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Nice-to-have oder unverzichtbar? Was grüner Wasserstoff für die Energiewende bedeutet

27.11.23 10:31 Uhr

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Nice-to-have oder unverzichtbar? Was grüner Wasserstoff für die Energiewende bedeutet | finanzen.net

Vom Underdog zum Hoffnungsträger: Der grüne Wasserstoff ist derzeit in aller Munde, birgt er doch im Hinblick auf eine klimafreundliche Zukunft großes Potenzial. Wie genau Wasserstoff zur Klimaneutralität beitragen kann und welche Herausforderungen es dabei noch zu bewältigen gilt, erklären im Interview Dierk Mutschler, Vorstand der Drees & Sommer SE, und Dr. Alexander Stubinitzky, Leiter des Wasserstoff-Teams der Drees & Sommer SE.

Herr Mutschler, grüner Wasserstoff gilt als klimafreundliche Energiequelle der Zukunft. Warum ist er so wichtig?

Mutschler: Deutschland will in etwas mehr als 20 Jahren vollständig klimaneutral sein. Um die dafür notwendige Abkehr von den fossilen Energien - als wesentlichen Auslöser des CO2 Problems - zu schaffen, brauchen wir dringend alternative, klimafreundliche Energieträger. Hier kommt der grüne Wasserstoff ins Spiel. Denn bei seiner Verbrennung entstehen keine Treibhausgasemissionen, sondern Wasser. Wasserstoff lässt sich zudem gut speichern, transportieren und vielseitig einsetzen. Daher gilt der klimafreundliche Wasserstoff auch zurecht als zentraler Baustein der Energiewende. Wirklich nachhaltig ist allerdings nur der Wasserstoff, der aus erneuerbaren Energien hergestellt wurde - also aus Wind- oder Solarstrom beispielsweise.

Wie genau sieht die Herstellung von Wasserstoff aus?

Stubinitzky: In seiner reinen Form lässt sich Wasserstoff mittels Wasserelektrolyse gewinnen: Dabei wird Wasser mithilfe von elektrischem Strom in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten. Der erzeugte Wasserstoff kann für chemische Prozesse oder auch als Energiespeicher genutzt werden, indem er zu synthetischem Kraftstoff (E-Fuels) weiterverarbeitet oder nach anschließender Methanisierung als Methan dem Erdgasnetz zugeführt wird. In erster Linie braucht man dafür also Wasser, und zwar am besten solches, das nicht anderweitig gebraucht wird - idealerweise Meerwasser, welches aufzubereiten und zu entsalzen ist, bevor es genutzt werden kann. Produktionsanlagen für grünen Wasserstoff sollten also in Meeresnähe gebaut werden. Außerdem sollte der Standort nicht zu weit von der Stromgewinnung entfernt sein, um große Investitionen in Stromleitungen und Leitungsverluste zu vermeiden.

Und wo wird der grüne Wasserstoff dann eingesetzt? Als synthetischer Kraftstoff im Verkehrssektor?

Stubinitzky: Bei der Dekarbonisierung des Transport- und Verkehrssektors wird Wasserstoff in Form von E-Fuels sicherlich eine wichtige Rolle spielen, vor allem in Bereichen wie dem Flug- und Schiffsverkehr. Denn elektrische Antriebe sind sowohl für Mittel- und Langstreckenflüge als auch Containerschiffe keine Option. So gibt es bereits klare Vorgaben der EU, dass der Anteil an E-Fuels in der Schifffahrt bzw. der Luftfahrt bereits ab 2025 bzw. 2030 kontinuierlich steigen soll. Die großen Abnehmer findet man aber vor allem in der Industrie: Derzeit benötigt die hiesige Industrie in etwa die Hälfte des Strombedarfs in Deutschland - und zwar 234 Terawattstunden jährlich. Gerade hier ist der Wasserstoffbedarf besonders groß, etwa in der Stahlindustrie, in Raffinerien und der chemischen Industrie. Allerdings ist auch dort die benötigte Menge noch ein Problem.

Mutschler: Auch im Gebäudesektor kann Wasserstoff etwa in großen Fernwärmesystemen, Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen und Brennstoffzellen eingesetzt werden. Auch wird er mancherorts bereits bis zu zehn Prozent dem Gasnetz beigefügt. Faktisch könnten moderne Öl-Brennwertheizungen ohne große Anpassungen mit E-Fuels anstatt mit Heizöl betrieben werden. In naher Zukunft wird es hierzulande jedoch noch zu wenig - und zu wenig günstigen - grünen Wasserstoff geben, als dass dieser rein für Heizzwecke verwendet werden kann. So ist nach wie vor Erdgas der am weitesten verbreitete Wärmeerzeuger im Gebäudebestand.

Wie steht es insgesamt um die Wirtschaftlichkeit des grünen Wasserstoffs?

Stubinitzky: Gegenwärtig ist die Herstellung von grünem Wasserstoff noch nicht wirklich wirtschaftlich darstellbar. Zu knapp, zu energieintensiv und viel zu teuer beim Aufbau von Produktion und Infrastruktur - vereinfacht dargestellt sind das die Gründe. Noch trifft diese Argumentation weitgehend zu, denn grüner Wasserstoff wird derzeit in Konkurrenz zum herkömmlichen, aus Erdgas hergestellten Wasserstoff gesehen. Die wesentlichen Einflussfaktoren bei der Herstellung vom grünen Wasserstoff sind unter anderem die Stromkosten, die Anlagengröße und die Förderregime. Die Kosten hängen aber auch mit der Menge an regenerativem Strom zusammen, die wir zur Herstellung von grünem Wasserstoff brauchen. Hier in Deutschland liefern Wind und Sonne dafür schlichtweg nicht genügend Energie. Die 2020 beschlossene Nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung beinhaltet deshalb auch Importe von grünem Wasserstoff und stellt für solche Partnerschaften rund zwei Milliarden Euro zur Verfügung.

Und welche Länder kommen hier in Frage?

Mutschler: Für eine wettbewerbsfähige Erzeugung von grünem Wasserstoff bedarf es großer Anlagen in Gigawatt-Dimensionen, um Skalierungseffekte bei den Anlagenkomponenten zu ermöglichen und somit die Fixkosten bei der Herstellung zu reduzieren. Solche Elektrolyse-Anlagen benötigen außerdem große Mengen an regenerativem Strom. Für die Wasserstoffwirtschaft in Europa sind deshalb unter anderem Südeuropa, Nordafrika oder die arabische Halbinsel interessant, wo Solarstrom günstig produziert werden kann. Zugleich steht hier Meerwasser nach Aufbereitung und Entsalzung für die Elektrolyse zur Verfügung. Die internationale Zusammenarbeit ist beim Thema Wasserstoff demnach unabdingbar. Durch langfristige Kooperationen könnte eine Win-win-Situation entstehen: Für Europa wäre es die Versorgungssicherheit mit einem nachhaltig hergestellten Energieträger, für die afrikanischen Regionen mehr Wohlstand.

Das klingt schlüssig. Und wie wird der Wasserstoff dann innerhalb Deutschlands verteilt?

Stubinitzky: Energieversorger und Netzbetreiber wie EnBW, Uniper und TenneT, aber auch viele Stadtwerke wie etwa Mainova beschäftigen sich schon lange mit dieser Frage. Sie legen einen wichtigen Grundstein für die schon heute von der Industrie benötigte und auch auf Wasserstoff gestützte Energie-Infrastruktur. Unterstützt werden sie dabei auch von Drees & Sommer: Wir begleiten die Energiebranche beim Aus- und Umbau ihrer Energieerzeugungs- und Versorgungsinfrastruktur sowie bei der Realisierung von Strom-, Gas- und Wärmenetzen, also genau jener Infrastruktur, die für eine Wasserstoffwirtschaft notwendig wird.

Industrie, Energieversorger, Bauwirtschaft…. es betrifft also sämtliche Branchen?

Mutschler: Richtig. Eines der Schlüsselkonzepte ist dabei die sogenannte Sektorkopplung. Im Wesentlichen wird darunter die Vernetzung der drei Sektoren Elektrizität, Wärmeversorgung und Mobilität verstanden. Beispielsweise kann Strom aus erneuerbaren Energien dazu verwendet werden, in anderen Sektoren den Einsatz von fossilen Energien und den damit verbundenen CO2-Ausstoß zu reduzieren. Dort, wo der Umstieg auf Strom schwierig ist, kann grüner Wasserstoff eine Alternative sein, wie beispielsweise in der Stahlproduktion. Die Sektorkopplung ist somit ein vielversprechender Ansatz für die Dekarbonisierung und Energiewende im Land und Wasserstoff spielt dabei eine entscheidende Rolle. Um genau diese Themen voranzutreiben, hat Drees & Sommer vor einigen Wochen unter dem Motto #Energymeetsindustries Top-Entscheider aus Produktion und Logistik, Infrastruktur und Real Estate zusammengebracht. Das Ziel dabei: Statt über Hindernisse und Vorschriften der Politik zu klagen, konkrete Lösungsansätze für die Energiewende und Dekarbonisierung der Industrie zu entwickeln. So war eines der Erkenntnisse, dass wir die Energiewende nur gemeinsam schaffen können und eine funktionierende Sektorenkopplung ist für den Erfolg dieser Transformation entscheidend.

Autoren:

Dierk Mutschler, Vorstand der Drees & Sommer SE Nach seinem Bauingenieurstudium startete Dierk Mutschler als Projektmanager bei Drees & Sommer im Jahr 1991. Seit 2008 ist er Vorstand der Drees & Sommer Gruppe. In dieser Funktion verantwortet er u. a. die Kundenorientierung, die Produkte in allen relevanten Märkten, die Leistungsbereiche Building Performance, Smart Infrastruktur sowie Sales und kümmert sich um dem intensiven Ausbau der Branchenkompetenzen von Drees & Sommer.

Dr. Alexander Stubinitzky leitet das Wasserstoffteam bei Drees & Sommer. Er entwickelt nachhaltige Energiekonzepte von der ersten Potenzialanalyse bis zur operativen Umsetzung und Inbetriebnahme von Produktions- und Infrastrukturanlagen. Im Fokus stehen maßgeschneiderte Lösungen für Industrie, Chemie und Mobilität, um grünen Wasserstoff und seine Derivate zu erzeugen, zu importieren und am Ort des Verbrauchs effizient nutzen zu können.

Drees & Sommer: Uniting opposites to create a world we want to live in.

Nachhaltige, innovative und wirtschaftliche Lösungen für Immobilien, Industrie, Energie und Infrastruktur zu beraten, umzusetzen - oder den Kunden sogar beides aus einer Hand zu bieten - das zeichnet das partnergeführte Beratungsunternehmen Drees & Sommer SE aus. Im Jahr 1970 gegründet und seitdem als Nachhaltigkeitspionier und Digitalisierungstreiber der Real Estate Branche bekannt, beschäftigt das Unternehmen mehr als 5.100 Mitarbeitende an 59 Standorten. Interdisziplinär zusammengesetzte Teams arbeiten in mehr als 5.000 Projekten weltweit daran, eine lebenswerte Zukunft zu schaffen und scheinbare Gegensätze zu vereinen: Tradition und Zukunft, Analog und Digital, Effizienz und Wohlbefinden. Als Unternehmer im Unternehmen steht dafür eine persönlich verantwortliche Partnerschaft ein.

Bildquellen: Andriy Onufryenko, Gettyimages, Drees & Sommer , Drees & Sommer