Vermögensverwalter-Kolumne

Rekordstände und Rezession - ein Widerspruch?

15.12.20 08:12 Uhr

Rekordstände und Rezession - ein Widerspruch? | finanzen.net

Wie kann es sein, dass gefühlt die Wirtschaft und das gesellschaftliche Leben am Boden liegen, aber die Aktienmärkte auf Rekordjagd sind? 2020 wird damit enden, dass über 90 Prozent aller Volkswirtschaften geschrumpft sind gegenüber dem Vorjahr, 53 Prozent sogar um über 6 Prozent. Der globale Output ist 4 Billionen US-Dollar (4.5 Prozent) kleiner als zu Beginn des Jahres.

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Parallel dazu wuchs der MSCI World Index bis Ende November um 11 Prozent und der Dow Jones durchbrach das erste Mal überhaupt die 30.000 Punkte Marke. Wie passt dies zusammen?

Aus der Krise kamen klare Gewinner und Verlierer hervor. Zum einen boomten die Tech-Unternehmen und traten der sprunghaft wachsenden Nachfrage nach Digitalisierung entgegen. So liegt der Nasdaq im aktuellen Jahr mit 36 Prozent im Plus. Auf der anderen Seite gibt es die Industrie, die teilweise langanhaltende Schäden mit sich tragen wird. Gerade die Tourismusbranche trug starken Schaden davon, mit hohen Arbeitsplatzverlusten und zahlreichen Konkursen.

Der Nachfrageausfall wurde mit den beherzten staatlichen Eingriffen kompensiert. Zum einen erhöhte die expansive Fiskalpolitik das Einkommen der Haushalte. So zum Beispiel in den USA, wo das frei verfügbare Einkommen ab April 15 Prozent höher war als in den Vormonaten, trotz einer Arbeitslosenrate von 15 Prozent.

Zudem wurden weltweit 11 Billion US-Dollar neue Schulden generiert. Die USA hat mittlerweile eine Schuldenquote von 125 Prozent, Deutschland 67 Prozent , Italien fast 150 Prozent und Japan 267 Prozent. Gemäss dem IMF haben reiche Länder in diesem Jahr 4,2 Billionen US-Dollar an neuen Schulden aufgenommen, rund 17 Prozent der Summe der BIPs. Ein Ende von weiteren Unterstützungspaketen ist nicht in Sicht.

Auf der anderen Seite verhalfen die Zentralbanken der Wirtschaft mit sehr grosszügig offenen Geldhähnen. Seit März kaufen Zentralbanken alle 60 Minuten 1,3 Mrd. US-Dollar an Assets. In den USA halten die Fed und Treasury 11 Prozent der gesamten Unternehmensschulden. Möglich machen dies die tiefe Inflation und die noch tieferen Zinsen. 2020 haben 190 Zentralbanken die Zinsen gesenkt, im Durchschnitt gab es wöchentlich vier Zinssenkungen.

In Asien läuft es dagegen viel besser als gedacht. Asien hat die Pandemie weitestgehend im Griff und profitiert von einem anderen Freiheitsverständnis (inkl. dem Umgang mit Daten). China meldete im 3. Quartal ein BIP-Wachstum von 4,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Gerade China wird als Gewinner aus der Krise gehen und wirtschaftlich weiter aufholen.

Schlussendlich schauen die Märkte in die Zukunft und beurteilen den Schaden der Pandemie als einmaligen Abschreiber, der die Geschäfte der Unternehmen langfristig kaum tangieren wird. Auch die tatsächliche Geschäftstätigkeit der Unternehmen zeigt ein deutlich widerstandsfähigeres Bild als gedacht. So lassen sich Rekordstände an den Märkten und eine wahrgenommene Rezession rationalisieren. Ob dies tatsächlich so ist, wird der Rückblick in einigen Jahren zeigen.

Doch eine weitere Frage bleibt: Wer zahlt die Zeche? Und wie hoch sind die Nebenwirkungen der staatlichen Massnahmen? Oder sprechen wir hier von einer verabreichten Therapie ohne Nebenwirkungen? Dies wäre zu hoffen, doch scheint unwahrscheinlich.

von Dr. Patrick Cettier, Geschäftsführender Partner der Prio Partners GmbH in Zürich/ Schweiz

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