Standard & Poor’s: Alternative Unternehmensfinanzierung nimmt langsam zu
Die Disintermediation, also die Unternehmensfinanzierung direkt aus alternativen Finanzierungsquellen ohne Intermediäre wie Banken, gewinnt in Europa allmählich an Bedeutung, so Standard & Poor’s Ratings Services in ihrem aktuellen Bericht, "Banking Disintermediation in Europe - A Slow-Growing Trend".
Aktuelle Statistiken zeigen, dass mittelständische Unternehmen in Europa neben dem traditionellen Bankkredit auch zunehmend andere Finanzierungswege nachfragen.
Starke Position der Sparkassen und Genossenschaftsbanken
In Deutschland allerdings zeigt sich ein etwas anderes Bild: Aufgrund ihrer historisch bedingten starken Position sind insbesondere die Sparkassen und Genossenschaftsbanken bei der Finanzierung lokaler mittelständischer Unternehmen nach wie vor gefragt. So erhöhten diese Banken beispielsweise während der Finanzkrise 2008-2009 ihre Kreditvergabe um etwa 3%, während die größeren Geschäftsbanken diese im gleichen Zeitraum zurückfuhren. Entsprechend sind in Deutschland Bankkredite noch immer bei weitem die Hauptfinanzierungsquelle für Unternehmen.
Disintermediation in Großbritannien und Frankreich
Auch ansonsten tritt die Disintermediation innerhalb Europas mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten auf. In Großbritannien wuchs die Finanzierung über Anleihen zwischen 2006 und Ende 2014 um 48% auf 29% der gesamten Unternehmensfinanzierung. In Frankreich und Italien nahm diese im selben Zeitraum gar um 95% zu; absolut gesehen aber auf eher niedrigem Niveau. Standard & Poor’s beobachtet dabei, dass Investoren am europäischen Markt für Privatplatzierungen ihr Engagement bei Unternehmen im Investment-Grade oder bei solchen mit Cross-Over Kredit-Charakteristiken (BB+, BB) erhöhen.
In Europas High-Yield-Bondmarkt, einem Untersegment am schwächeren Ende des Spektrums der Kreditrisiken, stieg das Volumen der Non-Sponsored Deals zwischen 2012 und 2014 von 22 Mrd. auf 50 Mrd. Euro. Dieser Aufwärtstrend hielt auch im ersten Quartal 2015 an, was nahe legt, dass Disintermediation innerhalb des weiter gefassten Unternehmensfinanzierungsbereichs an Boden gewinnt.
Kapitalmarktunion fördert effektivere Kapitalallokation
Politische Projekte wie die Etablierung einer Capital Markets Union (CMU), wie sie im Juli 2014 von Jean Claude Juncker, dem Präsidenten der EU-Kommission, angekündigt wurde, können die effektivere Kapitalallokation für mittelständische Unternehmen unterstützen. Das CMU-Projekt umfasst eine breite Agenda, die den Abbau von Hindernissen im freien Fluss des Kapitals in Europa und die Stärkung der kapitalmarktbasierten Finanzierung von mittelständischen Unternehmen zum Ziel hat.
Doch trotz dieses Fortschritts liegt das Niveau der Anleihenfinanzierung noch immer weit unter dem in den USA, wo sie nahezu 70% der gesamten Unternehmensfinanzierung ausmacht - einschließlich mittelständischer Unternehmen. Aus Sicht von Standard & Poor’s müssen transparentere und leichter zugängliche Märkte für alternative Finanzierungen erst entwickelt werden, die auch über die Grenzen der EU-Staaten hinaus funktionieren und die in der Lage sind, die höheren Kreditrisiken von mittelständischen Unternehmen abzudecken.
Von Mark Währisch, Analyst von Standard & Poor’s Ratings Services in Frankfurt Hier kommentieren jede Woche Analysten von Standard & Poor’s Ratings Services (S&P) die Entwicklungen in der Wirtschaft und an den Finanzmärkten - und welche Herausforderungen sich daraus für Wachstum und Stabilität ergeben. S&P ist seit 30 Jahren mit inzwischen neun Standorten in Europa vertreten, im Frankfurter Büro arbeiten 120 Mitarbeiter aus 19 Ländern. Mehr Infos unter www.spratings.de
Der obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die finanzen.net GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.
Bildquellen: SVLuma / Shutterstock.com