Treffen mit Russland-Chef

Treffen zwischen Putin und Österreichs Kanzler bringt wenig Optimismus: Der Krieg kennt nur Verlierer

11.04.22 20:40 Uhr

Treffen zwischen Putin und Österreichs Kanzler bringt wenig Optimismus: Der Krieg kennt nur Verlierer | finanzen.net

Knapp sieben Wochen nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hat der erste westliche Regierungschef in Moskau versucht, persönlich auf Kremlchef Wladimir Putin einzuwirken.

Nach dem Treffen sagte Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer, er habe "keinen optimistischen Eindruck". Die russische Armee bereite eine Offensive in der Ostukraine vor. "Diese Schlacht wird mit Vehemenz geführt werden." Deshalb müssten Zivilisten aus den umkämpften Gebieten über humanitäre Korridore in Sicherheit gebracht werden.

Die Hoffnungen in der Europäischen Union auf greifbare Ergebnisse des Treffens waren ohnehin gering. Stattdessen will die EU der Ukraine wegen der erwarteten russischen Großoffensive im Osten noch schneller mehr Waffen liefern. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) forderte, Deutschland müsse auch schwere Waffen an Kiew abgeben. Kanzler Olaf Scholz (SPD) will nur abgestimmt mit den EU-Partnern handeln und "Alleingänge" vermeiden. Unter schweren Waffen versteht man Panzer, Kampfjets, Kriegsschiffe oder Artilleriegeschütze.

Russland berichtete unterdessen von der Zerstörung Dutzender Militärobjekte in der Ukraine. Zudem soll der Hafen der heftig umkämpften Stadt Mariupol im Südosten unter russischer Kontrolle sein. In Polen kamen Tausende weitere Geflüchtete aus der Ukraine an, zugleich kehrten aber auch Tausende Menschen zurück.

Kein Nato-Land: Kann Österreichs Kanzler eine Brücke bauen?

Putin empfing Nehammer am frühen Nachmittag in der Residenz des Präsidenten in Nowo-Ogarjowo im Moskauer Gebiet, das Gespräch dauerte etwa eine Stunde. Die wichtigste Botschaft des Kanzlers sei gewesen, dass dieser Krieg aufhören müsse, denn es gebe auf beiden Seiten nur Verlierer. "Das Gespräch mit Präsident Putin war sehr direkt, offen und hart", teilte Nehammer mit. Er verteidigte sein Treffen auch gegen Kritik. Er habe die Schrecken des Krieges direkt ansprechen wollen. "Es braucht die persönliche Konfrontation." Das Treffen sei mit den Spitzen der EU und mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj abgesprochen gewesen. Österreich ist zwar in der EU, aber nicht in der Nato.

Nehammer forderte eine Aufklärung der Kriegsverbrechen. Dabei könnten die Vereinten Nationen helfen, sagte er nach seinem Besuch in Kiew und in dem Vorort Butscha, wo Hunderte Leichen von Zivilisten gefunden worden waren. Diejenigen, die dafür verantwortlich seien, müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Putin habe ein Misstrauen an den Tag gelegt, was die unabhängige Verfolgung dieser Verbrechen angehe, sagte Nehammer. Österreich habe aber angeboten, sich für eine Aufarbeitung durch die internationale Strafjustiz einzusetzen.

Schwere Waffen für Kiew? Baerbock drängelt, Scholz zögert

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell drängte die Mitgliedsländer erneut, ihre Waffenlieferungen zu verstärken. Kriege würden normalerweise nicht mit Sanktionen, sondern auf dem Schlachtfeld entschieden, sagte der Spanier am Rande eines Treffens der EU-Außenminister in Luxemburg. Er sei besorgt, dass Russland Truppen zusammenziehe, um einen Angriff in der Ostukraine zu starten. Russlands Außenminister Sergej Lawrow hielt Borrell einen aggressiven Kurswechsel vor.

Zu der Frage, ob Deutschland der Ukraine auch schwere Waffen liefern soll, hielt sich Kanzler Scholz zurück. Der SPD-Politiker sagte am Montagabend in Berlin, Deutschland habe der Regierung in Kiew schon Waffen geliefert und werde das auch weiter tun. Darüber hinaus werde man sich in der EU weiter absprechen. "Da wird es keine Alleingänge geben." Er strebe ein "sorgfältig abgewogenes Handeln" an.

Baerbock äußerte sich klarer. "Die Ukraine braucht weiteres militärisches Material - vor allen Dingen auch schwere Waffen", sagte die Grünen-Politikerin in Luxemburg. "Jetzt ist keine Zeit für Ausreden, sondern jetzt ist Zeit für Kreativität und Pragmatismus." Deutschland hat bisher unter anderem Luftabwehrraketen, Panzerfäuste und Maschinengewehre in die Ukraine geliefert. Der Rüstungskonzern Rheinmetall bot bis zu 50 Kampfpanzer für die Ukraine an. "Der erste Leopard 1 könnte in sechs Wochen geliefert werden", sagte der Chef der Düsseldorfer Waffenschmiede, Armin Papperger, dem "Handelsblatt". Dafür ist aber die Zustimmung der Bundesregierung nötig.

Selenskyj fordert Kampfflugzeuge und Panzer

Selenskyj forderte erneut Flugabwehrsysteme, Kampfjets, Panzern und Artillerie für sein Land. Russland könne zum Frieden nur gezwungen werden, sagte er. Die bisherigen Sanktionen reichten dafür nicht aus. "Es müssen die Verbindungen russischer Banken mit dem weltweiten Finanzsystem komplett abgebrochen werden", betonte das Staatsoberhaupt. Vor allem der russische Export von Erdöl müsse gestoppt werden.

In der seit Anfang März belagerten Hafenstadt Mariupol sollen Selenskyj zufolge Zehntausende Menschen getötet worden sein. "Sie wollen es so machen, dass Mariupol eine demonstrativ zerstörte Stadt ist", sagte der 44-Jährige.

Der Hafen dort soll nun unter russischer Kontrolle sein. Streitkräfte der selbst ernannten Volksrepublik Donezk hätten die Kontrolle übernommen, schrieben die russischen Agenturen Ria und Interfax unter Berufung auf den Donezker Separatistenführer Denis Puschilin.

Neue Sanktionen: EU will auf russisches Öl verzichten

Nach Kohle nun auch Öl: Die EU-Kommission will einen Vorschlag für ein europäisches Importverbot für russisches Öl vorlegen. "Sie arbeiten jetzt daran, dass sichergestellt ist, dass Öl Teil des nächsten Sanktionspakets ist", sagte der irische Außenminister Simon Coveney am Rande eines Treffen mit seinen EU-Amtskollegen. Die EU gebe Hunderte Millionen Euro für Ölimporte aus Russland aus. "Das trägt sicherlich zur Finanzierung dieses Krieges bei. Und aus unserer Sicht müssen wir diese Kriegsfinanzierung beenden, auch wenn sie enorme Herausforderungen und Probleme für die EU mit sich bringt."

Moskau: 78 ukrainische Militärobjekte zerstört

Mit neuen Luftangriffen zerstörten die russischen Streitkräfte nach eigenen Angaben weitere 78 ukrainische Militärobjekte. "Die russischen Luftabwehrsysteme haben bei der Ortschaft Isjum zwei ukrainische Kampfflugzeuge vom Typ Su-25 abgeschossen", sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow. Im Gebiet Cherson sei ein ukrainischer Kampfhubschrauber vom Typ Mi-24 abgeschossen worden. Überprüfbar von unabhängiger Seite waren diese Angaben nicht. Nach Angaben Konaschenkows wurden zudem mehrere ukrainische Kommandopunkte, Munitions- und Treibstofflager sowie Luftabwehrsysteme vernichtet.

Ukraine befürchtet Angriff auch aus westlicher Richtung

Die ukrainische Führung fürchtet einen russischen Angriff auch aus dem Westen. Dazu könnten die in der Republik Moldau stationierten russischen Truppen genutzt werden, hieß es in Kiew. Daneben meldet Kiew eine weitere Konzentration russischer Truppen in der Ostukraine. Darunter seien auch Truppenteile aus Sibirien und dem russischen Fernen Osten. "Wahrscheinlich werden die Okkupanten in den nächsten Tagen versuchen, ihre Offensive zu erneuern", erklärte der ukrainische Generalstab.

Erneut 28 500 ukrainische Flüchtlinge in Polen angekommen

Seit Beginn des Krieges brachten sich bereits 2,66 Millionen Menschen aus der Ukraine in Polen in Sicherheit, wie der polnische Grenzschutz am Montag auf Twitter mitteilte. Allein am Sonntag kamen 28 500 Flüchtlinge, ein Rückgang um 2,1 Prozent im Vergleich zum Tag zuvor. Mehr als 4,5 Millionen Menschen haben sich nach UN-Angaben bislang im Ausland in Sicherheit gebracht. Mehr als sieben Millionen Menschen sind innerhalb des Landes vertrieben worden. Vor Kriegsausbruch am 24. Februar lebten in der Ukraine 44 Millionen Menschen.

MOSKAU/LUXEMBURG (dpa-AFX)

Bildquellen: Sasha Mordovets/Getty Images