Fluch oder Segen?

Smarte Assistenz: Wie verändert künstliche Intelligenz den Arbeitsalltag?

06.03.23 21:03 Uhr

Smarte Assistenz: Wie verändert künstliche Intelligenz den Arbeitsalltag? | finanzen.net

Der Chatbot ChatGPT schafft es aktuell mit bestandenen Medizinertests und täuschend echten Gemälden immer wieder in die Schlagzeilen. Während die einen staunen, was die KI so alles kann, bangen die anderen um ihren Job. Expertinnen und Experten erklären, wie sich der Arbeitsalltag ihrer Einschätzung nach realistisch betrachtet verändern wird.

Wie lange dauert es, bis künstliche Intelligenz uns im Arbeitsalltag gänzlich ersetzt? Diese Frage stellen sich aktuell viele - und bangen um ihre Jobs, wenn es ChatGPT mit neuer Kunst oder einem bestandenen Medizinertest wieder in die Schlagzeilen schafft.

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Dass künstliche Intelligenz (KI) tatsächlich schon lange Teil der Arbeitswelt ist, rückt dabei oft in den Hintergrund: Etwa beim Chemiekonzern Henkel unterstützt ein Chatbot in der Kundenberatung bei der Entfernung von Flecken, bei Bosch steuert eine KI scheinbar einige Produktionsprozesse und bei der Deutschen Bank wird die Echtheit von Kundendaten mithilfe einer KI geprüft.

Ganze Jobs können KIs noch nicht ersetzen

Dazu zitiert das Handelsblatt Marie-Christine Fregin von der Universität Maastricht wie folgt: "Aktuelle KI-Systeme sind in der Regel auf Spezialaufgaben trainiert und hochgradig spezialisiert." Kognitive Aufgaben hingegen könnten bislang nur wenige KIs tatsächlich zuverlässig übernehmen. Ähnlich schätzt auch Georg von Richthofen aus der Forschungsgruppe Innovation, Entrepreneurship und Gesellschaft vom Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) die aktuelle Lage ein. Momentan sei es noch nicht möglich, ganze Stellen zu streichen und die Aufgaben durch KIs ausüben zu lassen, so von Richthofen gegenüber dem Handelsblatt. "Langfristig ist das aber denkbar." Nicht so sicher ist sich da Matthias Peissner vom Fraunhofer Institut für Arbeitswissenschaft und Organisation (IAO). Für ihn besteht kein Grund zur Panik - zwar könnten KIs bestimmte Aufgaben wie beispielsweise Literaturrecherchen bereits übernehmen und in Zukunft etwa bei der Bildanalyse in der Radiologie nützlich sein. "Ich würde aber nicht davon sprechen, dass sie in der Breite ganze Jobs ersetzen kann", so der Experte gegenüber dem Handelsblatt. Für Peissner ist klar, dass langfristig weniger Menschen am Arbeitsplatz gebraucht werden - doch dies sei kein Nachteil: Insbesondere in Ländern wie Deutschland, in denen großer Fachkräftemangel herrscht, benötige man die KI, um den demografischen Wandel abzufangen.

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Der Berufsalltag wird sich ändern - KIs übernehmen einfache Aufgaben

Auch Fregins Kollege Michael Stops vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung äußert sich gegenüber dem Handelsblatt zum Thema: KIs wie ChatGPT seien zwar ein großer Fortschritt und sehr innovativ, aber auch "das stößt jedoch schnell an seine Grenzen, sobald es um Informationen geht, die rechtssicher, fachlich korrekt und aktuell sein müssen." Am Beispiel von ChatGPT könne man gut sehen, dass die Arbeit von KIs zwar immer plausibel, aber nicht zwangsweise auch inhaltlich richtig ist. Deswegen wird seiner Einschätzung nach immer ein Mensch die Arbeit von KIs kontrollieren und überprüfen müssen, wenn qualitativ hochwertige Ergebnisse erzielt werden sollen. Es sei also eher unwahrscheinlich, dass in den nächsten Jahrzehnten ganze Jobs wegfallen und Angestellte vollständig durch KIs ersetzt werden. Ändern werde sich der Berufsalltag für viele trotzdem, und zwar in dem Sinne, dass zukünftig mehr einfache Prozesse von den KIs übernommen werden und die Menschen sich wichtigeren Dingen widmen können. Hier bestehe jedoch die Gefahr, dass sich die Arbeit für normale Angestellte stark auf Aufgaben verdichtet, die für die KI zu komplex sind. Dadurch könne der Arbeitsalltag für viele deutlich anstrengender werden, als er es aktuell ist. Deswegen, so von Richthofen gegenüber dem Handelsblatt, dürfen die Arbeitgeber nicht den richtigen Moment für eine Weiterbildung ihrer Angestellten verpassen. Es sei wichtig, die Anforderungen an die Angestellten anzupassen und dabei zu berücksichtigen, dass der Arbeitsalltag durch die Arbeit mit KIs nicht zu dicht und anstrengend wird.

KIs können keine moralischen Urteile fällen oder ein Problembewusstsein entwickeln

Weiter sei es wichtig, "Beschäftigte rechtzeitig im Aufbau der KI-Fähigkeiten zu unterstützen, die für ihre Bereiche relevant sind", so von Richthofen. Das bedeute nicht, dass alle in den nächsten zehn Jahren Programmieren lernen müssen - aber das Training von KIs könne durchaus bald zum Arbeitsalltag vieler Angestellter gehören.

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Dass sich Angestellte in Deutschland dennoch keine Sorgen um ihren Job werden machen müssen, glaubt auch Peissners Kollegin Martina Braun: "KI fühlt nicht", erklärt die Expertin gegenüber dem Handelsblatt. Systeme wie ChatGPT seien nicht in der Lage, moralische Urteile zu fällen, feinfühlig zu kommunizieren oder ein Problembewusstsein zu entwickeln - dafür werde man immer Menschen benötigen. Die menschliche Expertise scheint also nicht allzu bald überflüssig zu werden. Und deswegen, so Peissner, können KI-Assistenten auch höchstens kurzfristig helfen. Denn wenn die Menschen keine Berufspraxis in ihrem Fachbereich haben, verlieren sie auch ihre Expertise. Vorerst dürfte der deutsche Arbeitsmarkt also sicher bleiben - sofern man anpassungsfähig ist und sich nicht scheut, sich die KI zunutze zu machen.

Redaktion finanzen.net

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