Wirecard-Aktie schwächer: Insolvenzverwalter wird Asien-Töchter von Wirecard los - Geheimdienste spielen Verbindungen herunter
Wirecard-Insolvenzverwalter Michael Jaffe macht die Reste des zusammengebrochenen Zahlungsdienstleisters zu Geld.
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Sechs Tochterfirmen in Asien und Australien seien verkauft worden, vier davon an den niederländisch-britischen Investor Finch Capital, der bereits die türkische Tochter übernommen hatte, wie Jaffe am Freitag mitteilte. Finch zahlt für die Zahlungsabwicklungsfirmen auf den Philippinen, in Malaysia, Thailand und Hongkong mit zusammen 110 Beschäftigten einen höheren zweistelligen Millionenbetrag, wie ein Insider der Nachrichtenagentur Reuters sagte. An den vorherigen Eigentümer, die US-Großbank Citi, hatte Wirecard vor vier Jahren rund 200 Millionen Euro gezahlt.
Jaffe wollte sich zum Verkaufspreis nicht äußern, sprach aber von "substanziellen Zuflüssen" zur Insolvenzmasse. Damit sei nicht zu rechnen gewesen. Insgesamt hat er laut Insidern inzwischen mehr als 600 Millionen Euro mit dem Verkauf der Überreste von Wirecard erlöst. Die Summe liegt aber weit unter den Forderungen, die Gläubiger und Aktionäre angemeldet haben. Das Kerngeschäft in Europa war an die spanische Bank Santander gegangen. Auch das Geschäft in den USA, in Brasilien und Großbritannien ist Jaffe bereits losgeworden. In Asien stehen weitere Wirecard-Teile zum Verkauf. Zudem kann der Insolvenzverwalter auf Erlöse aus der Abwicklung der Wirecard Bank hoffen.
Wirecard war im Juni in die Insolvenz gerutscht, nachdem sich ein großer Teil des über Dritte abgewickelten Geschäfts in Asien als Luftnummer entpuppt hatte. Bilanzierte 1,9 Milliarden Euro, die angeblich auf Konten dort lagen, existieren offenbar nicht.
Finch will mit den Wirecard-Töchtern in der Türkei und in Asien einen Zahlungsdienstleister unter dem Namen Nomu Pay aufbauen. Die örtlichen Aufsichtsbehörden müssen der Übernahme aber noch zustimmen.
Verkauft hat Jaffe auch die Software-Tochter PT Wirecard Technologies Indonesia mit 360 Mitarbeitern. Käufer sei die Technologieholding eines indonesischen Konzerns, dessen Namen nicht genannt wurde. Die Wirecard Australia A&I gehe an einen australischen Zahlungsdienstleister.
Geheimdienste spielen Wirecard-Verbindungen herunter
Geheimdienstverstrickungen sind ins Zentrum von Vernehmungen im Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestages gerückt, in dem zwei ehemalige Geheimdienstkoordinatoren der Bundesregierung befragt wurden: Bernd Schmidbauer, der diese Aufgabe in den 90er-Jahren unter Kanzler Helmut Kohl (CDU) hatte, und Klaus-Dieter Fritsche, der das Amt von 2014 bis 2018 unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ausübte.
Wie der Bundestags-Pressedienst mitteilte, berichtete Schmidbauer dem Ausschuss von einem Treffen mit dem damaligen Wirecard-Vorstand Jan Marsalek, der "ein großes Interesse an der Welt der Geheimdienste" gehegt habe. "Ich wollte dieses Gespräch, um zu sehen, wie er auf bestimmte Dinge reagiert", sagte Schmidbauer laut den Angaben. Marsalek habe ihm erklärt, dass er intensive Geheimdienstkontakte nach Libyen unterhalte. Diese seien nach Schmidbauers Ansicht jedoch "nicht sehr hochrangig" gewesen.
Schmidbauer verteidigte laut den Angaben einen ehemaligen Kollegen vom österreichischen Geheimdienst und dessen Rolle beim Verschwinden Marsaleks. Martin W. hatte demnach nach Darstellung Schmidbauers für Marsalek im Juni 2019 ein Privatflugzeug organisiert, das diesen von Bad Vöslau vermutlich nach Minsk gebracht habe. Das habe W. ihm später am Telefon erzählt. Bei der Hilfe habe es sich jedoch nicht um eine Flucht gehandelt, und bei den Aktionen von Martin W. nicht um Fluchthilfe, denn Marsalek sei da noch nicht per Haftbefehl gesucht worden und regulär unter Vorlage seines Passes ausgereist.
Skepsis könnte angebracht sein
Fritsche, der sich wie auch Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) bei der Regierung für Wirecard eingesetzt hatte, hielt die angeblichen Geheimdienstkontakte Marsaleks laut den Angaben für Prahlerei. "Leute, die wirklich mit Geheimdiensten zu tun haben, reden nicht darüber." Diejenigen, die darüber reden, seien umgekehrt meist nicht wirklich in Geheimdienstarbeit eingebunden. Wenn er sich tatsächlich in Russland aufhalte, dann "gnade ihm Gott". Denn die russischen Dienste verlangten für jede Hilfe eine konkrete Gegenleistung - und die könne er seit dem Zusammenbruch Wirecards nicht mehr liefern.
Schmidbauer glaubt demnach, dass Marsaleks Beziehungen zu den Geheimdiensten real waren. "Jeder Dienst mit Einfluss hatte eine Begierde nach den Zugriffsmöglichkeiten", die ein Unternehmen wie Wirecard auf Informationen zu Zahlungsflüssen hatte. Sie hätten diese Zugriffsmöglichkeit "offenbar auch genutzt". Auch er hielt es jedoch für möglich, dass sich Marsalek heute in einer schwierigen Situation befindet - "wenn er seine Aktivitäten überhaupt überlebt hat".
Zuvor hatte der Sonderermittler des Ausschusses, Wolfgang Wieland, über seine Sichtung der Akten von Geheimdiensten berichtet. Daraus gingen kaum Hinweise auf konkrete Zusammenarbeit zwischen Wirecard und Geheimdiensten hervor. Der Grünen-Obmann in dem Ausschuss, Danyal Bayaz, sah den Grund dafür in "schlechter Informationsübermittlung der Bundesregierung". Die vielen Lücken nährten Zweifel daran, ob das gebotene Bild vollständig sei.
Was wusste der BND?
Laut Bundestags-Pressedienst glaubt auch Schmidbauer nicht, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) so ahnungslos war. "Die Dienste müssen Marsalek auf dem Schirm gehabt haben, sie haben ihn ja benutzt", sagte der ehemalige Spionagechef. SPD-Obmann Jens Zimmermann beklagte eine geringe Kooperationsbereitschaft der Regierung: "Wir bekommen hier geschwärzte Seiten vorgelegt." Es sei schlicht nicht realistisch, dass der Bundesnachrichtendienst nie von Marsalek gehört habe.
Im Wirecard-Skandal rückt nächste Woche ganz die Rolle der Politik ins Zentrum. Ab Dienstag stehen an vier Tagen die politisch Verantwortlichen in dem Ausschuss Rede und Antwort. Auftreten wird neben Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) zu guter Letzt am Freitag auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Dabei geht es um Merkels Rolle wegen des Engagements für Wirecard bei einer China-Reise im Herbst 2019 und um die politische Verantwortung von Scholz für die Finanzaufsicht Bafin.
Bei dem damaligen DAX-Unternehmen Wirecard waren im Juni Luftbuchungen von fast 2 Milliarden Euro öffentlich geworden. Es befindet sich mittlerweile in einem Insolvenzverfahren. Der frühere Unternehmenschef Markus Braun sitzt inzwischen in Haft, Marsalek ist flüchtig.
Wirecard-Ausschuss: Union wirft Zeugen 'Märchenstunde' vor
Der Unions-Abgeordnete Hans Michelbach hat einem Referatsleiter des Finanzministeriums vorgeworfen, im Wirecard-Ausschuss des Bundestags die Wahrheit zu verschleiern. "Ich bin es einfach satt, hier eine Märchenstunde zu erleben", sagte der CSU-Politiker am Freitag. Er habe den Eindruck, der Beamte wolle mit seiner Aussage "andere Personen" im Finanzministerium schützen. Der Referatsleiter hatte darüber berichtet, wie das Finanzministerium seine Aufsicht über die Finanzaufsicht Bafin ausübte.
Dabei ging es vor allem um die umstrittene Entscheidung der Bafin, bei Wirecard 2019 Wetten auf fallende Kurse zu verbieten. Dadurch war bei vielen Anlegern der Eindruck entstanden, bei dem Skandalkonzern sei trotz zahlreicher kritischer Medienberichte alles in Ordnung.
Der Referatsleiter schilderte, die Bafin habe dem Finanzministerium die entsprechende Verfügung zur Information geschickt, das Ministerium habe aber keinen Grund gesehen einzuschreiten. Die konkreten Beweggründe der Bafin für das Verbot und dessen Zweckmäßigkeit habe man nicht im Detail nachgeprüft.
In Frankfurt verlor die Wirecard-Aktie zuletzt 1,1 Prozent auf 0,3700 Euro.
München (Reuters) / (Dow Jones) / (dpa-AFX)
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