US-Demokraten nominieren Biden als Präsidentschaftskandidaten
Die US-Demokraten haben Joe Biden offiziell als ihren Kandidaten im Rennen um das Weiße Haus nominiert.
Der 77-Jährige zieht damit am 3. November gegen den republikanischen Amtsinhaber Donald Trump in die Wahl. Der ehemalige US-Vizepräsident erhielt am Dienstagabend (Ortszeit) beim ersten weitgehend virtuellen Parteitag der Demokraten wie erwartet eine deutliche Mehrheit der mehr als 4000 Delegiertenstimmen.
"Es bedeutet die Welt für mich und meine Familie", sagte Biden nach der Nominierung im Beisein seiner Frau Jill und seinen Enkeln, gerahmt von Luftballons in den Nationalfarben. Zu sehen waren sie in einer High School in Wilmington (Delaware), in der Jill Biden früher Englisch unterrichtet hat. Auf Twitter schrieb Biden, "es ist die Ehre meines Lebens", die Nominierung als Präsidentschaftskandidat der Demokraten anzunehmen. Formell geschieht das erst zum Abschluss des Parteitags am Donnerstag (Ortszeit), wenn Biden in Wilmington seine Nominierungsrede hält. Amtsinhaber Trump soll kommende Woche bei dem Parteitag der Republikaner zum Kandidaten gekürt werden.
Die Demokraten waren bemüht, Feierstimmung aufkommen zu lassen - trotz der Abwesenheit Zehntausender jubelnder Menschen, die üblicherweise bei Parteitagen dabei sind. Wie in Corona-Zeiten besondere Anlässe gefeiert werden, haben viele in den vergangenen Monaten selbst erlebt - und so wurde auch Biden gezeigt: nur im Kreis von Familienangehörigen, die Masken trugen. Die übrigen Gratulanten applaudierten in einem Mosaik aus Bewegtbildern in ihren Wohnzimmern.
Dann wurde es wieder offiziell: Der Parteitagsvorsitzende, Bennie Thompson, kam ins Bild und sagte: "Ich freue mich, bekannt zu geben, dass Vizepräsident Joe Biden offiziell von der Demokratischen Partei als unser Kandidat für das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten nominiert wurde." Im Hintergrund lief das Lied "Celebration" von Kool & The Gang weiter. "Aus tiefstem Herzen: Danke euch allen!", sagte Biden.
Der Parteitag der Demokraten steht im Zeichen der Corona-Pandemie. Ursprünglich war das Treffen in einer großen Halle in Milwaukee (Wisconsin) geplant. Das viertägige traditionelle Mega-Event wurde auf zwei Stunden Programm pro Tag im Stil einer TV-Show reduziert, das im Fernsehen und online übertragen wird. Nach Eva Longoria Bastón zum Auftakt führte am zweiten Abend mit Tracee Ellis Ross wieder eine Schauspielerin durchs Programm. Nur wenige Vertreter der Demokraten sind überhaupt nach Milwaukee gereist.
Auch die Abstimmung zur Nominierung wurde so zum Experiment - und erinnerte an die Punktevergabe beim Eurovision Song Contest. Pro Staat oder Gebiet der USA wurde ein Video - live oder aufgezeichnet - gezeigt, in denen die Vertreter der einzelnen Landesteile die Zahl der Delegiertenstimmen für Biden verkündeten. Der diesjährige sogenannte "Roll Call" nahm die Zuschauer von der Edmund Pettus Bridge in Alabama, auf der der kürzlich verstorbene Bürgerrechtler John Lewis in den 60er Jahren niedergeprügelt wurde, über die Felder von Kansas mit bis nach Las Vegas und an den Strand von Hawaii. Für New York sprach die Krankenschwester Scheena Iyande Tannis, die von ihren Erfahrungen in der Corona-Pandemie erzählte. Am Ende sagte sie voller Enthusiasmus, es sei Zeit für Biden: "It's Joe Time" - Showtime für Joe Biden.
Biden verspricht, das Land als Präsident zu einen. Er will aus der Corona-Pandemie führen und die Wirtschaft wieder aufbauen, die durch die Krise erheblichen Schaden genommen hat. Zudem verspricht er, sich für mehr Gerechtigkeit einzusetzen und gegen systematischen Rassismus einzutreten. Der 77-Jährige war acht Jahre lang Vizepräsident unter Barack Obama. In die Wahl ziehen will er mit der kalifornischen Senatorin Kamala Harris, die im Fall eines Sieges die erste schwarze Vizepräsidentin der USA wäre. Harris soll am Mittwoch (Ortszeit) nominiert werden und anschließend ihre Nominierungsrede halten.
US-Präsident Trump versucht Biden als "Marionette der radikalen linken Bewegung" zu stilisieren. Bei einem Auftritt am Dienstag in Arizona warnte Trump vor unkontrollierter Einwanderung im Fall seiner Wahlniederlage. "Sie wollen die Mauer niederreißen, sie wollen keine Grenzen haben", sagte er in der Grenzstadt Yuma. Die Demokraten sind gegen die Mauer an der Grenze zu Mexiko, sie sind aber nicht für die Öffnung aller Grenzen. Trump wiederholte seine Worte vom Vortag, dass es bei der Wahl im November um das "Überleben unserer Nation" gehe.
Parallel zum Parteitag der Demokraten reist Trump quer durchs Land - in Bundesstaaten, die bei der Wahl besonders umkämpft sind. Nach Wisconsin, Minnesota und Arizona will er am Donnerstag Pennsylvania besuchen. Es dürfte kein Zufall sein, dass er am Tag von Bidens Nominierungsrede unweit von dessen Geburtsort Scranton auftritt.
Am zweiten Tag der "Convention" stellten sich erneut prominente Politiker hinter Biden und gegen Trump: die ehemaligen demokratischen Präsidenten Jimmy Carter (95) und Bill Clinton (74), der Außenminister unter Barack Obama, John Kerry (76) und der republikanische Ex-Außenminister Colin Powell (83). Am Mittwochabend soll Ex-US-Präsident Obama sprechen.
"In einer Zeit wie dieser sollte das Oval Office eine Kommandozentrale sein. Stattdessen ist es ein Sturmzentrum", kritisierte Clinton. "Wir verdienen eine Person mit Integrität und Urteilsvermögen, jemanden, der ehrlich und fair ist", sagte Carter in einer Audiobotschaft. Er ist der älteste noch lebende Ex-Präsident.
"Mit Joe Biden im Weißen Haus werden Sie nie daran zweifeln, dass er zu unseren Freunden stehen und unseren Gegnern die Stirn bieten wird - niemals umgekehrt. Er wird unseren Diplomaten und unseren Geheimdiensten vertrauen, nicht der Schmeichelei von Diktatoren und Despoten", sagte Powell. Kerry sagte über Trump: "Er trennt sich von unseren Verbündeten und schreibt Liebesbriefe an Diktatoren." Der führende US-Demokrat im Senat, Chuck Schumer (69), sagte hoffnungsvoll: "Aus diesem langen, nationalen Alptraum wird Amerika endlich in einer besseren Zukunft und an einem neuen Tag aufwachen."
Biden liegt in landesweiten Umfragen vor Trump. Die Erhebungen haben aber wegen des komplizierten Wahlsystems nur begrenzte Aussagekraft. Biden ist bislang gut mit einem zurückhaltenden Wahlkampf gefahren, mit dem er der Pandemie Rechnung getragen hat. Die Demokraten unterstreichen damit ihre Botschaft, einen verantwortungsvollen Kandidaten ins Rennen ums Weiße Haus zu schicken. Wegen Trumps treuer Basis sind sie auf eine breite Koalition an Unterstützern angewiesen, von enttäuschten Trump-Wählern bis hin zu Parteilinken. Die Hoffnung ist, dass der moderate Biden diese hinter sich vereinen kann.
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MILWAUKEE (dpa-AFX)
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