Von der Betonschlucht zum Schwamm: Wie sich Städte an das Klima anpassen
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Während die Sommer in Deutschland immer häufiger von Hitze- und Dürreperioden geprägt sind, werden die Winter eher nasser.
Dazu mehren sich Extremwetterereignisse mit Starkregen, die nach Angaben des GDV hierzulande in den letzten 20 Jahren alleine an Wohngebäuden einen Schaden von mehr als 12 Milliarden Euro verursacht haben1 . Gregor Grassl, Associate Partner und Experte für nachhaltige Stadtentwicklung bei der Drees & Sommer SE, erklärt im Interview, wie sich Städte und Kommunen schon jetzt an die aktuellen und bevorstehenden klimatischen Veränderungen anpassen, um Schäden zu vermeiden und lebenswerte Städte zu erhalten.
1 Starkregenbilanz 2002 bis 2021: Bundesweit 12,6 Milliarden Euro Schäden (gdv.de)
Finanzen.net: Herr Grassl, in der jüngeren Vergangenheit hat die Bau- und Immobilienbranche große Anstrengungen für mehr Klimaschutz unternommen, vom kreislauffähigen Bauen über verstärktes Materialrecycling bis hin zu Plusenergiegebäuden. Waren diese Bemühungen alle umsonst, wenn wir jetzt über Klimaanpassung sprechen?
Gregor Grassl: Das waren und sind sie keinesfalls! Bemühungen um einen konsequenten Klimaschutz und eine höchstmögliche CO2-Reduktion sind in der Branche weiterhin absolut notwendig. Schließlich verursacht der Bau- und Immobiliensektor rund 40 Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen und verschlingt mehr als die Hälfte der globalen Ressourcen. Extremwetterereignisse machen jedoch deutlich, dass die Auswirkungen des Klimawandels in Deutschland bereits angekommen sind. Deshalb ist es notwendig, dass wir uns schon jetzt mit den Folgen für unsere gebaute Umwelt beschäftigen und unsere Städte klimafit machen.
Worin unterscheiden sich Maßnahmen für Klimaschutz und Klimaanpassung und wie sind sie miteinander vereinbar?
Häufig gehen sie sogar Hand in Hand. Es kann jedoch vorkommen, dass sie in der Umsetzung mit gegensätzlichen Interessen verbunden sind und dadurch kollidieren. Ein Beispiel dafür ist die Diskussion darüber, Dächer entweder zu begrünen oder mit Photovoltaikanlagen auszustatten. Ersteres ist eine Maßnahme der Klimaanpassung, zweiteres des Klimaschutzes. Dabei legen zahlreiche Studien nahe, dass sich beides kombinieren lässt und daraus sogar Synergien entstehen. Photovoltaik-Module auf Gründächern erzielen demnach einen höheren Ertrag, weil sie durch die Kühlung des Gründaches besser arbeiten. Ein weiteres Beispiel sind Solarsiedlungen, deren strenge Südausrichtung im Einzelfall dazu führen kann, dass sie dadurch die wichtige Stadtdurchlüftung stören. Es ist daher wichtig, Maßnahmen stets aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten, um Potenziale sowohl für den Klimaschutz als auch für die Klimaanpassung zu erkennen und bestmöglich auszuschöpfen.
In welchen Bereichen gibt es in Städten den größten Handlungsbedarf zur Klimaanpassung?
In unseren Städten ist in Bezug auf die klimatischen Veränderungen in der Regel nicht etwa die dichte Bebauung das Problem, sondern vielmehr die hohe Versiegelung mit wärmespeichernden Materialien. Dazu zählen zum Beispiel Beton, Asphalt oder Glas. Dadurch kann es in der Stadt um bis zu 10 Grad wärmer als im Umland sein. Man spricht in dem Fall von sogenannten urbanen Hitze- oder Wärmeinseln. Aufgrund des Wärmeinsel-Effekts gehen in Städten heiße Tage mit über 30 Grad auch häufiger mit Tropennächten, in denen die Temperatur nicht unter 20 Grad absinkt, einher. Die anhaltende Hitzebelastung bedeutet Dauerstress für den Körper und kann zu einem ernstzunehmenden Gesundheitsrisiko insbesondere für ältere Menschen, Personen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Kleinkinder werden. Unser Ziel sollte also ein Null-Heat-Island-Effekt sein. Weitere wichtige Themen sind die Wasserversorgung und der Hochwasser- und Überflutungsschutz.
Was sind konkrete Maßnahmen, mit denen sich Städte gegen zunehmende Hitze, Trockenheit oder Starkregen wappnen können?
Zur Verbesserung der Wasserverfügbarkeit kann Regenwasser mittels Baumrigolen, Tiefbeeten und Zisternen aufgefangen und bei Bedarf abgerufen werden. Grünflächen mildern gleichzeitig Wetterextreme, indem sie wie ein Schwamm Wasser aufnehmen. Kernstück der Anpassung an die Naturgewalt Regenwasser ist die sogenannte blau-grüne Infrastruktur - sie verknüpft Grünflächen, Wassermanagement und den strategischen Einsatz moderner Technik. Ein Beispiel blau-grüner Infrastruktur stellen Parks dar, die als Freizeitfläche dienen und sich bei Wolkenbrüchen in einen See oder Kanal verwandeln und so auf natürlichem Weg große Wassermengen aufnehmen. Durch eine einzige Maßnahme lassen sich somit Hochwasserschutz, Hitzeschutz, Luftreinhaltung sowie Biodiversität erzielen - gleichzeitig entstehen attraktive Aufenthaltsräume für die Stadtbewohner.
Gegen Hitzestress in der Stadt ist die Verschattung von Gebäuden und Freiflächen mit Bäumen oder Sonnensegeln eines der besten, einfachsten und kostengünstigsten Mittel mit der unmittelbar größten Wirkung. Grünflächen, Dach - und Fassadenbegrünungen spenden zudem Verdunstungskühle. Entsiegelung sowie helle und reflektierende Oberflächenmaterialien mit geringer Wärmespeicherfähigkeit tragen dazu bei, dass sich Innenstädte erst gar nicht so stark aufheizen. So gibt es bereits erste Anwendungsfälle von hellem Straßenbelag.
Im Inneren werden sich Gebäude bei langanhaltend hohen Temperaturen dennoch aufheizen. Brauchen wir zukünftig in allen Gebäuden Klimaanlagen?
Klimaanlagen wie Splitgeräte kühlen zwar den Innenraum, heizen jedoch gleichzeitig durch die Abwärme den Außenraum noch weiter auf. Zudem sind sie enorme Stromfresser. Auf Gebäudeebene kommen deshalb als Alternative verstärkt sogenannte Low-Tech-Systeme auf niedrigen Temperaturniveaus zum Einsatz. Dabei wird viel Speichermasse in das Gebäude eingebaut, die den Innenraum nachts durch die kühlere Außenluft kühlt. Fußbodenheizungen können im Sommer zum Kühlboden werden und Decken im Rahmen der Bauteilaktivierung als Kühlflächen dienen. Auch Geothermie lässt sich nicht nur zum Heizen, sondern ebenso zum Kühlen einsetzen. Es gibt demnach diverse klimafreundliche Lösungen zur Innenraumkühlung.
In Summe steht eine große Bandbreite CO2-neutraler Lösungen zur Klimaanpassungen von Städten zur Verfügung. Ähnlich wie wir als Energieberater durch Gebäude gehen und Optimierungsansätze zum Energiesparen für Geldbeutel und Umwelt suchen, sollten das Städte nun auch für die Klimaanpassung machen. Lösungsansätze präsentieren Städte und Kommunen im Rahmen der bundesweiten Woche der Klimaanpassung vom 18. bis 22. September 2023, die das Zentrum KlimaAnpassung (ZKA) gemeinsam mit dem Bundesumweltministerium organisiert und die Drees & Sommer als Partner unterstützt.
1 Starkregenbilanz 2002 bis 2021: Bundesweit 12,6 Milliarden Euro Schäden (gdv.de)
Über Gregor Grassl:
Gregor Grassl ist Associate Partner beim auf Bau und Immobilien spezialisierten Beratungsunternehmen Drees & Sommer SE mit Hauptsitz in Stuttgart. Er studierte Architektur in München und anschließend Stadtplanung in Stuttgart. 2007 startete er bei Drees & Sommer. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt im Bereich der nachhaltigen Stadt- und Quartiersentwicklung - und dabei insbesondere auf Klimaschutz- und Klimaanpassungskonzepten. 2013 wurde Gregor Grassl von der Zukunftsinitiative der Bundesregierung in die "Nationale Plattform Zukunftsstadt" berufen. Er ist zudem Mitautor des Fachbuchs "Nachhaltige Stadtplanung" und unterrichtet an der DGNB Akademie angehende DGNB Auditoren und Consultants.
Bildquellen: Drees & Sommer