Zwischen Liquiditätsflut und austrocknenden Staatsanleihemärkten
Die Europäische Zentralbank (EZB) startete im März 2015 ihr Anleiheaufkaufprogramm (QE).
Die Bank of Japan (BoJ) setzte unverändert ihre Politik der monetären Flutung fort. Dagegen überlegen die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) und die Bank of England (BoE), ihre Zinsen allmählich wieder anzuheben. Der unterschiedliche geldpolitische Kurs der Notenbanken in den führenden Volkswirtschaften könnte kaum offensichtlicher sein. Doch welche Auswirkung hat die weiterhin immense Liquiditätsflut auf die internationalen Anleihemärkte?
"Quantitative Easing" im internationalen Vergleich
Nach Ausbruch der Finanzmarktkrise (2008 / 2009) senkten wichtige Notenbanken rund um den Globus nicht nur ihre Leitzinsen auf Rekordtiefs nahe Null, sondern experimentierten darüber hinaus mit neuen, unkonventionellen Instrumenten. Angesichts des quasi ausgeschöpften zinspolitischen Spielraums griffen etwa die Fed und die BoE auf eine aktive Bilanzpolitik in Form von umfangreichen Wertpapierkäufen zurück. Zudem weiteten sie ihre Bilanzsummen massiv aus (siehe Schaubild 1), um über den Leitzins hinaus auf bestimmte Elemente des geldpolitischen Übertragungsmechanismus Einfluss zu nehmen, beispielsweise Vermögenspreise, Renditen und Finanzierungsbedingungen.
So nahm die BoE in Summe fast 400 Mrd. Pfund an Wertpapieren auf ihre Bilanz. Die Fed ging im Kontext ihres dualen Mandats von Vollbeschäftigung und Preisniveaustabilität in ihrer dritten "Quantitativen Lockerung" ("Quantitative Easing" oder QE) gar so weit, unbeschränkt sog. Mortgage Backed Securities (durch Hypotheken gesicherte Wertpapiere) und auch US-Staatsanleihen aufzukaufen, bis sich eine substanzielle Verbesserung auf dem USArbeitsmarkt einstellte.
Die EZB hielt sich über die letzten Jahre mit direkten Anleihekäufen zurück1 - das hat sich jedoch zuletzt mit der Bekanntgabe ihres QE in Höhe von 60 Mrd. Euro pro Monat geändert. Währenddessen gab die japanische Notenbank mehrmals sogar eine Ausweitung ihrer bestehenden "Quantitativen Lockerung" - im Umfeld von "Abenomics" - bekannt.
Ein Blick auf die Details (siehe Schaubild 2) zeigt:
• Bis Ende 2014, als sie ihre milliardenschweren Anleihekaufprogramme einstellte, kaufte die Federal Reserve Vermögenswerte in Höhe von etwa 25 % des US-amerikanischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf. Davon entfallen ca. 14 % des nominalen BIP auf US-Treasuries. Das sind umgerechnet etwa 2,4 Bio. US-Dollar.
• Die Bank of England hingegen erwarb in Summe Vermögenswerte im Volumen von etwa 380 Mrd. Pfund. Davon wurden fast vollständig, d. h. für 375 Mrd. Pfund, Staatsanleihen des Vereinigten Königreichs (Gilts) gekauft. Das entspricht umgerechnet über 20 % der Wirtschaftsleistung Großbritanniens.
• Die Bank of Japan kaufte bis Ende 2014 fast 210 Bio. Yen (entspricht ungefähr knapp 1,5 Bio. Euro) an verschiedenen Vermögenswerten auf - u. a. Unternehmensanleihen, japanische Real Estate Investment Trusts (REIT) und japanische Staatsanleihen (JGB). In Summe entspricht das etwa 44 % des japanischen BIP.
• Die Europäische Zentralbank erwarb bis dato (Stand: März 2015) knapp 220 Mrd. Euro an Vermögenswerten oder umgerechnet knapp 1 % des europäischen BIP. Mit Aufnahme des europäischen QE - dessen Umfang relativ zum BIP den ersten "Quantitative Easing"-Maßnahmen der Fed von 2008 / 09 entspricht - dürfte sich der Anteil der Vermögenswerte (inkl. Staatsanleihen) auf der Bilanz der EZB deutlich ausweiten.
Gibt es noch genügend Staatsanleihen?
Mit Blick in die Bilanz der US-Notenbank ist festzustellen, dass die Fed mittlerweile zum größten Gläubiger der USA geworden ist. Mit knapp 2,5 Bio. US-Dollar an US-Staatsanleihen oder knapp 20 % der Fed-Bilanz übertrifft sie damit deutlich die USTreasury- Bestände von China und Japan mit jeweils ca. 1,2 Bio. US-Dollar per Ende 2014. Doch nachdem die Fed ihre milliardenschweren Anleihekäufe im Oktober 2014 beendet hat, scheidet sie als potenzieller Käufer aus - wenngleich durch Umschichten bestehender Staatsanleihen der Bestand an USTreasuries nicht sinkt.
Unter den ausländischen Investoren treten am Markt für US-Staatsanleihen zuletzt stattdessen einige Schwellenländer wie Indien, Mexiko oder die Türkei als Käufer auf. Jene Staaten konnten prozentual den stärksten Zuwachs von US-Treasuries seit Anfang 2014 verzeichnen, während China und Russland jüngst Positionen abgebaut haben. In der Sektorbetrachtung kann als weiterer Käufer auch der US- Finanzsektor deklariert werden, der seinen Bestand an US-Treasuries stetig weiter ausbaut: über 1,9 Bio. US-Dollar per Ende September 2014 nach 800 Mrd. US-Dollar Anfang 2008.
Mit der Europäischen Zentralbank betritt nun ein Käufer von Staatsanleihen aus dem Euroraum die Bühne. Zuletzt waren es primär die Kreditinstitute der einzelnen EWU-Länder, die im Zuge der üppigen Liquidität der EZB - man denke an die beiden dreijährigen Langfristtender (LTRO) - Staatsanleihen aus dem Euroraum u. a. als Sicherheit für Refinanzierungsgeschäfte auf ihre Bücher nahmen. Grund hierfür war auch die niedrige Risikogewichtung der Anleihen im Rahmen der erhöhten Eigenkapitalanforderungen2. Beispiele seit Anfang 2008:
• Italienische Kreditinstitute erhöhten ihren Bestand an Staatsanleihen aus dem Euroraum von rund 200 Mrd. Euro auf 430 Mrd. Euro per Ende 2014.
• Spanische Kreditinstitute erhöhten ihren Bestand an Staatsanleihen aus dem Euroraum von knapp 90 Mrd. Euro auf 310 Mrd. Euro per Ende 2014.
• Portugiesische Kreditinstitute erhöhten ihren Bestand an Staatsanleihen aus dem Euroraum von etwa 5 Mrd. Euro auf knapp 40 Mrd. Euro per Ende 2014.
• Irische Kreditinstitute erhöhten ihren Bestand an Staatsanleihen aus dem Euroraum von ca. 56 Mrd. Euro auf fast 70 Mrd. Euro per Ende 2014.
Mit Aufnahme des (erweiterten) Anleihekaufprogramms der Europäischen Zentralbank dürfte sich der Anteil der Vermögenswerte (inkl. Staatsanleihen) auf der Bilanz der EZB deutlich ausweiten: bis Ende 2015 auf etwa 7 % des Euroraum-BIP und bis Ende September 2016 auf 11 % des BIP. Der Anteil von Staatsanleihen aus dem Euroraum dürfte dann von 4 % auf ca. 8 % des BIP des Euroraums steigen. Die EZB sollte damit einen guten Schritt weiter gekommen sein, um wie beabsichtigt ihre Bilanzsumme auf die Größe von Anfang 2012 auszuweiten - d. h. auf 3 Bio. Euro bzw. auf etwa 35 % der Wirtschaftsleistung des Euroraums.
In Großbritannien besitzen die lokalen Kreditinstitute sowie die Bank of England in Summe über 500 Mrd. Pfund an britischen Staatstiteln (Gilts), wovon 375 Mrd. Pfund allein auf die Bank of England entfallen - gemäß den "Quantitative Easing"-Maßnahmen der BoE seit 2008. Das entspricht insgesamt fast 36 % aller ausstehenden Gilts (Stand: 1. Quartal 2014).
Ähnlich sieht es auch in Japan aus, denn die Bank of Japan hält per Ende 2014 ca. 20 % aller ausstehenden japanischen Staatsanleihen. Das sind umgerechnet fast 210 Bio. Yen. Doch anders als bei der Fed oder der BoE läuft das Anleiheaufkaufprogramm der BoJ bis dato unvermindert weiter, mit jährlichen Käufen in Höhe von 80 Bio. Yen (ca. 150 Mrd. Euro). Bis Ende 2015 dürfte daher der Anteil der aufgekauften Vermögenswerte auf über 60 % des BIP ansteigen bzw. sich der Anteil an JGB von über 40 % (Ende 2014) auf ca. 60 % Ende 2015 erhöhen (siehe dazu auch Schaubild 2).
Klub der negativen Zinsen
Durch die starke Nachfrage von Notenbanken bzw. Kreditinstituten nach scheinbar sicheren Staatsanleihen, wuchs der "Klub der negativen Zinsen" in den vergangenen Monaten stetig weiter. Nach der Schweiz, der Eurozone und Dänemark gesellte sich Schweden mit dazu. Sicher: Noch (?) haben nicht alle Industrieländer negative Zinsen. In den USA kam es bei den Staatsanleihen jüngst sogar zu einer Entkopplung. Aber gemäß dem Gesetz der kommunizierenden Röhren bleibt kein Markt von dem Liquiditätsdruck, der von den Zentralbanken ausgeht, verschont. Und es spricht für sich, wenn knapp 70 % der schweizerischen Staatsanleihen eine negative Rendite aufweisen, ebenso wie gut 60 % der umlaufenden deutschen Staatsanleihen, fast 50 % der französischen und nahezu 20 % der japanischen. So scheint bei Staatsanleihen hoher Bonität die ultralockere Geldpolitik Negativzinsen zum Normalfall werden zu lassen. Inzwischen sind sogar die Renditen für deutsche Staatsanleihen mit Laufzeiten von bis zu sieben (!) Jahren in negativen Bereich abgetaucht, während die zehnjährige Bundrendite noch näher an die Nulllinie heranrückt. Welche Auswirkungen könnte das zukünftig für die Staatsanleihemärkte haben?
Steigende Nachfrage - sinkendes Angebot
Wie die Daten eindrucksvoll zeigen, sind es primär die Kreditinstitute bzw. Notenbanken selbst, die in den letzten Jahren als Hauptkäufer an den Märkten für Staatsanleihen auftraten. Mit Blick auf das laufende Jahr und darüber hinaus dürfte dieser Status quo zwar bestehen bleiben. Doch sollte im Zuge sinkender Haushaltsdefizite und eines verbesserten Wachstumsausblicks in den USA und in Europa das Angebot an neuen Staatsanleihen deutlich sinken.
Folglich könnte es zu (weiteren) Preisverzerrungen am Markt für Staatsanleihen kommen Für die Eurozone im Allgemeinen dürfte das einen signifikanten Nachfrageeffekt bedeuten: Prognostiziert sind Staatsanleihekäufen der EZB von ca. 450 Mrd. Euro bis Ende 2015 - etwa 45 Mrd. Euro pro Monat. Damit dürfte das nachgefragte Volumen die für das Gesamtjahr 2015 geschätzten Nettoneuemissionen von ca. 280 Mrd. Euro an den Euroraum-Staatsanleihemärkten übersteigen.
In Japan sieht es ähnlich aus. Denn die BoJ scheint allmählich das Limit erreicht zu haben, wieviel japanische Staatsanleihen (JGB) die Zentralbank noch kaufen kann. In absehbarer Zeit dürfte die japanische Notenbank fast 100 % der jährlichen Neuemissionen kaufen und dadurch zum größten Gläubiger japanischer Schulden in den kommenden Jahren werden. Der Nachfrageüberhang würde demnach noch stärker werden und die Liquidität knapper - auch wenn lokale Kreditinstitute und der staatliche Pensionsfonds ihre Positionen in Staatsanleihen reduzieren. So könnte es teils zu erhöhter Volatilität im JGB-Markt kommen - vor allem am kurzen Ende des Laufzeitenspektrums - wie es sich bereits schon bei einzelnen Auktionen in 2014 und 2015 gezeigt hat.
"Crowding-out" am Euro-Rentenmarkt
Mit Blick auf den Euro-Rentenmarkt dürften von der quantitativen Lockerung der EZB in erster Linie die Kurse von Staatsanleihen profitieren. Deren Renditen verzeichneten neue Allzeittiefs - durch die Kombination aus einem "vorteilhaften" Angebots- Nachfrage-Mix, gekoppelt mit der Sorge, in Europa in eine Deflation zu rutschen. So sollte bis auf Weiteres QE die Anleiherenditen im breiten Laufzeitenspektrum jenseits von zwei Jahren niedrig halten. An den Peripheriemärkten (außerhalb Griechenlands) dürfte der Liquiditätseffekt zusammen mit den aufgehellten Konjunkturperspektiven in eine fortgesetzte Einengung der Risikoprämien gegenüber laufzeitäquivalenten Bundesanleihen münden. Denn noch immer bewegen sich die an den Peripheriemärkten eingepreisten Ausfallwahrscheinlichkeiten auf Sicht von fünf Jahren über Vorkrisenniveau (zur weiteren Vertiefung siehe auch unseren Fokus: "QE" - Startsignal für Anlagen im Euroraum?).
Unbestritten werden die immensen Anleihekäufe die Preise am gesamten Euro-Rentenmarkt dauerhaft weiter verzerren. Insbesondere deutsche Bundesanleihen bewegen sich bereits auf ambitionierten Bewertungsniveaus und dürften sich aus fundamentaler Sicht weiter verteuern. Liquiditätsrisiken sollten dabei nicht unterschätzt werden. Denn insbesondere in einem Umfeld fallender Staatsverschuldung und damit einhergehender sinkender Neuemissionen könnte QE zu einem "Crowdingout" und zu Engpässen in der Handelbarkeit von Staatsanleihen führen. Im Extremfall könnten die Ankäufe sogar ein Austrocknen der Liquidität in einzelnen Segmenten nach sich ziehen, ähnlich wie es oben bereits zum japanischen Staatsanleihemarkt beschrieben ist.
Verstehen. Handeln.
• Die Europäische Zentralbank und die japanische Notenbank auf der einen Seite sowie die USFederal Reserve und die Bank of England auf der anderen Seite verfolgen einen unterschiedlichen geldpolitischen Kurs, der jedoch unverändert locker (Fed, BoE) bis expansiv (EZB, BoJ) ist.
• Die Kaufprogramme der Notenbanken, insbesondere der EZB und BoJ, haben eine Angebotsknappheit bzw. einen Nachfrageüberhang bei Staatsanleihen zur Folge.
• Die Zentralbanken ersetzten zunehmend private wie auch institutionelle Investoren als potenzielle Käufer von Staatsanleihen
• Die niedrige bzw. teils negative Zinsphase dürfte weiter anhalten (finanzielle Repression). Das größte Risiko besteht darin, kein Risiko eingehen zu wollen.
• Nicht nur in der Geldpolitik, sondern auch an den Anleihemärkten (US-Treasuries, Bunds) scheinen sich die USA und der Euroraum entkoppelt zu haben.
• Die Währungen sollten auch weiterhin im Wesentlichen Getriebene der Geldpolitik sein - in diesem Kontext ist auch die aktuelle US-Dollar- Stärke zu sehen. Dabei blieb eine Nebenwirkung der Renditetiefs an den Anleihemärkten nicht aus: Währungsvolatilität.
• Peripherie-Staatsanleihen in der Eurozone bleiben durch die akkommodierende Geldpolitik der EZB gut unterstützt, auch wenn sich die Risikoprämien bereits weiter eingeengt haben. Die eingepreisten Ausfallwahrscheinlichkeiten bewegen sich dennoch weiterhin über Vorkrisenniveau.
• Die Renditesuche geht weiter und lässt somit die Liquiditätsflut auf andere Märkte überschwappen.
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