Katalonien-Konflikt: Achtung, auch europäische Börsen gefährdet!
Bislang sind nur spanische Wertpapiere unter Druck. Doch der Katalonien-Konflikt kann in eine Krise der EU umschlagen. Dann drohen auch an anderen Börsen Verwerfungen.
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von Jörg Billina, Euro am Sonntag
"Hurensöhne haut ab, wir wollen hier keine Besatzungsmacht!" Die Katalanen sind aufgebracht. Mit Schlagstöcken und Gummigeschossen hatte die von der Zentralregierung in Madrid entsandte Guardia Civil am vergangenen Sonntag versucht, das von der Regionalregierung Kataloniens angesetzte Unabhängigkeitsreferendum zu verhindern.
Dennoch haben laut der katalanischen Wahlkommission rund zwei Millionen von insgesamt 5,4 Millionen wahlberechtigten Bürgern ihre Stimme abgegeben. 90 Prozent davon hätten für die Loslösung von Spanien votiert. "Wir haben das Recht gewonnen, einen unabhängigen Staat zu haben", sagt Kataloniens Regierungschef Carles Puigdemont. Am kommenden Montag soll das Regionalparlament zusammentreten, um die "Independencia" zu erklären. Das spanische Verfassungsgericht hat die Sitzung jedoch ausgesetzt.
Mariano Rajoy verteidigt seinen Kurs: "Wir tun, was wir tun müssen", sagt Spaniens konservativer Ministerpräsident und verweist auf die Verfassung. Laut Artikel 2 ist die spanische Nation "unauflöslich". Das Referendum nennt Rajoy daher eine "Farce". Die Massenproteste in Barcelona, der Generalstreik vom Dienstag in Katalonien und sogar eine drohende Konfrontation der Guardia Civil mit katalanischen Sicherheitskräften sind für ihn keine Gründe zu versuchen, den Konflikt auf dem Verhandlungsweg zu lösen. Im Gegenteil: Die Regierung in Madrid erwägt Artikel 155 der Verfassung anzuwenden. Das hieße, Katalonien den Autonomiestatus abzuerkennen, die Regionalregierung abzusetzen sowie deren Mitglieder zu verhaften.
Rating in Gefahr
Die Unsicherheit über die weitere Entwicklung macht die Anleger nervös. Die Renditen spanischer Staatspapiere sind kräftig gestiegen. Der Abstand der zehnjährigen Anleihe zum entsprechenden Bundespapier beträgt mittlerweile 1,33 Prozentpunkte, das ist der höchste Stand seit April. Auch die Preise spanischer Kreditausfallderivate zogen deutlich an.
Moody’s hatte am Dienstag vor negativen Folgen für die Bonität Spaniens gewarnt. Das Land, das sich nach harten Anpassungen von den Folgen der Finanzkrise mittlerweile gut erholt hat, wird von der Ratingagentur mit der Investment-Grade-Note "Baa2" beurteilt. Sollte es zur Abspaltung Kataloniens kommen, würde Spanien 20 Prozent seiner Wirtschaftsleistung verlieren und müsste auf Steuerüberweisungen Kataloniens verzichten. Madrid dürfte es dann schwerer fallen, die Staatsschulden zu bedienen.
Auch von spanischen Aktien trennten sich die Investoren. Am Mittwoch verlor der Leitindex Ibex fast drei Prozent. Unter anderem hatte die Bank Société Générale zum Ausstieg geraten. Ihrer Ansicht nach dürfte es Ministerpräsident Rajoy schwerfallen, seine Reformpolitik fortzusetzen. Möglicherweise kommt es zu Neuwahlen.
An anderen europäischen Börsenplätzen zogen die Kurse dagegen an. Die Katalonien-Krise drückt den Euro, was wiederum exportorientierten Unternehmen Vorteile verschafft. Sollte die Krise in Spanien jedoch eskalieren, drohen europaweit schwere Turbulenzen.
Ratlosigkeit in Brüssel
Trotz der explosiven Lage will die EU-Kommission zwischen Madrid und Barcelona nicht vermitteln. Sie ruft die beiden Parteien lediglich zu einer gewaltfreien Lösung auf. Ansonsten vertritt Brüssel die Ansicht, es handle sich um eine innere Angelegenheit Spaniens, die in Einklang mit der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes zu behandeln sei. Veränderungen innerhalb der EU will Brüssel nicht zulassen.
Hinter der Politik der Nichteinmischung verbirgt sich tiefe Ratlosigkeit, wie man reagieren soll. Der Sezessionsstreit gefährdet nicht nur Spaniens wirtschaftliche Erholung und den Wohlstand im bislang ökonomisch erfolgreichen Katalonien (siehe Investor-Info). Die Loslösung wäre der Beginn vom Ende der bereits sehr fragilen EU, warnt Frankreichs früherer Premierminister Manuel Valls.
Denn auch in Italien, Schottland, Nordirland, Finnland, Frankreich oder Belgien gibt es separatistische Strömungen. Die Trennung Kataloniens von Spanien dürfte die Protagonisten motivieren, ihre Wünsche nach der Neuordnung ihrer Länder noch heftiger als bisher zu verfolgen.
Um diese abzuschrecken, warnt EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker daher die Regierung in Barcelona im Falle einer Unabhängigkeitserklärung vor einem Ausschluss Kataloniens aus der Staatengemeinschaft. Wie ein "Catalexit" von oben umgesetzt werden soll und wie schnell dieser erfolgen kann, ist jedoch völlig unklar.
Präzedenzfälle oder Regeln gibt es bislang nicht. Fraglich auch, ob ein Ausschluss ein probates Mittel ist, die Fliehkräfte innerhalb der EU zu bremsen. Nicht wenige Nationalisten streben ja genau den Austritt aus der EU beziehungsweise aus der Gemeinschaftswährung an.
Aber auch die EU-Unterstützung des harten Kurses Rajoys gegenüber Barcelona birgt die Gefahr, dass die Skepsis gegenüber der Union in den Mitgliedsstaaten weiter wächst und nationalistische Parteien profitieren. Parlamentsabgeordnete der Dansk Folkeparti, der Scottish National Party, der irischen Sinn Féin, der walisischen Plaid Cymru, der Wahren Finnen und der belgischen Vlaams-Belang-Partei haben inzwischen ihre Solidarität mit Katalonien erklärt. Brexit-Befürworter und Ex-Chef der britischen Ukip-Partei Nigel Farage wirft Brüssel die Verweigerung des Selbstbestimmungsrechts der Völker vor und zieht Parallelen zum Umgang der Sowjetunion mit renitenten Warschauer-Pakt-Staaten. "Die EU handelt völlig undemokratisch", behauptet er.
Angesichts der hochkomplexen Problematik und der in Madrid und Barcelona bislang gezeigten Entschlossenheit zur Eskalation ist die Hoffnung auf eine nachhaltige politische Klärung des Streits derzeit gering. Auch wenn die EU die Finanz- und Staatsschuldenkrise noch relativ gut gemeistert hat: Die Katalonien-Krise droht zu einer Belastungsprobe zu werden, der sie nicht mehr gewachsen ist.
Investor-Info
Katalonien
Spaniens Nummer 1
Katalonien ist die ökonomisch erfolgreichste Region Spaniens. Sie erwirtschaftet rund 21 Prozent des spanischen Bruttoinlandsprodukts und ein Viertel der gesamten Exporte. Die Arbeitslosenrate liegt mit etwa 15 Prozent deutlich unter dem landesweiten Durchschnitt. Neben historischen Differenzen entzündet sich der Streit mit Madrid an den Transferleistungen. Im Falle einer Trennung von Spanien könnte die Regierung in Barcelona über Steuermittel frei verfügen. Sollte Katalonien aus der EU ausgeschlossen werden, müsste es jedoch auf seine Exporte in die EU Zölle zahlen.
Aktienfonds Südeuropa UI
Schlechtes Sentiment
Andreas Hauser hat in seinem auf Frankreich und Südeuropa konzentrierten Fonds spanische Werte mit 24 Prozent gewichtet. Viele der in Madrid gelisteten Unternehmen hängen zwar wirtschaftlich nicht von Katalonien ab, sondern erzielen ihre Umsätze in der EU und anderen Regionen. Das negative Sentiment aber droht die Wertentwicklung zu belasten.
CHOM Active Return Europe
30 aus 2500
Die Fondslenker picken aus dem europäischen Aktienuniversum bis zu 30 Titel mit starken Wachstumsaussichten heraus. Spanische Aktien sind im Portfolio derzeit mit sieben Prozent gewichtet. Bei einzelnen Werten kann das Management auch auf fallende Kurse setzen. Auf Sicht von drei Jahren erzielte der Fonds über 57 Prozent.
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