Die EZB ist unschuldig
Für Populisten, egal ob von links oder rechts, ist die Schuldfrage immer schnell geklärt. Auch was die derzeitige Zinssituation angeht. Natürlich ist für die "Vereinfacher" die EZB und der Euro schuld an der Enteignung der Sparer durch Negativzinsen.
Aber auch viele Medien machen es sich mitunter einfach. So titelte auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 20. Mai 2017 "EZB-Geldpolitik kostet deutsche Sparer 436 Milliarden Euro". Man traut der Geldpolitik scheinbar sehr viel zu. Ob Sie allerdings wirklich so mächtig ist, dass sie die Zinssätze, selbst die langfristigen, beliebig manipulieren kann ist in der Wissenschaft umstritten.
Es gibt viele miteinander konkurrierende, sich zuweilen auch widersprechende Vorstellungen über das, was der Zins ist, und wie er sich bildet. Zwar geht man davon aus, dass die EZB-Politik zwar die Tendenz zu niedrigen Zinsätzen verstärkt hat, aber ein Trend zu fallenden Zinsen besteht schon seit Jahrzehnten. Die langfristigen Zinssätze begannen schon Ende der 80er Jahre in Europa zu sinken. Die "Quantitative-Easing-Programme" (QE) der EZB begannen jedoch erst im Zuge der Finanzkrise im Jahr 2008.
Zwei verschiedene Zinstheorien
In der Ökonomie wird der Zins als das Entgelt definiert, das der Schuldner dem Gläubiger für vorübergehend überlassenes Kapital zahlt. Dabei gibt es zwei verschiedene Ansätze das Wesen des Zinses sowie seine jeweilige Höhe zu erklären. In den realen Zinstheorien wird der Zins durch den Ertrag der Investitionen bestimmt. Nur wenn dieser den Kreditzinssatz plus einem entsprechenden Risikoaufschlag übersteigt, kommt es zu fremdfinanzierten Investitionen. Bei diesen Ansätzen hat die Geldpolitik so gut wie keinen Einfluss auf den Zinssatz. Bei den monetären Zinstheorien steht der Aspekt einer Entschädigung für die Aufgabe von Liquidität des Gläubigers im Vordergrund. Unstrittig ist bei diesem Ansatz der Einfluss der Geldpolitik auf die kurzfristigen Zinsen.
Hohe Zinsen prägen nach wie vor das Bewusstsein von vielen Verbrauchern
Die hohen Nominalzinssätze, die derzeit noch das Bewusstsein von vielen Verbrauchern in Deutschland prägen, beziehen sich auf eine kurze Phase in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Vor dem Ersten Weltkrieg lagen die langfristigen Nominal-Zinssätze bei drei Prozent. In den 20er und 30er Jahren stiegen sie infolge von Schuldenproblemen und erhöhtem Risiko auf etwa fünf Prozent. Erst nach dem zweiten Weltkrieg, in der Wiederaufbauperiode von 1955 bis 1974, erreichten sie den außerordentlich hohen Wert von acht Prozent. Danach sanken Sie langsam bis 2008 auf 6,5 Prozent und fielen nach der Finanzkrise weiter auf durchschnittlich 2,5 Prozent und erst in den letzten Jahren lagen sie im Bereich von Null.
Die historische Entwicklung der Zinssätze
Aufgrund der historischen Entwicklung der Zinssätze stellt sich die Frage, warum waren die Zinsen im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts so hoch und warum sanken sie bereits lange vor Beginn des QE? Ein Zins entsteht am Markt durch Angebot und Nachfrage von Kapital. Sparer treffen auf Investoren. Vor dem Ersten Weltkrieg sparte eine kleine Bevölkerungsschicht, zum geringen Teil in Form von Staatspapieren, überwiegend jedoch zur Selbstfinanzierung von Investitionen. Sparen und Investieren befanden sich im Gleichgewicht, die Zinssätze waren moderat. Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs die Wirtschaft außerordentlich rasch und es herrschte enormer Investitionsbedarf. Durch das starke Wirtschaftswachstum war die Nachfrage nach Kapital sehr hoch, die Zinsen stiegen dementsprechend an. Seit dem Ende des Aufholbedarfs hat sich das Wirtschaftswachstum zwangsläufig verlangsamt und die Ersparnisse wuchsen wohlstandsbedingt. Dadurch entstand ein massiver Sparüberhang, der zwangsläufig auf die Zinssätze drückte. Zusätzlich hat Verschuldung ein schlechtes Image. Viele Staaten, öffentliche Haushalte und Unternehmen haben begonnen ihre Schulden abzubauen. Der Bedarf nach Kapital ist rückläufig. Weltweit müssen aber Ersparnisse und Kredite gleich hoch sein.
Klassisches Sparen ist kontraproduktiv
Sparer müssen sich darüber klar werden, dass sie etwas anbieten, was auf dem Markt nicht mehr nachgefragt wird. Niemand benötigt ihre Ersparnisse, weil sich niemand verschulden will. Der Vorwurf der Enteignung durch die Geldpolitik der EZB greift hier ins Leere. Auf den Gütermärkten käme niemand auf die Idee von einer "stillen Enteignung" der Anbieter nicht nachgefragter Güter, etwa von Schreibmaschinen, zu sprechen. Sparen ist unter den derzeitigen Bedingungen gesellschaftlich sogar kontraproduktiv. Denn es reduziert die Nachfrage nach Gütern und dämpft damit das Wirtschaftswachstum. Ohne Wirtschaftswachstum keine Nachfrage nach Kapital. Ordentliche Zinsen gibt es nur bei Wachstum und Vollbeschäftigung. Eine Zinserhöhung der Notenbank würde derzeit wenig ändern. Die Zinsen zu erhöhen würde nur dazu führen, dass sich die Wirtschaft noch weiter abschwächt, die Inflation noch weiter zurückgeht. Damit würde man einen Mechanismus in Gang setzen, der langfristig noch zu weit tieferen Zinsen führen würde.
Es gibt kein Recht auf einen positiven Zins
Die Möglichkeiten der EZB das allgemeingültige Prinzip von Angebot und Nachfrage zu durchbrechen sind limitiert. Das Mandat der EZB definiert die Leitplanken der Geldpolitik. Sparern einen positiven Zins für Ihre Anlagen zu gewährleisten, gehört nicht zu den Aufgaben einer Notenbank. Die Zinsen bilden sich nach ökonomischen Gesetzmäßigkeiten. Es gibt kein Recht auf einen positiven Zins. Wichtigstes Ziel der EZB ist die Bewahrung der Preisstabilität. Stabile Preise sind die beste Grundlage für Wachstum, hohe Beschäftigungsquoten und Wohlstand. Wer einen Ertrag auf sein Kapital will muss investieren. Langfristig ist die Aktie die erfolgreichste Anlageklasse überhaupt, erzielt Renditen von im Schnitt gut acht Prozent pro Jahr. Für Investoren leistet die EZB hervorragende Arbeit. Wechseln sie die Seite und werden sie vom Sparer zum Investor.
von Markus Richert, CFP® und Seniorberater Vermögensverwaltung bei der Portfolio Concept Vermögensmanagement GmbH in Köln
Immer mehr Privatanleger in Deutschland vertrauen bei ihrer Geldanlage auf bankenunabhängige Vermögensverwalter. Frei von Produkt- und Verkaufsinteressen können sie ihre Mandanten bestmöglich beraten. Mehr Informationen finden Sie unter www.v-bank.com.
Der obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die finanzen.net GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.