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Streaming-Aktien von Netflix & Co nach dem Kursrutsch: Wo sich Chancen auftun

11.07.22 00:08 Uhr

Streaming-Aktien von Netflix & Co nach dem Kursrutsch: Wo sich Chancen auftun | finanzen.net

Marktführer Netflix steht unter Druck, Wettbewerber wie Amazon Prime und Disney+ holen auf. Wo sich nach dem Kursrutsch Chancen bieten.

Werte in diesem Artikel

von Tim Schäfer, Euro am Sonntag

Streamingpionier Netflix blickt auf goldene Jahre zurück. Doch mit zahlreichen neuen Konkurrenten wurden die Zeiten rauer. Der Film, der zuletzt an der Wall Street lief, war ein Horrorschocker: Auf Sicht von zwölf Monaten zählt Netflix zu den schlechtesten Aktien im US-Index S & P 500. Vom Spitzenkurs bei 700 Dollar kollabierte die Aktie um 75 Prozent.

Netflix steckt in der Bredouille. Gründer und Chef Reed Hastings hat Kredite über neun Milliarden Dollar aufgenommen und das Geld in neue Filme gesteckt, um die Kundschaft bei Laune zu halten. Inzwischen sind über 2.200 TV-Serien und 4.000 Filme auf der Plattform. Die Kosten für hochwertige Filme sind jedoch im Zuge des harten Wettkampfs der Streamingkanäle durch die Decke gegangen.

Nicht nur das. In seiner Quartalsbekanntgabe Mitte April gab Hastings zu, dass er die eigene Wachstumsprognose nicht geschafft hat. Die Zahl der Abonnenten sank im ersten Quartal leicht um 200.000 auf 222 Millionen. Zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt schrumpfte der Kundenstamm. Für das zweite Quartal erwarten Hastings und sein Co-Chef Ted Sarandos, dass zwei Millionen Kunden wegfallen. Die Gründe sind vielfältig: Netflix verabschiedete sich nach Putins Krieg aus Russland. Der Heimatmarkt in Nordamerika ist gesättigt.

Während der Hochzeit der Pandemie hat Netflix das Leben in den eigenen vier Wänden komfortabler gemacht. Mit den Corona-Lockerungen und der Inflation aber kündigen mehr Kunden ihre Abos. Netflix werde die schwierige Zeit überstehen, gelobte der Chef jüngst - trotz der zunehmenden Konkurrenz. Die wird immer zahlreicher. Neben Amazon Prime Video und Apple TV+ holen etwa die kleineren Anbieter Paramount+ und Peacock auf.

Disneys Siegeszug

Der aggressive Angreifer Disney+ gewann allein im ersten Quartal 7,9 Millionen Abonnenten dazu, das lag deutlich über den Erwartungen. Jetzt sind es 137,7 Millionen, rund ein Drittel mehr als im Vorjahr. Es dürften weitere dazukommen. 40 Länder rollt Disney gerade in Nordafrika, im Mittleren Osten und in Europa auf. Nach Daten des US-Analysehauses JustWatch ist Disney+ inzwischen die weltweite Nummer 3 der Branche. Das Wachstum soll anhalten, bis 2024 könnte Disney+ laut Schätzungen zwischen 230 und 260 Millionen Abos zählen.

Amazon Prime Video, das es gratis mit dem kostenlosen Versand seit 2005 für alle Prime-Kunden des Onlinekaufhauses gibt, hat mehr als 200 Millionen Kunden in 19 Ländern. Amazon stärkte sein Streaming mit der Übernahme des Filmstudios MGM für 8,5 Milliarden Dollar, grünes Licht der Behörden für den Deal gab es im März. MGM mit seinen 4.000 Filmen ist für Erfolgsstreifen wie "Rocky" und "James Bond" bekannt.

Hastings jedoch gilt als alter Fuchs, der immer eine Antwort parat hat. Bislang hatte der Streamingerfinder Werbeunterbrechungen kategorisch abgelehnt. Nun plant er eine radikale Abkehr von seiner bisherigen Strategie. Preiswerten Abos will Hastings noch vor dem Jahresende Werbung hinzufügen.

Die Versuchung ist groß: Der Werbemarkt umfasste laut Branchenberater Digital TV Research 2021 bereits 37 Milliarden Dollar Volumen. Bis 2027 soll das Geschäft auf 70 Milliarden Dollar wachsen. Die ganze Branche ist extrem attraktiv für Werbekunden. Denn Netflix und die Streamingkonkurrenz können Werbung viel gezielter einsetzen als die lineare Sender, da sie ihre Kunden und deren Sehgewohnheiten viel genauer kennen. Auch Wettbewerber Amazon Prime Video setzt neuerdings Werbung ein. Konkurrent Disney+ will ab dem Jahr 2023 maximal für vier Minuten pro Stunde Werbeunterbrechungen machen.

Darüber hinaus bietet Netflix kostenlose Spiele auf der Plattform an, um die Attraktivität des Abos zu erhöhen. Hastings räumt zudem auf alten Baustellen auf. Laut Unternehmen teilten etwa 100 Millionen zahlende Kunden mit anderen ihre Passwörter. Das will der Konzern künftig verhindern. Und: Es wird hart gespart - und Abbauarbeit am Schuldenberg geleistet. Im ersten Quartal tilgte Hastings Schulden über 700 Millionen Dollar.

Der Netflix-Chef strebt einen positiven freien Cashflow an, um die Ratingagenturen bei Laune zu halten. Das Ratinghaus Moody’s stufte die Netflix-Bonität als "Ramsch" ein. S & P hatte voriges Jahr die Aktie auf "Investment Grade" heraufgestuft. Der Streamingpionier werde hier vermutlich volatil bleiben, mutmaßt wiederum Moody’s.

Gleichwohl verweist die Agentur darauf, dass der Netflix-Vorstand fortan diszipliniert mit dem Geld umgehen will. Das Unternehmen will keine Aktien mehr zurückkaufen, um den Kassenbestand zu schonen. In den vergangenen Woche baute Hastings außerdem etwa 150 Stellen ab. "Unser verlangsamtes Umsatzwachstum bedeutet, dass wir auch unser Kostenwachstum als Unternehmen verlangsamen müssen", begründete der Streaminggigant dies in einer Mitteilung. Betroffen sind freilich nur zwei Prozent der Belegschaft.

Finanzvorstand Spencer Neumann erklärte im April, dass Netflix in den nächsten zwei Jahren plant, einen Teil seiner Ausgaben zu reduzieren: "Wir versuchen, klug und umsichtig vorzugehen, wenn es darum geht, einen Teil dieses Ausgabenwachstums zurückzufahren, um die Realitäten des Umsatzwachstums des Unternehmens widerzuspiegeln." Die "New York Times" berichtete, dass es im Lauf des Jahres zu weiteren Stellenstreichungen kommen soll, so ein Firmeninsider.

Gleichwohl will Netflix weiterhin jährlich 17 Milliarden Dollar für neue Serien und Filme ausgeben. Denn was dem Konzern im Heimatmarkt außerdem zu schaffen macht, sind die vielen neuen Rivalen. So betrat der Kabelgigant Comcast mit seiner NBCUniversal-Tochter Peacock ziemlich spät den Markt. Im Juli 2020 startete der Service. Ende März hatte Peacock 28 Millionen aktive monatliche Nutzer, davon waren 13 Millionen zahlende Kunden. Peacock hat einen kostenlosen werbefinanzierten und einen kostenpflichtigen werbefreien Dienst. Für einen starken Zuwachs der zahlenden Abos sorgten zuletzt die Liveausstrahlung des Super Bowl der Football-Profiliga und die Olympischen Spiele in Peking.

Kleine Player greifen an

Der Medienriese Discovery schloss sich mit WarnerMedia, dem Filmstudio hinter "Game of Thrones" und "Succession" zusammen. Das Imperium wird seit April als Warner Bros. Discovery an der Nasdaq gehandelt. Ein weiterer Angreifer ist Paramount Global, vormals ViacomCBS, mit Paramount+. Banken versuchten im Januar, Paramount+ mit Peacock zu verschmelzen, doch lehnte das Management von Paramount Global ab. Beide Firmen betreiben jedoch bereits ein gemeinsames Streaming in Europa. Paramount+ baute im ersten Quartal seinen Abostamm um 6,8 Millionen auf 40 Millionen aus.

Die Börsenwaage zeigt bei Netflix gegenwärtig nur noch 80 Milliarden Dollar an. Auf diesem Niveau halten Analysten den Konzern sogar für einen Übernahmekandidaten. Die Spekulationen: Apple will sein Streaming ausbauen und könnte Gespräche aufnehmen. Apple TV Plus hat weltweit geschätzt nur 25 Millionen zahlende Abonnenten. Hinzu kommen etwa 50 Millionen kostenlose Abos, die über den Kauf von Apple-Hardware ein Jahr Zugang erhalten. Auch Konzerne wie Disney oder Amazon könnten die Fühler ausstrecken. Ungewiss ist allerdings, ob die US-Kartellwächter solch einen Großdeal überhaupt durchgehen ließen.

INVESTOR-INFO

Netflix

Primus will die Wende

Der Weltmarktführer und Videostreamingpionier hat sich in den guten Zeiten zu hoch verschuldet, um stets eine attraktive Filmbibliothek zu haben. Das rächt sich jetzt. Die Schulden werden jetzt angesichts schrumpfender Abozahlen zur Bedrohung. Der Vorstand arbeitet daran und tilgt. Und kürzt Kosten. Das Gewinnvielfache der Aktie ist inzwischen moderat. Seit 2002 stieg der Kurs - einschließlich des jüngsten Kollaps - um rund 16.000 Prozent. Mutige sammeln die Papiere nach dem Absturz ein.

Warner Bros. Discovery

Frisch verheiratet

Die beiden Medienkonzerne Warner Bros. und Discovery fusionierten im April. Das dazugehörige Filmstudio WarnerMedia, das sein 99-jähriges Bestehen feierte, hat Filmikonen wie "Harry Potter" und "Batman" im Archiv. Der Bezahlkanal HBO ist ein weiteres Juwel. Discovery fügte durch die Fusion viele TV-Marken hinzu, etwa Oprah Winfreys Sender OWN. Drei Milliarden Dollar will der Vorstand pro Jahr einsparen, aber noch ist das Zahlenwerk durchwachsen. Halten.

Paramount Global

Kleiner Newcomer

Die New Yorker Mediengruppe, die aus der Fusion von Viacom mit CBS entstand, hat neben Paramount+ weitere Streamingdienste wie Pluto TV und Showtime im Portfolio. Paramount+ ist ein kleiner Player, auch deshalb notiert die Aktie etwa zehn Prozent unter Buchwert. Die Schulden sind mit 13 Milliarden Dollar hoch. Warren Buffetts Holding Berkshire Hathaway erwarb jüngst ein Paket im Wert von 2,6 Milliarden Dollar. Das Gewinnvielfache ist niedrig, die Dividende attraktiv.

Hinweis auf Interessenkonflikte:
Der Autor hält unmittelbar Positionen über die in der Publikation angesprochenen nachfolgenden Finanzinstrumente oder hierauf bezogene Derivate, die von der durch die Publikation etwaig resultierenden Kursentwicklung profitieren können: Netflix.










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Bildquellen: pixinoo / Shutterstock.com, Jimmy Tudeschi / Shutterstock.com

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19.04.2024Netflix HoldDeutsche Bank AG
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19.04.2023Netflix SellGoldman Sachs Group Inc.
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