Drees & Sommer

Urban Mining: Gebäude als Rohstoffretter statt Ressourcenverschwender

07.06.23 14:59 Uhr

Werbemitteilung unseres Partners
finanzen.net GmbH ist für die Inhalte dieses Artikels nicht verantwortlich


Urban Mining: Gebäude als Rohstoffretter statt Ressourcenverschwender | finanzen.net

Etwa 15 bis 16 Milliarden Tonnen Rohstoffe schlummern in Deutschlands Gebäudebestand - ein gigantisches Materiallager! Anstatt die enthaltenen Ressourcen bei Abriss und Umbau auf die Deponie zu befördern, zielt das Urban Mining-Prinzip auf die Wiederverwendung der in den Städten und Kommunen verbauten Baustoffe. Als erste Stadt Europas hat sich Heidelberg auf den Weg zur "Circular City" gemacht. Auch erste Wohnungsbauunternehmen gehen mit gutem Beispiel voran.

Rund die Hälfte des Abfallaufkommens in Deutschland entsteht durch Bau- und Abbruchabfälle. Davon wird nur ein geringer Teil wiederverwertet und das zumeist in minderwertigerer Form. Beton, Stahl, Holz oder Kunststoff landen bei Umbau- oder Abrissarbeiten häufig auf der Deponie oder als Füllmaterial im Straßenbau, obwohl sie für neue Bauvorhaben dringend benötigt und teuer bezahlt werden. Das will Heidelberg nun ändern und setzt als erste Stadt Europas mit dem Pilotprojekt "Circular City - Gebäude-Materialkataster für die Stadt Heidelberg" auf das sogenannte Urban Mining-Prinzip.

Was steckt in Heidelberg?

Bis spätestens 2050 will die Stadt Heidelberg klimaneutral werden und den Energiebedarf der Kommune um die Hälfte senken. Urban Mining, dem "Bergbau in der Stadt", kommt dabei eine Schlüsselrolle zu: Ziel des Projekts ist eine Analyse des gesamten Gebäudebestands, der in einem digitalen Materialkataster zusammengefasst wird. Das Kataster gibt anschließend Auskunft darüber, welches Material in welcher Qualität und in welcher Menge in der Stadt verbaut wurde. Darauf aufbauend lassen sich beispielsweise Deponien und Aufbereitungsflächen entsprechend planen und eine regionale Wertschöpfung durch regionale Lieferketten und neue Geschäftsmodelle anstoßen. Dies verringert zudem die Abhängigkeit von importierten Rohstoffen und reduziert Transportwege.

Startpunkt der Analyse in Heidelberg war das Patrick-Henry-Village, eine ehemalige Wohnsiedlung für Angehörige der US-Armee. Langfristig sollen hier Wohnungen für 10.000 Menschen und Raum für rund 5.000 Arbeitsplätze entstehen. Dafür müssen 325 Bestandsgebäude entweder saniert oder abgerissen werden - ein gigantisches Rohstofflager, wie der Urban Mining Screener berechnet hat. Das Patrick-Henry-Village beinhaltet demnach rund 465.884 Tonnen Material, davon entfällt etwa die Hälfte auf Beton, ein Fünftel auf Mauersteine und gut 5 Prozent auf Metalle. Im zweiten Schritt wird das Kataster auf den gesamten Gebäudebestand Heidelbergs ausgeweitet.

Dokumentation im Materialkataster

Grundlage für das Kataster bildet der vom Umweltberatungsinstitut EPEA, einer Tochter von Drees & Sommer, entwickelte Urban Mining Screener. Das Programm kann anhand von Gebäudedaten wie Bauort, Baujahr, Gebäudevolumen oder Gebäudetyp deren materielle Zusammensetzung auf Knopfdruck schätzen. Um die Daten zu verbauten Materialien und Bauteilen im Heidelberger Gebäudebestand zusammenzuführen und die Gebäudedaten automatisiert auszuwerten, stellt Madaster die IT-Plattform für den Urban Mining Screener bereit. Auf der Plattform Madaster können alle wesentlichen Informationen über Immobilien und deren Bestandteile systematisch gespeichert und ausgewertet werden. Aufgeführt wird beispielsweise, wie hoch ihr Kohlenstoffgehalt ist und was sie an der Rohstoffbörse gerade wert sind.

Während bei Neubauten das Erfassen des ökologischen Fußabdrucks relativ einfach ist, da die Daten häufig digital vorliegen, gestaltet sich die Bewertung des Altbaus schwieriger. Hier ist eine aufwendige Vor-Ort-Recherche notwendig, um herauszufinden, woraus das Objekt beschaffen ist. Eine bessere Alternative ist jedoch der Einsatz des Urban Mining Screeners, der mit möglich exakten Schätzverfahren arbeitet.

Erste Vorzeigeprojekte auf Gebäudeebene

Wie Kreislaufwirtschaft und Urban Mining im Bestand und auf Gebäudeebene funktionieren, das demonstriert die Bayerische Hausbau bei der Teilsanierung des Huthmacher-Hauses in Berlin. Erbaut 1957 nach Plänen der Architekten Paul Schwebes und Hans Schoszberger, umfasst das Hochhaus 16 Stockwerke und ist ein markanter Hochpunkt der Berliner City West. EPEA analysiert die bestehenden Bauteile und eingesetzten Baustoffe und bildet die Daten in einem sogenannten Gebäuderessourcenpass (Circularity Passport) ab, wo sie gemäß ihrer Kreislauffähigkeit bewertet werden. Die gesammelten Daten werden dann in die Gebäudedatenbank Madaster hochgeladen.

Mit dem digitalen Ressourcenpass, einer Art Klimaführerschein fürs Gebäude, wie ihn auch Bundesbauministerin Klara Geywitz fordert, greift die Bayerische Hausbau der Zukunft vor: Denn die in Europa und Deutschland geplante Regulierung wird die Branche früher oder später zu Materialkreisläufen zwingen. Und damit dazu, beim späteren Abriss, ein Gebäude als Rohstofflager für neue Bauten zu nutzen.

Auch die GWG Städtische Wohnungsgesellschaft München hat über EPEA ein Urban Mining Konzept inklusive Stoffstromanalyse für ein Sanierungsgebiet erstellen lassen. Aktuell wird nach externen und internen Abnehmern für Bauteile und Materialien gesucht. Zudem plant das Unternehmen ein weiteres Pilotprojekt, bei dem die Systematik nach dem Circularity Passport in Betracht kommt. Der Anspruch der GWG in München ist, dass der Gebäuderessourcenpass nicht eine Formalie gegenüber Behörden und Banken wird, sondern einer lebenszyklusorientierten und ressourcenschonenden Bewirtschaftung dienen kann.

Kreislaufwirtschaft statt Einbahnstraße

Im Idealfall denken Bauherren schon beim Errichten eines Gebäudes den späteren Abriss mit. Um Materialien nach Ende des Immobilienlebenszyklus möglichst gleichwertig für neue Bauvorhaben einzusetzen, müssen diese weitestgehend sortenrein trennbar, rückbaubar und schadstofffrei wiederverwertbar sein. Dazu treiben Drees & Sommer wie auch die Tochter EPEA den Cradle to Cradle-Ansatz voran, ein kreislauffähiges Materialkonzept für sämtliche Branchen. Übersetzt bedeutet Cradle to Cradle, kurz C2C, "von der Wiege zur Wiege". Erreicht ein nach C2C-Richtlinien konzipiertes Gebäude das Ende seiner Lebensdauer, wird jeder Bestandteil in den technischen oder den biologischen Kreislauf zurückgeführt.

Das Sorgenkind ist noch immer der Bestand. Hier darf Umbau kein Synonym für Abriss sein. Kein Weg führt daher an der Wiederverwendung von Baumaterialien und damit am Urban Mining vorbei.

Über den Autor:

Matthias Heinrich ist Teamleiter bei der EPEA GmbH - Part of Drees & Sommer am Standort in München. Seit fast 20 Jahren beschäftigt er sich mit dem Thema Nachhaltigkeit und Circular Economy in der Immobilienbranche. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Nachhaltiges Bauen an der Technischen Universität München und hat zum Thema Stoffstrommanagement und Urban Mining im Bauwesen promoviert. Neben der Projektleitung des EU Forschungsprojekts Buildings as Material Banks (BAMB) hat er u. a. an der Entwicklung und Umsetzung von Zertifizierungssystemen für nachhaltige Immobilien gearbeitet. Bis 2019 war er Mitglied im DIN Normenausschuss für Nachhaltiges Bauen und am Runden Tisch Ressourceneffizienz im Bauwesen.

Drees & Sommer: Innovativer Partner für Beraten, Planen, Bauen und Betreiben.

Als führendes international tätiges Planungs- und Beratungsunternehmen mit Hauptsitz in Stuttgart begleitet Drees & Sommer private und öffentliche Bauherren sowie Investoren seit über 50 Jahren in allen Fragen rund um Immobilien und Infrastruktur – analog und digital. Durch zukunftsweisende Beratung bietet das Unternehmen Lösungen für erfolgreiche Gebäude, renditestarke Portfolios, leistungsfähige Infrastruktur und lebenswerte Städte an. In interdisziplinären Teams unterstützen 4.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an weltweit 51 Standorten Auftraggeber unterschiedlichster Branchen. Alle Leistungen erbringt das partnergeführte Unternehmen unter der Prämisse, Ökonomie und Ökologie zu vereinen. Diese ganzheitliche Herangehensweise heißt bei Drees & Sommer „the blue way“.


Der obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die finanzen.net GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.

Bildquellen: Drees & Sommer