Vermögensverwalter-Kolumne

Mit Geduld und Weitsicht gegen Horrorszenarien

19.09.16 10:03 Uhr

Mit Geduld und Weitsicht gegen Horrorszenarien | finanzen.net

Am Ende war alles nur halb so schlimm: Der Brexit hat zwar anfangs für Aufregung an den Kapitalmärkten gesorgt, aber heute ist alles stabil wie seit Längerem nicht mehr.

Werte in diesem Artikel
Indizes

19.909,1 PKT -75,2 PKT -0,38%

4.876,5 PKT -22,4 PKT -0,46%

8.124,1 PKT -25,6 PKT -0,31%

Anleger sollten sich nicht verunsichern lassen - auch wenn die Zeichen auf Panik stehen.

Was wurden nicht Horrorszenarien aufgefahren: Die europäische Wirtschaft sei dem Untergang geweiht, die EU stehe vor dem Bankrott, und der europäische Gedanke sei sowieso hinüber. Und die Briten sollten sich auf alles gefasst machen. Sie würden am meisten unter ihrem Votum leiden, die EU verlassen zu wollen.

Etwa drei Monate nach dem Beschluss von 51,9 Prozent der Briten, den EU-Austritt des Vereinigten Königreichs mit Brüssel zu verhandeln, ist indes wieder Alltag eingekehrt. Der EuroStoxx 50 plätschert auf einem eher langweiligen Niveau vor sich hin und hat den temporären Absturz von Ende Juni locker wieder aufgeholt. Der britische Leitindex FTSE 100 hat seitdem sogar mehr als 15 Prozent dazugewonnen und notiert damit auf dem höchsten Stand seit Sommer 2015; zum Top-Wert im Drei-Jahres-Chart fehlen nur knappe drei Prozent. Der Dax 30 richtet den Blick ganz ambitioniert wieder in Richtung der 11.000 Punkte, während in den Kater-Tagen nach der Austrittsentscheidung die Tendenz eher nach unten zur 9.000er Marke zeigte. Einzig das britische Pfund schwächelt weiter.

Was zeigen diese Kursverläufe? Wohl zum einen, dass auch bei und nach ambivalenten politischen Entscheidungen Gelassenheit die erste Anleger- und Bürgerpflicht ist. Wer im Rahmen des Brexit-Votums voller Panik sein Depot bereinigt hat, um nicht noch mehr Verluste zu erleiden (die dann nicht eingetreten sind), hat ohne Not ein saftiges Minus realisiert und musste später zu schnell gestiegenen Kursen wieder aufstocken.

Die Folge: ein teurer Exit und ein teurer Wiedereinstieg. Mit ein wenig Geduld wäre das Depot recht zügig wieder auf das Ausgangsniveau geklettert, und vielleicht wäre sogar noch Cash vorhanden gewesen, um durch strategische Zukäufe von der Erholung vieler Werte und Indizes zu profitieren. Kurz gesagt: Auch bei vermeintlich historischen Ereignissen ist es besser, die Situation erst einmal ganz genau zu beobachten und sich auf den Faktor Zeit zu verlassen.

Die Börse hat immer wieder gezeigt, dass sie aus jedem Tal einen neuen Berg hinaufsteigt. Oder aber Anleger stellen bereits im Vorfeld potenzieller Großereignisse das Portfolio auf Null, um Gewinne mitzunehmen und dann die Schwächephase (die nach jedem politischen Einschnitt erfolgt) ganz gelassen ohne Engagement auszusitzen. In der ganzen Brexit-Debatte wird wieder einmal klar, dass politische Börsen kurze Beine haben.

Zum anderen wird im Zuge der Austrittsentscheidung aber auch ganz deutlich, wie weitreichend "Panikmache" bisweilen getrieben wird. Nicht zuletzt diese hat zu den Verlusten an den Märkten geführt, da allerorten das Schlimmste erwartet worden war, der Kontinent drohte schier auseinanderzubrechen. Dabei haben sich so gut wie alle Prognosen als nicht richtig herausgestellt. Es ist keine Abwanderung von Unternehmen zu verzeichnen, der Markit-Einkaufsmanagerindex stieg im August überraschend kräftig um fünf auf 53,3 Zähler, der stärkste Anstieg in der fast 25-jährigen Geschichte der Datenerhebung. Das vergleichsweise niedrige Pfund lässt den Export boomen.

Natürlich gibt es auch Schatten, das ist keine Frage. Die britische Gesamtwirtschaft wird im Zuge der Austrittsverhandlungen noch den ein oder anderen Dämpfer hinnehmen, und sicherlich wird auch der Leitzins von derzeit 0,25 Prozent noch einmal sinken.

Wichtig ist aber, und das gilt für alle Märkte zu jeder Zeit, dass sich die Anleger nicht von der allgemeinen Nachrichtenlage verunsichern lassen sollen. Zutrauen in die Portfolio-Strategie, eine ehrliche Markteinschätzung, Geduld und die Robustheit, auch bei einem Ausschlag nach unten weiterhin in den Schlaf zu kommen, sind die Erfolgsgeheimnisse. Dann lässt sich auch die nächste potenzielle Krise gut überstehen, ohne dass Geld in Panik verbrannt wird.

Von Thomas Lenerz, Direktor bei der I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH

Immer mehr Privatanleger in Deutschland vertrauen bei ihrer Geldanlage auf bankenunabhängige Vermögensverwalter. Frei von Produkt- und Verkaufsinteressen können sie ihre Mandanten bestmöglich beraten. Mehr Informationen finden Sie unter www.vermoegensprofis.de.

Der obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die finanzen.net GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.