Kolumne

Wie Asiens Aufstieg die Welt gerechter macht

31.08.23 09:53 Uhr

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Wie Asiens Aufstieg die Welt gerechter macht | finanzen.net

Während im Westen die Einkommensungleichheit wächst, schrumpft das Gefälle aus globaler Perspektive. Der Grund: Mit Asiens Aufstieg schließt sich weltweit die Schere zwischen Arm und Reich. Jedenfalls statistisch.

Deutschland zählt zu den reichsten Ländern der Welt. Allerdings ist dieser Reichtum innerhalb der Bevölkerung recht ungleich verteilt. Laut einer Studie von Oxfam1 verfügt die untere Hälfte der Bevölkerung lediglich über 1,3 Prozent des Vermögens. Die reichsten zehn Prozent besitzen dagegen 67 Prozent. In der Wissenschaft misst man Ungleichheit mit dem sogenannten Gini-Koeffizienten*, der die Vermögensverteilung in einer Gruppe misst. Und dieser Gini-Koeffizient steigt in Deutschland und in vielen anderen westlichen Regionen. Anders gesagt: Die Schere zwischen Arm und Reich geht in den Industriestaaten immer weiter auseinander.

Umso erstaunlicher ist es, dass der Gini-Koeffizient im weltweiten Ländervergleich heute auf dem niedrigsten Stand seit 150 Jahren2 liegt. Der Grund dafür: Einkommen und Vermögen konzentrieren sich nicht mehr auf wenige westliche Staaten. Allein in China gehören inzwischen über 400 Millionen Menschen3 der Mittelschicht an, die dort schneller wächst als irgendwo sonst auf der Welt. Der wirtschaftliche Aufstieg ist also nicht nur ein Wachstumsmotor, der die gesamte Asien-Pazifik-Region bereichert, sondern auch ein Motor für einen Wohlstand für viele.

Auch Indien, der bevölkerungsreichste Staat der Welt, wird wohlhabender und profitiert dabei unter anderem von einer demografischen Dividende: Während viele Industriestaaten an Überalterung leiden, wird Indiens Bevölkerung jünger, gebildeter, konsumfreudiger - und kaufkräftiger. Gleichzeitig ist die Zahl der Menschen, die unter der Armutsgrenze leben, laut einer Studie der indischen Regierung seit 2015 um 135 Millionen Menschen gesunken4. Das bedeutet: Rund zehn Prozent der Gesamtbevölkerung haben innerhalb weniger Jahre die Armut überwunden.

Neue Koalitionen

Im Fidelity Finanztalk habe ich mich im Juni mit dem China-Experten Frank Sieren über eine multipolare Weltordnung unterhalten, in der Wachstum und Wohlstand gleichmäßiger verteilt sind als früher. Seine These: Asiens Aufsteiger verbindet eine Aufbruchsstimmung, die nicht nur den Wohlstand vor Ort steigert, sondern die zunehmend auch die langjährige Vorherrschaft des Westens zunehmend infrage stellt. Und auch Regionen in Afrika und Teile Lateinamerikas sehen ihre Interessen eher im Bündnis mit der Volksrepublik als mit den westlichen Industriestaaten vertreten.

Der Westen ist also nicht länger Nabel der Welt - weder politisch noch ökonomisch. Der Staatenverbund Südostasiatischer Nationen (ASEAN) produziert, exportiert, investiert und konsumiert zudem verstärkt untereinander und emanzipiert sich von Europa und den USA als Handelspartner. 2022 entstand im Asien-Pazifik-Raum mit der Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) das größte Freihandelsabkommen der Welt. Es umfasst 30 Prozent der Weltbevölkerung - und des weltweiten Bruttoinlandsprodukts5.

Fazit

Der Aufstieg in Fernost macht die Welt im Ganzen derzeit zu einem immer gerechteren Ort. Jedenfalls in Bezug auf die statistische Einkommensverteilung. Längst werden in den aufstrebenden Ländern Asiens nicht nur die Reichen reicher, sondern auch der Wohlstand der Armen wächst. Allerdings sieht es mit der Verteilung freiheitlicher Werte, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit und Nachhaltigkeit etwas anders aus. Hier klafft nach wie vor eine riesige Lücke zwischen den traditionellen Industrienationen und den Aufsteigern.

*Gini-Koeffizient als Gerechtigkeitsindikator

Der Gini-Koeffizient misst die Vermögensverteilung in einer Gesellschaft. Ein Wert von 0 bedeutet absolute Gleichheit, jede Person hätte das gleiche Einkommen oder Vermögen. Ein Wert von 1 bedeutet hingegen absolute Ungleichheit, eine Person hätte alles, die anderen nichts. Je höher der Wert steigt, desto ungleicher die Verteilung.

Quellen:

1 www.t-online.de/finanzen/aktuelles/wirtschaft/id_100112468/die-schere-zwischen-arm-und-reich-in-deutschland-die-kluft-wird-sich-vertiefen-.html
2 https://www.axios.com/2023/06/14/global-economic-inequality
3 https://www.china-briefing.com/news/china-middle-class-growth-policy-and-consumption
4 https://www.spiegel.de/wirtschaft/indien-ein-zehntel-der-bevoelkerung-ist-nicht-laenger-arm-a-c382d9d6-edf4-484c-aeeb-1772b668a9f1
5 https://www.eeas.europa.eu/eeas/rcep-was-bedeutet-die-%E2%80%9Eumfassende-regionale-wirtschaftspartnerschaft%E2%80%9C-f%C3%BCr-die-eu_de

Carsten Roemheld ist Kapitalmarktstratege bei Fidelity International. Er analysiert seit mehr als 25 Jahren die Finanzmärkte und schafft so die Grundlagen für informierte Anlageentscheidungen. Für seine Marktbeobachtungen kann er eines der größten globalen Research-Teams der Branche nutzen.

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