Kolumne

Die Zeitlupen-Rezession: Es brodelt unter der Oberfläche

15.06.23 10:22 Uhr

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Die Zeitlupen-Rezession: Es brodelt unter der Oberfläche | finanzen.net

Seit Monaten warnen Ökonomen, Europa und die USA stünden kurz vor der Rezession. Doch bisher wächst die Wirtschaft hier wie dort. So könnte die Abkühlung dieses Mal still und heimlich stattfinden - aus mehreren Gründen.

Das R-Wort ist seit Ende des vergangenen Jahres in aller Munde - aber die schon oft beschworene Rezession lässt auf sich warten. Bislang ist die Realwirtschaft allen düsteren Prognosen zum Trotz gewachsen: Führende Wirtschaftsforschungsinstitute gehen inzwischen davon aus, dass das deutsche Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr doch noch ein Mini-Wachstum von 0,3 Prozent verzeichnen könnte.1 In den USA verhindert derweil ein äußerst robuster Arbeitsmarkt den wirtschaftlichen Einbruch.

Dabei hat sich die wirtschaftliche Großwetterlage in den vergangenen Monaten keinesfalls aufgehellt. Wie unsere Analysten schon im Jahresausblick festgestellt haben, dürften die Folgen der steigenden Zinsen in den USA und im Euroraum nicht spurlos an der Weltwirtschaft vorbeiziehen. Immerhin verteuern und verknappen hohe Zinsen die Kredite und bremsen so früher oder später die Konjunktur aus.

Auch an den Anleihemärkten deutet vieles auf einen konjunkturellen Einbruch hin. Dort liefern kurzlaufende Anleihen aktuell höhere Renditen als festverzinsliche Papiere mit längerer Laufzeit. Eine solch inverse Zinskurve ist gemeinhin ein Anzeichen dafür, dass Marktteilnehmer bald einen Umschwung bei der Leitzinsentwicklung erwarten. Sollte die US-Notenbank Fed die nächste Zinswende einleiten, dann wohl, um eine Wirtschaftskrise zu vermeiden. Eine entsprechend umgekippte Zinskurve hat sich daher in der Vergangenheit oft als zuverlässiger Frühindikator einer Rezession erwiesen.2

Apropos Vergangenheit: Zyklische Rezessionen, Abschwünge also, die in der Wirtschaft laut Lehrbuch nach jedem Boom in regelmäßigen Abständen vorkommen, ließen sich früher oftmals besser bestimmen, weil die Konjunkturzyklen nach bestimmten zeitlichen Mustern abliefen und es dafür einschlägigere Signale von den Konjunkturdaten gab. Doch seit die Zentralbanken eine erheblich aktivere Rolle im Geschehen einnehmen, verändern sich die Zyklen. Dieses Mal haben Marktbeobachter offenbar gleich mehrfach hintereinander einen Fehlalarm ausgelöst. Warum?

Die Rezession ist aufgeschoben statt aufgehoben

Ein Grund: Viele Unternehmen haben sich eine Menge Geld geliehen, als die Zinssätze noch deutlich niedriger waren als jetzt. Sie haben aktuell ausreichend Fremdkapital zur Verfügung und entsprechend wenig akuten Kreditbedarf. Die gestiegenen Kapitalkosten spielen für ihre Geschäftsaktivitäten also nur eine geringe Rolle. Früher oder später wird sich das ändern. Aber noch ist es nicht so weit.

Gleiches gilt spiegelbildlich für die Banken: Langfristig wird sich die inverse Zinskurve in den Refinanzierungskosten der Kreditinstitute niedergeschlagen - kurzfristig spüren sie den Effekt kaum. Denn viele Banken verfügen noch über billige Geldreserven aus der Zeit des Nahe-Null-Zinses. Zudem profitieren sie aktuell von nach wie vor niedrigen Einlagenzinsen, was sich allerdings durch die hohen Geldmarktzinsen gerade verändert. Auch hier gilt: Nach der Kapitalflucht wegen der jüngsten Bankenpleiten brodelt es bereits unter der Oberfläche.

Auch Angebot und Nachfrage geben aktuell keinen Grund zur Sorge. Nach Jahren des Verzichts während der Pandemie sind die Konsumenten bester Kauflaune. Besonders in den USA sorgen fiskalpolitische Finanzspritzen dafür, dass die Konsumlust so bald nicht enden wird. Zudem sind die Unternehmen noch gegen gewisse Nachfragerückgänge gewappnet. Hier hilft kurioserweise die weiterhin akute Warenknappheit in manchen Segmenten. Auch wenn sich Lieferketten inzwischen stabilisieren, an vielen Stellen bleiben weiter Kapazitätsengpässe bestehen, Kunden müssen teilweise Monate auf Bestellungen warten. Erst wenn die Nachfrage unter das knappe Angebot fällt, droht Ungemach.

Fazit

Sorgen vor einer Rezession sind weder unbegründet noch übertrieben. Produktionsrückgänge in Europa, verschärfte Kreditkonditionen in den USA und die inverse Zinskurve am Anleihemarkt sind Signale, die Anleger nicht ignorieren sollten. Doch die Wirtschaft dürfte dieses Mal eher langsam abkühlen als hart landen. Anleger haben damit genug Zeit, ihr Portfolio defensiver auszurichten. Wenn die Rezession uns dann tatsächlich erreicht hat, könnten die Warnrufe verklungen und die Märkte gut vorbereitet sein.

Quellen: 1 https://www.tagesschau.de/wirtschaft/konjunktur/gemeinschaftsdiagnose-rezession-abgesagt-inflation-101.html 2 https://www.capital.de/geld-versicherungen/inverse-zinskurve--warum-der-anleihenmarkt-eine-rezession-signalisiert-33382538.html