Fünf Mythen zu Anleihen enttarnt
18.03.18 16:00 Uhr
Nicholas Gartside
Die Zinspolitik sollte sich langsam normalisieren. Fünf Mythen rund um die Anleihemärkte, die 2018 auf die Probe gestellt werden könnten.
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von Nicholas Gartside, Gastautor für €uro am Sonntag
Die Marktbewegungen Anfang Februar dieses Jahres sehe ich als gesunde Korrektur und Gelegenheit zur selektiven Erhöhung des Risikoengagements. Damit Anleger aber den neuen Herausforderungen begegnen können, sollten sie sich mit den verbreiteten Mythen um Anleiheinvestments auseinandersetzen.
Mythos Nr. 1:
Die Inflation ist tot
Anleiheinvestoren haben sich in einer Welt der verhaltenen Inflation sehr wohlgefühlt und werden möglicherweise in diesem Jahr eine Überraschung erleben. Kurzfristige Inflationskennziffern haben bereits anzusteigen begonnen, insbesondere in den USA. Unternehmensinvestitionen sind 2017 in die Höhe geschnellt - diese gehen normalerweise mit einer höheren Produktivität einher, die in der Vergangenheit das Lohnwachstum förderte.
Die geldpolitischen Erwartungen haben sich allerdings noch nicht an das veränderte Umfeld angepasst. In Europa befinden sich die Leitzinsen weiterhin auf Krisenniveau, und der Markt preist die erste Leitzinserhöhung nicht vor Ende 2019 ein. Doch befindet sich Europa unserer Überzeugung nach nicht mehr in der Krise, im Gegenteil: Europa ist eine große wirtschaftliche Erfolgsgeschichte. Da aber per Ende letzten Jahres laut Bank of America Merrill Lynch immer noch ein Drittel der Renditen auf dem europäischen Anleihemarkt im negativen Bereich notierten, dürfte wohl eine schmerzhafte Zeit bevorstehen.
Mythos Nr. 2:
Politische Ereignisse sorgen in diesem Jahr für Störfeuer an den Märkten
Investoren mögen in Sachen Inflation zu optimistisch sein, andererseits zeigen sie sich hinsichtlich politischer Risiken etwas zu besorgt. Weltweit stehen in diesem Jahr 84 Wahlen an - das ist etwa alle vier Tage eine Entscheidung. Im Gegensatz zu den eher dramatischen Wahlergebnissen der vergangenen zwei Jahre dürften diese politischen Ereignisse allerdings alles andere als aufsehenerregend ausfallen. Nichts spricht dafür, dass sie sich auf die Wachstums- beziehungsweise Inflationsdynamik signifikant auswirken sollten.
Meinungsumfragen in Europa lassen eine zunehmende Unterstützung des Euro in der gesamten Region erkennen. Dieser Umschwung ist besonders in Italien bemerkenswert, wo nahezu 60 Prozent der Befragten nun die Gemeinschaftswährung stützen. Da nach den Wahlen in Italien vor einer Woche keine der Koalitionen über eine Mehrheit im römischen Parlament verfügt, könnte eine Mehrparteienregierung mit befristeter Amtszeit einen Ausweg aus dem aktuellen politischen Engpass in Rom darstellen. An den Kapitalmärkten jedenfalls hat das unklare Votum der Italiener keine großen Unruhen verursacht. Auch die Parlamentswahlen in Russland und Mexiko und die eventuell vorgezogenen Neuwahlen in der Türkei dürften für die Finanzmärkte auf breiter Ebene keine Folgen nach sich ziehen.
Mythos Nr. 3:
Wir befinden uns in einer Kreditblase
Laut Konsenseinschätzungen neigen sich die guten Zeiten bei den Unternehmensanleihen dem Ende zu, sodass die Erträge bald ins Taumeln geraten. Die operativen Kennzahlen der Unternehmen machen jedoch einen robusten Eindruck. Die Verschuldungsquoten europäischer Emittenten von Hochzinsanleihen sind rückläufig und ihre Zinsdeckung verbessert sich. Auch die Gewinne und Umsätze in den USA und Europa verzeichnen ein solides Wachstum. Worin bestehen die Risiken? Erstens könnte die Wirtschaft in die Rezession rutschen - wir denken allerdings nicht, dass dies unmittelbar zu befürchten ist. Zweitens könnte das Unternehmenskapital fehlallokiert werden.
Wir richten deshalb unser Augenmerk auf die Nutzung der Erlöse aus Anleiheemissionen als Frühindikator: Derzeit werden zwei Drittel der Mittel aus Neuemissionen für die Refinanzierung verwendet - eine konservative Kapitalnutzung. Wir halten nach Anzeichen für die Steigerung des Fremdkapitals in den Bilanzen Ausschau. Ein weiteres Warnzeichen wäre die Zunahme von Fusionen und Übernahmen.
Wenn wir mit unserer Annahme richtig liegen, dass die befürchteten Risiken derzeit noch in weiter Ferne sind, könnten sich die Risikoaufschläge (Spreads) weiter einengen. Die Spreads von globalen Unternehmensanleihen mit hoher Bonität (Investment-Grade) könnten sich von 94 Basispunkten (BP) auf 80 BP verringern.
Zwar erwarten wir bei den Risikoaufschlägen von US-Hochzinsanleihen keine Rückkehr zu dem historisch niedrigen Niveau von 225 BP, doch die aktuellen Spreads von 363 BP könnten auf 300 BP zurückgehen.
Mythos Nr. 4:
Alle Schwellenländer sind gleich
Während die Industrieländer von Investoren als unterschiedliche Märkte wahrgenommen werden, betrachten diese die Schwellenländer oft noch als homogene Gruppe. Dabei sind die Unterschiede zwischen den verschiedenen Ländern noch nie so groß gewesen wie heute - was sich sowohl in Erträgen als auch in Renditen widerspiegelt. Die laufende Rendite des Index für Schwellenländeranleihen in Lokalwährung beträgt sechs Prozent - doch Argentinien notiert bei über 16 Prozent, während Ungarn gerade einmal ein Niveau von 1,2 Prozent verzeichnet.
Deshalb ist es besonders wichtig, selektiv vorzugehen, um von den sich bietenden Chancen zu profitieren und Risiken zu vermeiden. Gegenwärtig favorisieren wir Länder mit hohen realen Renditen mit dem Potenzial für eine weitere Komprimierung - wie Indonesien und Russland. Länder, in denen die Notenbanken hinter der Kurve liegen, schätzen wir weniger positiv ein. Auch haben wir Vorbehalte gegenüber den Anleihemärkten von Ländern wie beispielsweise der Tschechischen Republik, in denen das Risiko besteht, dass steigende Renditen der Industrieländer negative Auswirkungen nach sich ziehen könnten.
Mythos Nr. 5:
Auf die Verzinsung kommt es an
Geht es bei Anleihen nicht nur um regelmäßige Erträge? Der englische Begriff "Fixed Income" hat ja schon "Income", also die regelmäßigen Ausschüttungen, im Namen. Bisher war dem auch so, und Investoren erhielten beständige fünf bis sechs Prozent aus der Verzinsung ihrer festverzinslichen Wertpapiere. Doch präsentiert sich uns heute ein komplett anderes Bild. Um im diesjährigen Marktumfeld positive Erträge zu erwirtschaften, müssen Investoren einerseits Kursgewinne generieren und andererseits Kursverluste vermeiden. Das spätzyklische Umfeld wird eher idiosynkratischer Natur sein, das heißt: Einige Werte sind mit größerem Risiko behaftet als andere. So steht zu erwarten, dass Anleger selektiver vorgehen müssen, wenn sie erfolgreich sein wollen. Wir zum Beispiel bevorzugen derzeit Hochzins-Unternehmensanleihen, ausgewählte Lokalwährungsanleihen aus den Schwellenländern und nachrangiges Bankkapital in Europa.
Kurzvita
Nicholas Gartside
CIO bei JP Morgan Asset Management
Gartside studierte Politik und Geschichte sowie an der Cambridge University Philosophie. Zu JP Morgan kam er 2010 von Schroder Investment Management, wo er als Portfoliomanager für Staatsanleihen ein- und bis zum Head of Global Fixed Income aufstieg.
JP Morgan Asset Management ist Teil des globalen Finanzdienstleistungskonzerns JP Morgan Chase & Co.
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