Studie warnt vor Scheitern der Transformation im Stahlsektor

16.12.24 11:15 Uhr

Von Andrea Thomas

DOW JONES--Ein Scheitern der Transformation im Stahlsektor hin zur Klimaneutralität hätte gravierende Auswirkungen auf Investitionen und Beschäftigung in den stahlverarbeitenden Branchen. Das ergab eine Befragung und Analyse der internationalen Strategieberatung Oliver Wyman und IW Consult, die im Auftrag der Wirtschaftsvereinigung Stahl durchgeführt wurde. Stahl sei eine industrielle Kernbranche in Deutschland und strahle auf andere Bereich aus. Aber die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Transformation fehlten. Laut Studie sind für 81 Prozent der befragten Experten zu hohe Energiepreise und zu knappe Verfügbarkeit potenzielle Auslöser für das Scheitern der Transformation.

In der Analyse wird deutlich gemacht, dass der Stahlstandort Deutschland an einem entscheidenden Scheideweg steht. Denn die Skepsis gegenüber einem erfolgreichen Transformationsszenario bei den Kunden der Stahlindustrie hat spürbar zugenommen. Die grüne Transformation müsse aber gelingen, damit sie zum Wegbereiter für die Dekarbonisierung und Stärkung der Resilienz des Wirtschaftsstandorts Deutschland werden könne, mahnten die Experten.

Hanno Kempermann, Geschäftsführer von IW Consult, betonte, die Analysen zu den wirtschaftlichen Branchenverflechtungen und die Unternehmensbefragung bei Stahlverarbeitern machten deutlich, dass Stahl eine der industriellen Kernbranchen Deutschlands sei. Eine lokale Stahlindustrie sei ein wichtiger Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit der nachgelagerten Industrie, sei es als Impulsgeber für Innovationen, höhere Nachhaltigkeitsstandards oder als Sicherung von Qualitätsvorsprüngen.

"Zieht die Stahlindustrie weg, werden auch Teile der nachgelagerten Branchen ihre Produktion am Standort verringern", warnte er.

Für Nils Naujok, Energieexperte bei Oliver Wyman, ist die Stahlindustrie ein wesentlicher Bestandteil des Wertschöpfungsnetzwerks Deutschlands und leistet durch enge Vernetzungen bedeutende Beiträge zum Industriestandort. Die Dekarbonisierung der Stahlindustrie biete für den Industriestandort Deutschland ein enormes Potenzial, weil der CO2-Fußabdruck der Kundenindustrien durch Net-Zero-Stahl-Technologien erheblich gesenkt werden könne. "Ein Scheitern dieser Transformation hätte jedoch gravierende Auswirkungen auf die Bruttowertschöpfung wichtiger Kundenindustrien und die zukünftigen Produktionskapazitäten der Stahlbranche", warnte Naujok.

Strategische Unabhängigkeit mit Stahl

Laut Studie ist die Stahlindustrie in Deutschland unverzichtbarer Teil der erfolgreichen industriellen Netzwerke. Stahl aus Deutschland sichere strategische Unabhängigkeit und sei ein wesentlicher Faktor für gesamtwirtschaftliche Resilienz. So entfallen auf die stahlintensive Wertschöpfungsketten bestehend aus Stahlindustrie, stahlintensiven Abnehmern sowie Vorleistern 17 Prozent der Wertschöpfung und 12 Prozent der Arbeitsplätze der deutschen Gesamtwirtschaft. Vor allem der industrielle Mittelstand in Deutschland sei stahlintensiv: Etwa die Hälfte des Produktionswerts, der vom Mittelstand erwirtschaftet wird, entfalle auf das Wertschöpfungsnetzwerk Stahl.

Zudem sichere eine starke heimische Stahlindustrie die Wettbewerbsfähigkeit vieler Stahlverarbeiter, gerade auch im Mittelstand. Laut Unternehmensumfrage prägt für 71 Prozent der Unternehmen Stahl aus Deutschland das Label "Made in Germany" maßgeblich mit. Für 80 Prozent der befragten Unternehmen weist Stahl aus Deutschland geringere CO2-Emissionen aus als ausländischer Stahl. Für 69 Prozent ist Stahl aus Deutschland wichtig für die Stabilität der Lieferketten.

Über eine erfolgreiche Transformation könne dieser Vorteil weiter ausgebaut werden. Ein wachsendes Angebot an CO2-reduziertem Stahl ermögliche Abnehmern, eigene Klimaziele zu erreichen und so das Kunden- und Zuliefernetzwerk weiter zu stärken, so die Untersuchung.

Skepsis bei erfolgreicher Transformation

In der Umfrage wurde aber deutlich, dass fehlende Rahmenbedingungen aktuell zu einer großen Verunsicherung führen, ob die Transformation gelingt. Dabei hätte ein Scheitern tiefgreifende Konsequenzen für den Industriestandort Deutschland, wie die Experten warnten. So würden 70 Prozent des Stahlbedarfs der stahlintensivsten Industrien in Deutschland von deutschen und europäischen Herstellern gedeckt.

Aber nur 14 Prozent der befragten Unternehmen erwarteten gegenwärtig eine erfolgreiche Transformation, in der bis 2035 ein Großteil der jetzigen Primärstahlanlagen umgestellt werden kann. Für 81 Prozent der befragten Experten sind zu hohe Energiepreise und zu knappe Verfügbarkeit potenzielle Auslöser für das Scheitern der Transformation, so die Studie.

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