Schwäche als Stärke

Schwellenländer: Wo die größten Chancen liegen

28.08.15 14:00 Uhr

Schwellenländer: Wo die größten Chancen liegen | finanzen.net

In den vergangenen sechs Jahren haben Aktien aus den Emerging Markets unterm Strich nichts eingebracht. Inzwischen sind die Märkte günstig. Doch nicht jedes Land ist gleich.

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von Olaf Wittrock, Euro am Sonntag

Die Nachrichten aus den Schwellenländern sind alarmierend: In China kam es zu einem Börsencrash. Nun hat Peking die Landeswährung abgewertet, um Wachstum und Exporte anzukurbeln - was auf manche Beobachter wie eine Panikreaktion wirkt. Brasilien kämpft derweil mit einer Mixtur aus Nullwachstum, hoher Inflation und steigenden Zinsen und ächzt unter dem Preisverfall bei Rohstoffen.

Russland und Nigeria sind ebenfalls vom Rohstoffpreisverfall betroffen. Wobei in Russland zudem die politische Lage durch den Ukraine-Konflikt angespannt ist und Nigeria unter dem Terror des Netzwerks Boko Haram leidet. In der Türkei drohen Neuwahlen und eine weitere Eskalation des Syrien-Konflikts. Und über all dem schwebt das Damoklesschwert einer baldigen Erhöhung der US-Leitzinsen, die für viele Emerging Markets, wie diese aufstrebenden Länder genannt werden, gleichbedeutend mit einer höheren Schuldenlast sein dürfte.

Die Reaktion der Investoren ist eindeutig: Anleger zogen massiv Kapital aus diesen Ländern ab. Im Juli verloren die Schwellenländerbörsen drastisch an Wert. Der Aktienindex MSCI Emerging Markets stürzte 7,3 Prozent ab, die etablierten Märkte legten um 1,7 Prozent zu. Die Schere in der Wertentwicklung zwischen Aktien aus Industrienationen und aufstrebenden Volkswirtschaften war damit so groß wie seit 1998 nicht mehr. "Momentan bestimmen Ängste über die weitere Entwicklung in China, die unklare Lage in Brasilien, steigende Zinsen und andere Sorgen die Schlagzeilen", sagt Ross Teverson, Leiter des Schwellenländer-Aktienteams bei der Fondsgesellschaft Jupiter in London. "All das hat die Bewertungen an den Aktienmärkten in Emerging Markets deutlich heruntergedrückt."

Kurssturz schafft Kaufgelegenheit

Für Teverson ist das kein Grund zum Verzweifeln - er sieht vielmehr eine steigende Zahl von Kaufgelegenheiten und wirbt für einen Einstieg in die Märkte: "Die besten Zeiten, um in Schwellenländern zu investieren, waren nie jene, in denen alle dorthin wollten." Tatsächlich steckt hinter diesem Appell mehr als Zweckoptimismus. Denn wer die Kursentwicklung der aufstrebenden Länder betrachtet, stellt fest: Zwar gehören China, Indien, Brasilien und Co im Zehnjahres-Rückblick mit im Schnitt über zehn Prozent Rendite pro Jahr zu den profitabelsten Anlagezielen. Doch die vergangenen sechs Jahre waren aus Anlegersicht verloren: Der MSCI Emerging Markets steht heute fast genau auf demselben Stand wie im Herbst 2009.

Währenddessen haben sich die Aktienkurse in der entwickelten Welt mehr als verdoppelt. "Rein von den Bewertungen her würde ich mir um die Börsen im Westen inzwischen mehr Sorgen machen", sagt Leopold Quell, Fondsmanager mit China-Schwerpunkt bei Raiff­eisen Capital Management in Wien: "Die meisten Gründe für die aktuelle Skepsis gegenüber Schwellenländern sind durch die schlechte Kursentwicklung der vergangenen Jahre bereits eingepreist." Auch die jüngste Intervention der Chinesen am Währungsmarkt löse in der Region keinen Schock aus. "Man sollte sich als Investor damit befassen, dass China nicht mehr so stark wachsen wird wie in der Vergangenheit", sagt Quell. "Das ist aber keine neue oder überraschende Entwicklung."

Einzeltitel statt Länderauswahl

Sollte man den mit Abstand größten Kapitalmarkt der Emerging Markets also meiden? Nicht unbedingt. Auch wenn China gegenüber anderen Schwellenländern mit Blick auf Konjunktur, demografische Entwicklung oder Verschuldungssituation nicht die günstigsten Ausgangsbedingungen hat, halten Fondsmanager viele Titel des Landes weiter für attraktiv. Jupiter-Fondsmanager Teverson favorisiert zum Beispiel Infrastruktur-Dienstleister wie den in den USA gelisteten Konzern für Industrie­automation Hollysys oder E-Commerce-Größen wie das chinesische Google-Pendant Baidu.

Emerging-Markets-Kenner sind ohnehin weit davon entfernt, sich bei der Aktienauswahl zu sehr mit dem großen makroökonomischen Bild zu befassen. Nahezu alle Fonds in dem Segment arbeiten nach der Bottom-up-Methode, suchen also aussichtsreiche Titel in sämtlichen Märkten, sei es in China, Indien, Mexiko, Südafrika oder Indonesien. Die Ländermischung in den Fonds ergibt sich dann fast zufällig. Und sie weicht oft deutlich von den Gewichten der Märkte in großen Indizes ab.

"Stockpicking, also die Suche nach attraktiv bewerteten Einzeltiteln, war nie so wichtig wie jetzt, wo wir in vielen Ländern Wachstumsdellen sehen", sagt Martin Fechtner, Portfoliomanager für Schwellenländer bei Edmond de Rothschild. Er setzt mit seinem Team gezielt auf Investmentthemen wie E-Commerce oder Bildung, meidet umgekehrt Beteiligungen an staatsgeführten Unternehmen wie den chinesischen Banken. Was die Länderauswahl im Fonds angeht, favorisiert er momentan unter den größeren Märkten Mexiko und Indien. Zudem böten sich in kleineren asiatischen Staaten wie den Philippinen oder Vietnam interessante Anlagechancen. Von Aktien aus Russland und der Türkei hält Fechtner sich weitgehend fern. "Wir sind wegen der politischen Unsicherheit dort sehr vorsichtig."

Hightech aus Südkorea und Taiwan

Eine besondere Stellung nehmen zwei weitere Asien-Schwergewichte ein: Taiwan und Südkorea. Beide Staaten zählen historisch, kulturell und regional zwar zu den aufstrebenden Volkswirtschaften, ähneln aber in ihrer Wirtschaftsstruktur entwickelten Märkten. Für Fondsmanager sind sie vor allem aus einem Grund interessant: Sie bieten Hightechaktien auf Weltniveau, vor allem in Korea gepaart mit starken, auch im Westen verbreiteten Marken.

Samsung und Hyundai etwa finden sich in fast allen Schwellenländer-Fonds. Aus Taiwan stammen nicht nur viele Teile der iPhones von Apple, sie werden auch von taiwanischen Unternehmen gefertigt. "Wir sind in beiden Märkten untergewichtet. Die Länder bieten Investoren aber Möglichkeiten, Technologieschwerpunkte zu setzen, die man anderswo nicht findet", sagt Fechtner.

Dass diese Länder stark von der benachbarten chinesischen Wirtschaft abhängen und daher gerade keine gute Presse haben, schreckt die Manager nicht ab. Thomas Schaffner, Co-Portfoliomanager beim Sustainable Emerging Markets Leaders Fonds des schweizerischen Anbieters Vontobel, gibt sich ähnlich gelassen wie seine Kollegen: "Die Stimmung unter Anlegern ist sehr negativ und die Bewertung der Aktienmärkte günstig, was in der Regel positiv ist." Zugleich böten die Schwellenländer nach wie vor höhere Wachstumsraten als der Rest der Welt. "Die gegenwärtige Lage bietet langfristig orientierten Anlegern gute Einstiegschancen."

Investor-Info

Vontobel EM Equity Fund
Null-China-Politik

Star-Fondsmanager Rajiv Jain schert sich ­wenig um Benchmarks. Und so finden sich in dem milliardenschweren Schwellenländerfonds einige Eigenheiten: Jain ist schon seit einigen Jahren nicht mehr in China investiert, auch sein Hongkong-Engagement hat er reduziert. Dafür hat er mehr als ein Viertel des Fonds in seinem Heimatland Indien angelegt. Daneben zählen Brasilien, Mexiko und Thailand zu seinen Favoriten. Ein Großteil der Aktien im Fonds stammt von Konsumgüterherstellern. Auch Banken und IT-Konzerne sind hoch gewichtet. Der Fonds notiert in US-Dollar. In Euro gerechnet steht für Anleger auf Jahressicht ein Plus von knapp zwölf Prozent.

iShares MSCI EM SmallCap ETF
Bunte Asien-Mischung

Wer die hohen Gebühren für ein aktives Fondsmanagement scheut, aber auch nicht in einen passiven Standardwertefonds anlegen will, bekommt mit diesem ETF eine Mischung kleinerer Aktien aus Schwellenländern. Das ist zwar noch kein Stockpicking, bringt aber eine bunte Mischung ins Depot. Zum Beispiel den südafrikanischen Kaffee-, Tee- und Kekskonzern Avi, den südkoreanischen Botoxhersteller Medy-Tox oder den chinesischen Autozulieferer Minth, der unter anderem Kühlermarkenzeichen und Radkappen fertigt. Asien dominiert in dem Fonds, 60 Prozent des Geldes fließen nach China, Südkorea und Taiwan.

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