Digitalisierung

Digitale Wahlen - bald auch in Deutschland?

05.04.23 22:21 Uhr

Digitale Wahlen - bald auch in Deutschland? | finanzen.net

Anfang März fanden in Estland die Parlamentswahlen statt. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes wurde die Mehrheit der Stimmen digital abgegeben. Wie funktioniert die digitale Wahl und wäre eine solche auch in Deutschland denkbar?

Digitaler Staat Estland

Estland gilt als Pionier in Sachen Digitalisierung: Das nördlichste der drei baltischen Länder erlaubt seinen Bürgern, alle bis auf zwei Verwaltungsangelegenheiten digital zu erledigen. In Estland ist es etwa möglich, staatliche Förderungen wie Elterngeld online zu beantragen, in nur wenigen Minuten online ein Unternehmen im Handelsregister eintragen zu lassen oder Arzneimittelrezepte abzurufen. Einzig die Hochzeit und die Scheidung sind der persönlichen Vorsprache vorbehalten - doch selbst hier wird der Prozess weitestgehend digitalisiert. Von der Digitalisierung verspricht sich Estland, attraktiv für Unternehmen und Bürger zu sein, Bürokratie nicht ausufern zu lassen und letztendlich auch Steuergelder einzusparen: Allein durch die unkomplizierte Möglichkeit einer digitalen Signatur von Dokumenten spart das Land mit seinen etwa 1,3 Millionen Einwohnern eigenen Angaben zufolge jeden Monat einen 300 Meter hohen Papierstapel ein.

Wahl nur vom Computer

Die digitale Wahl fand in einem Zeitraum vor der physischen Wahl statt und endete bereits vier Tage bevor die eigentliche Wahl stattfand. Wie man es von einer digitalen Wahl erwarten würde, war es möglich, rund um die Uhr seine digitale Stimme abzugeben. Hierfür musste man ein dafür vorgesehenes Programm auf seinem Computer installieren - die E-Wahl per Smartphone oder Tablet war unterdessen keine Option. Mit einem persönlichen Verifizierungscode konnte man sich im Wahlprogramm anmelden, seinen favorisierten Kandidaten oder die Partei auswählen und schließlich mit Angabe eines zweiten Sicherheitscodes und einer digitalen Signatur endgültig die Stimme abgeben. Doch endgültig war der Vorgang nicht: Sollte man sich seine Wahl anders überlegen, konnte man im E-Voting-Zeitraum jederzeit erneut wählen, die vorherige Wahl wurde automatisch ungültig und nur die letzte Stimme zählte. Auch war es möglich, am Wahltag persönlich seine Stimme auf dem herkömmlichen Weg per Stimmzettel abzugeben, auch in diesem Fall wurde eine vorher über das Internet abgegebene digitale Stimme für ungültig erklärt. Um Sicherheitsrisiken und Manipulationen vorzubeugen, hatten die estnischen Behörden eigenen Angaben zufolge hohe Sicherheitsstandards bei der Programmierung des E-Wahlsystems angelegt, die durch mehrere Faktoren, wie die Verifizierung mit mehreren Sicherheitscodes und die geschützte Signatur eingehalten wurden.

Strenge Vorgaben in Deutschland

In Deutschland ist man noch weit entfernt von der Möglichkeit, seine Stimme digital abgeben zu können. Bei der Bundestagswahl 2005 wurden Wahlcomputer eingesetzt, die die Stimmabgabe und die Auswertung der Stimmen erleichtern sollten. Auf eine Wahlbeschwerde hin entschied das Bundesverfassungsgericht 2009, dass die Verwendung solcher Geräte nur dann zulässig ist, wenn wesentliche Schritte der Wahlhandlung und der Ergebnisermittlung von Bürgern ohne besondere Sachkenntnis überprüft werden können. Bei den benutzten Wahlcomputern war dies nicht der Fall, Wahlcomputer sind seither in deutschen Wahllokalen nicht mehr anzutreffen. Die Bundeswahlleiterin ergänzt für Online-Wahlen, dass die Kontrollmöglichkeit der Bürger, analog zur Anwesenheit bei der Stimmauszählung, bei Online-Wahlen nicht oder nur unter erheblichem Aufwand möglich sei. Auf der anderen Seite sehen Befürworter der Wahl per Internet, dass auf diese Weise zusätzliche Wählergruppen mobilisiert werden können und die Wahlbeteiligung insgesamt steigen wird - ein Gewinn für die Demokratie. Ob dies tatsächlich der Fall ist, bleibt fraglich: In Estland pendelt die Wahlbeteiligung seit Einführung der E-Wahl bei den Parlamentswahlen um 63 Prozent - bei den ersten Wahlen nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion fanden sich noch etwa 68 Prozent der Wahlberechtigten in den Wahllokalen ein. Zum Vergleich: In Deutschland lag die Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2021 bei 76,6 Prozent.

Redaktion finanzen.net

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