ein Stromsystem mit fast vollständig erneuerbaren Energien betreiben können, darin sind sich alle einig, die was von der Sache verstehen."
- von Vera Eckert
Frankfurt (Reuters)
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