Schwere Vorwürfe der FT: Wirecard soll im Kerngeschäft seit Jahren rote Zahlen schreiben - Weitere Festnahme - Aktie rutscht ab
Die mutmaßlichen Luftbuchungen beim insolventen Zahlungsdienstleister Wirecard sollten laut einem Pressebericht wohl auch auflaufende Verluste im eigenen Kerngeschäft kaschieren.
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In Europa und Amerika hätten die direkt unter Wirecard-Kontrolle stehenden Gesellschaften seit Jahren rote Zahlen eingefahren, berichtete die "Financial Times" ("FT") am Sonntag unter Berufung auf Anhänge zur Sonderbuchprüfung durch KPMG.
2018, als Wirecard in den DAX 30 aufstieg und die Commerzbank im Leitindex ersetzt hat, hätten die Geschäfte unter direktem Einfluss Wirecards einen operativen Verlust von 74 Millionen Euro gemacht. Auch im Jahr davor habe Wirecard in den Bereichen Geld verloren, während die offiziellen Geschäftszahlen für den Gesamtkonzern stetig steigende Gewinne auswiesen. Das Unternehmen wollte die Informationen der Zeitung nicht kommentieren.
Wirecard hatte nach mehrfachen Verzögerungen des Geschäftsberichts für das vergangene Jahr Mitte Juni einräumen müssen, dass rund 1,9 Milliarden Euro auf Treuhandkonten auf den Philippinen mit großer Wahrscheinlichkeit nie existiert haben. Das Geld war offiziell für das sogenannte Drittpartnergeschäft in Asien vorgesehen, über das Wirecard nach eigener Darstellung Geschäfte in Ländern ohne eigene Lizenz abwickelte.
Inzwischen hat Wirecard Insolvenz angemeldet, Milliarden an Börsenwert wurden vernichtet. Öffentlich gemacht hat die Staatsanwaltschaft, dass gegen Ex-Chef Markus Braun, den ebenfalls gefeuerten Top-Manager Jan Marsalek und andere wegen Verdachts unrichtiger Angaben und Marktmanipulation ermittelt wird. Braun hat sich den Behörden gestellt und ist nach Zahlung einer millionenschweren Kaution auf freiem Fuß, Marsalek ist untergetaucht.
Ende April hatte der im vergangenen Herbst angestoßene Sonderbericht der Wirtschaftsprüfer von KPMG die seit längerem umlaufenden Zweifel an den Gepflogenheiten des Unternehmens aus dem Münchener Vorort Aschheim untermauert und wichtige Fragen offen gelassen. Der veröffentlichen Version des KPMG-Sonderberichts fehlen die von der "FT" nun angeführten Anhänge. Ende Januar 2019 hatte die "FT" mit internen Unterlagen zum Asiengeschäft einen herben Kurssturz der Aktie ausgelöst.
Aktionärsschützer - KPMG-Bericht zu Wirecard komplett offenlegen
Aktionärsschützer fordern bei der Aufklärung des Wirecard-Skandals mehr Transparenz.
Der von den Wirtschaftsprüfern der KPMG erstellte Bericht müsse komplett offengelegt werden, sagte der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz (DSW), Marc Tüngler, der Nachrichtenagentur Reuters am Montag. Der KPMG-Bericht rücke immer stärker ins Zentrum. "Bisher kennen wir aber allein die Kurzfassung. Der komplette Bericht hätte bereits direkt offengelegt gehört, wie es auch von Wirecard ursprünglich avisiert wurde."
Wirecard hatte nach wiederholten Vorwürfen der Bilanzmanipulation KPMG mit einer Sonderprüfung beauftragt. Nach mehreren Verzögerungen wurde eine Kurzfassung schließlich Ende April veröffentlicht. Sie brachte den Stein ins Rollen, der schließlich zum Kollaps des Zahlungsanbieters führte.
Da es so scheine, als würde der Bericht jetzt einzelnen Personen und Medien vorliegen, sei es umso dringender den vollständigen Bericht zu veröffentlichen, betonte Tüngler. Er kritisierte eine "massive Informationsasymmetrie". "Dass diese selbst jetzt noch vorherrscht, ist für die betroffenen Anleger, Mitarbeiter und Kunden eine weitere unerträgliche Dimension des Falles."
Wirecard-Aktie rutscht nach negativem 'FT'-Bericht ab
Die Aktien des nach einem Bilanzskandal ums Überleben kämpfenden Zahlungsdienstleisters sind nach einem Bericht der "Financial Times" ("FT") wieder unter Druck geraten. Die Wirecard-Papiere rutschten am Montag zum Handelsende via XETRA um 20,64 Prozent auf 2,56 Euro ab.
Laut der "FT" sollten die mutmaßlichen Luftbuchungen bei Wirecard wohl auch auflaufende Verluste im eigenen Kerngeschäft kaschieren. In Europa und Amerika hätten die direkt unter Wirecard-Kontrolle stehenden Gesellschaften seit Jahren rote Zahlen eingefahren, schrieb die Zeitung unter Berufung auf Anhänge zur Sonderbuchprüfung durch KPMG.
Die "FT" veröffentlichte in den vergangenen Jahren immer wieder kritische Berichte über Wirecard, auch als sie an der Börse noch der Anlegerliebling waren. Seinerzeit legten die Wirecard-Aktien mit der Aussicht auf einen Aufstieg in den DAX von Mitte 2017 bis Anfang September 2018 einen steilen Kursanstieg hin - von rund 55 Euro bis auf das Rekordhoch von 199 Euro.
Mitte Juni diesen Jahres aber hatte Wirecard nach mehrfachen Verzögerungen des Geschäftsberichts für das vergangene Jahr einräumen müssen, dass rund 1,9 Milliarden Euro auf Treuhandkonten auf den Philippinen mit großer Wahrscheinlichkeit nie existiert haben. Nachdem der Skandal im Juni ans Tageslicht gekommen war, hatten die Papiere zwischenzeitlich rund 99 Prozent an Wert verloren und nur noch 1,08 Euro gekostet. Milliarden an Börsenwert wurden so vernichtet.
Inzwischen hat Wirecard Insolvenz angemeldet. Der Konzern wird voraussichtlich in Einzelteile zerlegt und verkauft. Die Aktie ist zuletzt immer mehr zu einem kurzfristigen Spekulationsobjekt geworden. Wegen der niedrigen Kursbasis fallen die prozentualen Kursschwankungen mitunter heftig aus.
Weitere Festnahme bei Wirecard
Im Bilanzskandal beim Zahlungsdienstleister Wirecard-hat sich nach dem früheren Konzernchef Markus Braun ein weiterer zentraler Beschuldigter den deutschen Strafverfolgern gestellt.
Der Chef einer Wirecard-Tochter aus Dubai sei nach München gekommen und dort verhaftet worden, teilte die Staatsanwaltschaft in der bayerischen Landeshauptstadt am Montag mit. Ihm würden besonders schwerer gemeinschaftlicher Betrug sowie Beihilfe zu anderen Straftaten vorgeworfen. Schwerer Betrug kann mit zehn Jahren Gefängnis bestraft werden.
Der Mann arbeitete nach Angaben der Staatsanwaltschaft bisher als Leiter der Wirecard-Tochter Cardsystems Middle East. Die Konzerntochter in den Vereinigten Arabischen Emiraten spielte eine wichtige Rolle im Asiengeschäft des pleite gegangenen Konzerns. Die Strafverfolger befürchteten, dass der Manager Beweismittel beiseite schaffen oder Zeugen beeinflussen könnte. In Asien vermisst Wirecard einen Betrag von 1,9 Milliarden Euro in seiner Bilanz und hat die Vermutung geäußert, das das in der Bilanz verbuchte Geld wahrscheinlich gar nicht existiert.
Die Staatsanwaltschaft München ermittelt gegen eine Reihe gegenwärtiger und früherer Spitzenmanager von Wirecard wegen Marktmanipulation, Bilanzfälschung, Betrug und Untreue. Braun hatte sich nach seinem Rücktritt als Vorstandschef der Justiz in München gestellt. Wegen Fluchtgefahr wollte ihn die Staatsanwaltschaft in Untersuchungshaft behalten. Ein Gericht entschied jedoch, dass Braun gegen eine Kaution von fünf Millionen Euro wieder auf freien Fuß durfte.
Anders als bei Braun ordnete das Amtsgericht München bei dem nun festgenommenen Manager aus Dubai eine Fortdauer der Untersuchungshaft an. Der frühere Vorstand Jan Marsalek, der als Brauns rechte Hand bei Wirecard für das Tagesgeschäft zuständig war, setzte sich hingegen ab. Er hatte der Staatsanwaltschaft zwar nach Angaben von Insidern über seinen Münchner Rechtsanwalt zunächst ausrichten lassen, er werde sich ebenfalls stellen, tauchte dann aber unter. Marsalek war nach dem Auffliegen des Skandals fristlos entlassen worden.
Marsalek wurde zunächst auf den Philippinen und in China vermutet. Zuletzt jedoch teilte der Justizminister des Landes mit, entsprechende Ein- und Ausreisedaten von Marsalek seien gefälscht worden.
/men/zb
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