Kleine Firmen bieten in Schwellenländern große Chancen
Portfolio-Strategin von Goldman Sachs, Kathryn Koch, erklärt, warum Anleger trotz Aufständen und Inflation auf Schwellenländer im Depot nicht verzichten sollten.
von Peter Gewalt, €uro am Sonntag
Kathryn Koch ist Schwellenländerexpertin und Senior Portfolio Strategist bei Goldman Sachs Asset Management. €uro am Sonntag sprach mit ihr über Risikostaaten, den Computermangel in Indien und warum sie auf kleinere Unternehmen setzt.
€uro am Sonntag: Frau Koch, Revolutionen im Nahen Osten, Inflationsangst in China – derzeit gibt es eine ganze Reihe negativer Nachrichten aus den Schwellenländern. Warum sollte man sich als Anleger denn die Risiken mit Aktien aus den aufstrebenden Nationen ins Depot holen?
Kathryn Koch: Weil man - einfach ausgedrückt – ebenfalls Risiken eingeht, wenn man Schwellenländeraktien nicht im Portfolio hat. Unseren Berechnungen zu Folge wird das künftige Wachstum der Weltwirtschaft bis zu 80 Prozent von Ländern außerhalb der traditionellen Industriestaaten kommen. Man kann es sich als Investor nicht leisten, dieses Potenzial im Portfolio nicht zu berücksichtigen
Aber zeigen die Entwicklungen zum Beispiel im Nahen Osten nicht, wie riskant die Emerging Markets immer noch sind?
Dazu muss ich etwas ausholen. Wir bei Goldman Sachs Asset Management gehen inzwischen nicht mehr von einem einheitlichen Block der Schwellenländer aus. Wir unterscheiden zwischen den so genannten Growth Markets, die mindestens ein Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts ausmachen und bestimmte Wachstumsbedingungen erfüllen. Dazu zählen wir die Bric-Staaten sowie vier der so genannten N-11 Länder: Mexiko, die Türkei, Korea und Indonesien. Dann gibt es noch eine große Gruppe von Schwellenländern, die noch zu klein sind oder aber die notwendigen Voraussetzungen für nachhaltiges Wachstum noch nicht aufweisen. In dieser Gruppe befinden sich zum Beispiel die übrigen sieben N-11 Länder Bangladesch, Ägypten, Iran, Nigeria, Pakistan, die Philippinen und Vietnam. Daneben gibt es eine Reihe von Schwellenländern, deren Volkswirtschaften zu klein sind oder keine ausreichenden Wachstumsbedingungen aufweisen. Darunter sind Staaten wie Vietnam, Nigeria oder Ägypten. Letztere sind aus verschiedenen Gründen riskanter und sollen im Portfolio eines Investors unserer Meinung nach nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Wie erkennen sie denn, wie riskant einzelne Länder für Investoren sind?
Wir sprechen lieber von den Wachstumsbedingungen der einzelnen Staaten. Hierfür haben wir den Growth Environment Score (GES) entwickelt. Dieser berücksichtigt länderspezifische Indikatoren zu den makroökonomischen Bedingungen und zur makroökonomischen Stabilität, zu politischen Rahmenbedingungen, zu Humankapital und Technologie.
Welche Länder schneiden gut, welche schlecht ab?
Ägypten etwa liegt in der GES-Rangliste derzeit weit hinten. Auch Bangladesh schneidet nicht so gut ab. Dagegen stehen Länder wie Korea und Brasilien, aber auch China vergleichsweise gut da.
Wie sieht die Situation für Indien und Russland aus?
Trotz seines starken Wachstumspotenzials hat Indien aktuell die schwächste GES Platzierung unter den acht Wachstumsmärkten und ist das einzige der acht Länder, dessen Werte sich unter dem Durchschnitt der entwickelten Märkte befindet. Das sollte durchaus als Warnung an die Regierung des Landes und für Investoren verstanden werden. Besondere Schwächen gibt es in den Bereichen politische Stabilität, der Haushaltslage und interessanterweise bei der Verbreitung von Computern und Internet. Auch Russland muss seine Wachstumskomponenten verbessern, sonst droht das Land hinter andere Wachstumsmärkte zurückzufallen.
Kann ein Growth Market wieder in den Schwellenländerstatus zurückfallen?
Ja, sicherlich, wenn einzelne Länder ihre Wachstumsbedingungen nicht verbessern und ihr Bruttosozialprodukt unter ein Prozent des weltweiten BIPs fällt.
Der Auftrieb der Rohstoff- bzw. Lebensmittelpreise sind Auslöser für Aufstände nicht nur im Nahen und Mittleren Osten. Ist dieses Problem für Schwellenländer schnell lösbar?
Nein, denn es sind gleich mehrere Faktoren, die Preise treiben. Einerseits sind die viele Schwellenländer auf Wachstumskurs und die Produktionskapazitäten sind sehr stark ausgelastet. Zudem kommen Teuerungseffekte durch die gestiegenen Rohstoffpreise hinzu.
Was macht Ihnen Hoffnung, dass die Inflation nicht außer Kontrolle gerät?
Steigende Lebensmittelpreise hatten jüngst zum Beispiel einen starken Einfluss auf die Gesamtinflation in den BRIC-Ländern aufgrund des starken Gewichts von Lebensmittel in den durchschnittlichen Konsum-Baskets. Brasilien, Indien und China erlebten einen seichteren Abschwung, gefolgt von einer stärkeren wirtschaftlichen Erholung, und deshalb sehen sich viele mit wenig oder keinen Kapazitätsreserven konfrontiert. Wir erwarten aufgrund dieser Entwicklungen, die wir aber für kurzfristig halten, eine Normalisierung der Inflationsraten. Darüber hinaus bleiben wir zuversichtlich, dass die politischen Entscheider in den BRICs und auch anderen Wachstumsmärkten in der Lage sind, das Inflationsrisiko im Griff haben, und wir glauben, dass jüngste Entscheidungen der Politik in diesen Ländern diese Erwartung unterstreichen.
Den Aktienmärkten dürften weitere Anti-Inflationsmaßnahmen der Zentralbanken wie etwa Zinserhöhungen aber nicht gefallen?
Nein, daher sind wir in das Jahr 2011 auch mit einem optimistischeren Ausblick für die Aktienmärkte entwickelter Nationen als für die Schwellenländerfinanzplätze gestartet. Langfristig ist aber das Gegenteil der Fall, da wird sich das Wachstumstempo der aufstrebenden Nationen in steigenden Kursen niederschlagen wird.
In welcher Weise sollten Anleger in Schwellenländer investieren?
Bei Fonds ist aktive Titelauswahl essentiell. Nur aktive Manager mit einem guten Team können etwa aussichtsreiche Small- und Midcaps finden, die in den Schwellenländern ganz besonders aussichtsreich sind.
Weshalb?
Die kleineren Unternehmen profitieren vom wachsenden Inlandskonsum stark und sind weniger vom internationalen Markt abhängig. Ein weiterer Vorteil der kleinen Werte ist, dass der Staatseinfluss geringer ist als bei Großunternehmen.