SPD begründet ihre Forderung nach 15 Euro Mindestlohn mit einer EU-Richtlinie - das steht wirklich drin

10.09.24 14:14 Uhr

Im Streit um den Mindestlohn hoffen Gewerkschaften auf die EU. Nach einer Richtlinie müsse der Mindestlohn auf 14 Euro steigen. Das steht wirklich drin.

Bundeskanzler Olaf Scholz und sein Arbeitsminister Hubertus Heil wollen einen Mindestlohn von 15 Euro durchsetzen
Bundeskanzler Olaf Scholz und sein Arbeitsminister Hubertus Heil wollen einen Mindestlohn von 15 Euro durchsetzen

SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz und sein Arbeitsminister Hubertus Heil wollen eine Erhöhung des Mindestlohnes auf 15 Euro erzwingen.

Sie berufen sich dabei auf eine EU-Richtlinie, die Deutschland 2024 umsetzen muss. Diese sieht eine Empfehlung vor, woran sich der Mindestlohn orientieren könne.

Was genau steht in der Richtlinie? Und welche Auswirkungen hätte sie wirklich auf die Höhe des  Mindestlohns in Deutschland?

Die SPD dringt darauf, den gesetzlichen Mindestlohn erneut kräftig anheben. Er soll noch einmal um 20 Prozent von jetzt 12,41 auf 15 Euro steigen. Das forderte zunächst Bundeskanzler Olaf Scholz. Sein Arbeitsminister Hubertus Heil verlangte dies jetzt von der – eigentlich unabhängigen – Mindestlohn-Kommission. Sie berufen sich dabei eine EU-Richtlinie, die Deutschland 2024 umsetzen muss. Doch was steht wirklich in der Richtlinie? Und was folgt daraus für den Mindestlohn in Deutschland?

Zunächst zum Hintergrund des Streits: Die zuständige Mindestlohn-Kommission hatte vor einem Jahr empfohlen, den gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland bis Anfang 2025 von damals zwölf Euro in zwei Schritten von je 41 Cent auf 12,82 zu erhöhen. Die Entscheidung fiel gegen die Gewerkschaften. Auch Scholz und Heil kritisieren diese Erhöhung seinerzeit als zu gering.

Die Gewerkschaften brachten daraufhin die Mindestlohn-Richtlinie der EU ins Spiel. Dies griff die SPD auf. Die Richtlinie wurde in Brüssel im Herbst 2022 beschlossen. EU-Länder wie Deutschland müssen sie bis November 2024 umsetzen. Sie enthält auch Orientierungsgrößen für die Höhe des Mindestlohnes.

Die Gewerkschaften sehen darin einen Automatismus: „Spätestens bis Ende 2024 muss die EU-Mindestlohnrichtlinie in nationales Recht umgesetzt werden. Dies würde einem Mindestlohn in Höhe von mindestens 14 Euro entsprechen", verlangte der Deutsche Gewerkschaftsbund schon vor einem Jahr.

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Das steht in der EU-Richtlinie zum Mindestlohn

Diese Sicht wird nicht von allen geteilt. Unstrittig ist, dass Deutschland die Richtlinie umsetzen muss. Zur Höhe des Mindestlohnes enthält sie aber keine feste Vorgabe, wohl aber eine Reihe von Empfehlungen.

Wörtlich heißt es in der Richtlinie zur Höhe des Mindestlohns: Die Bewertung könnte sich auf international übliche Referenzwerte stützen, wie die Höhe des Bruttomindestlohns bei 60 Prozent des Bruttomedianlohns und die Höhe des Bruttomindestlohns bei 50 Prozent des Bruttodurchschnittslohns. (...) Die Bewertung könnte auch auf internationalen Eeferenzwerten beruhen, die mit auf nationaler Ebene verwendeten Indikatoren verbunden sind, wie etwa dem Vergleich des Nettomindestlohns mit der Armutsgrenze und der Kaufkraft von Mindestlöhnen."

SPD und Gewerkschaften machen sich daraus zwei Kriterien für die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns zu eigen: Er solle 50 Prozent des durchschnittlichen Bruttolohns oder 60 Prozent des Medianlohns betragen. Der Medianlohn ist der mittlere Wert aller Löhne und Gehälter (siehe Infokasten). Anders als beim Durchschnit fallen beim Median außergewöhnlich hohe Gehälter weniger stark ins Gewicht.

Was ist ein Mediangehalt?

Weil extrem hohe oder niedrige Gehälter den Durchschnittswert leicht verzerren können, beziehen sich die Analysten oft auf den Median. Dabei handelt es sich um die Zahl, die genau in der Mitte aller Werte liegt. Das heißt, es gibt exakt gleich viele Gehälter, die niedriger und die höher sind als das Mediangehalt.

Beide Lohngrößen ermittelt für Deutschland das Statistischen Bundesamt. Die aktuellsten Zahlen gelten für den April 2023. Da betrug der durchschnittliche Stundenlohn in Deutschland 25,94 Euro. Die in der EU-Richtlinie empfohlenen 50 Prozent entsprächen einem Mindestlohn von 12,97 Euro. Der Mindestlohn in Deutschland lieg aktuell mit 12,41 leicht darunter. Zum Jahreswechsel steigt er auf 12,82 Euro.

Der Median für den Stundenlohn betrug im April 2023 in Deutschland 22,20 Euro. Um die in der EU-Richtlinie empfohlenen 60 Prozent zu erreichen, müsste der Mindestlohn auf 13,32 Euro steigen. Woher kommt also die Forderung nach einem Mindestlohn von 15 Euro.

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Ein Grund kann darin liegen, dass beide Lohngrößen seit der letzten Erhebung im April 2023 gestiegen sein dürften. Gerade in dem offenen Zeitraum hatte es in vielen Branchen hohe Tarifabschlüsse gegeben, um die Inflation auszugleichen. Im zweiten Quartal lag der Lohnindex in Deutschland um gut fünf Prozent über dem Vorjahr.

Rechnet man sogar eine Steigerung von 6 Prozent auf die beiden in der EU-Richtlinie genannten Lohngrößen, ergeben sich folgende Schätzwerte: Der durchschnittliche Bruttolohn läge aktuell bei rund 27,50 Euro. Der Richtwert von 50 Prozent entsprächen einem Mindestlohn von 13,75 Euro.

Der Medianlohn läge dieser Annäherung zufolge aktuell bei 23,35 Euro. Der Richtwert von 60 Prozent davon entspräche einem Mindestlohn von rund 14,10 Euro.

Die EU-Richtlinie schreibt also keine genaue Höhe des Mindestlohns vor. Sie empfiehlt aber eine Orientierung Lohnniveau. Die Richtlinie ließe der deutschen Mindestlohn-Kommission Spielraum. Zudem es in der Richtlinie auch heißt: „Für die Festlegung und Aktualisierung gesetzlicher Mindestlöhne sind solide Regeln und Verfahren und funktionierende Praktiken erforderlich, um angemessene Mindestlöhne sicherzustellen und gleichzeitig bestehende Beschäftigungsmöglichkeiten zu erhalten und neue zu schaffen sowie für gleiche Wettbewerbsbedingungen zu sorgen und die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, einschließlich Kleinstunternehmen sowie kleiner und mittlerer Unternehmen, zu erhalten."

Die vollständige Richtlinie der EU zum Mindestlohn in deutscher Sprache findet ihr hier.

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