ROUNDUP 3: Cum-Ex-Kronzeuge vor Gericht - Verteidiger will Einstellung

21.11.24 17:51 Uhr

(neu: Verteidigung)

BONN (dpa-AFX) - Im größten Steuerskandal der Bundesrepublik, den illegalen Cum-Ex-Aktiengeschäften, hat vor dem Bonner Landgericht ein Strafprozess gegen eine der Schlüsselfiguren begonnen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem deutschen Rechtsanwalt Kai-Uwe Steck besonders schwere Steuerhinterziehung in acht Fällen im Zeitraum 2008 bis 2015 vor. Der Steuerschaden soll bei rund 428 Millionen Euro gelegen haben (Aktenzeichen 62 KLS 1/24).

"Zentrales Motiv des Angeklagten Dr. Steck war seine persönliche Bereicherung", sagte Staatsanwalt Jan Schletz. Der 53-jährige Steck hat durch seine Cum-Ex-Tätigkeit, um die es in dem Bonner Verfahren geht, der Anklage zufolge einen persönlichen Profit von 28,6 Millionen Euro gemacht. 17,6 Millionen Euro soll er noch in die Staatskasse zahlen, 11 Millionen wurden laut Anklage bereits gezahlt. Nach Verlesung der Anklageschrift forderte die Verteidigung die Einstellung des Verfahrens, und zwar "wegen mehrfacher massiver Verstöße gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft Köln".

Hand in Hand mit Hanno Berger

Steck war Kanzleipartner von Hanno Berger gewesen, der als treibende Kraft hinter den Cum-Ex-Geschäften in Deutschland gilt. Berger ist inzwischen rechtskräftig verurteilt, er sitzt im Gefängnis. Bei Cum-Ex-Deals, die ihre Hochphase zwischen 2006 und 2011 hatten, ließen sich Banken und Investoren nie gezahlte Kapitalertragssteuern erstatten und prellten den Staat insgesamt um mindestens zehn Milliarden Euro.

Rund um den Dividendenstichtag wurden Aktien mit (cum) und ohne (ex) Ausschüttungsanspruch hin- und hergeschoben. Am Ende erstatteten Finanzämter nicht gezahlte Steuern. 2012 wurde die Gesetzeslücke geschlossen. 2021 entschied der Bundesgerichtshof (BGH), dass Cum-Ex-Geschäfte als Steuerhinterziehung zu werten sind.

"Der jüngere Dr. Steck schloss sich dem älteren Dr. Berger an, um in dessen Fahrwasser Karriere zu machen", sagte Staatsanwalt Schletz. Spätestens 2006 hätten die beiden beschlossen, mit anderen Personen Cum-Ex-Geschäfte arbeitsteilig durchzuführen, "um Dritte und vor allem sich selbst zulasten des Fiskus zu bereichern". Dafür hätten sie eine komplexe Offshore-Gesellschaftskonstruktion erschaffen.

Kronzeuge der Staatsanwaltschaft

Steck kommt eine zentrale Rolle bei der Strafverfolgung zu, da er 2016 auspackte und zum Kronzeugen der Staatsanwalt wurde. Er wurde nach eigenen Angaben von 2016 bis 2018 insgesamt 250 Stunden lang durch unterschiedliche Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden vernommen. Er belastete andere Angeklagte mit seinen Aussagen und trat in elf Gerichtsverfahren in den Zeugenstand.

Nach Angaben seines Verteidigers führten Stecks Aussagen dazu, dass der Staat 853 Millionen Euro an Rückzahlungen bekam. Sollte er verurteilt werden, dürfte sich seine Kronzeugenrolle als strafmildernd auswirken. Steck droht zudem ein Berufsverbot als Rechtsanwalt - derzeit lebt er in der Schweiz und arbeitet dort als Anwalt und Berater.

Harsche Kritik an der Staatsanwaltschaft

Der Bonner Prozess ist ungewöhnlich, da der Angeklagte die Vorwürfe keineswegs bestreitet. "All das, was ihm hier vorgeworfen wurde, beruht zu wesentlichen Teilen auf seinen eigenen Angaben", sagte sein Rechtsanwalt Gerhard Strate und setzt trotzdem darauf, dass sein Mandant ohne Schuldspruch davonkommt. Denn die Verteidigung beantragte die Einstellung des Verfahrens, da gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen worden sei.

Verteidiger Strate berief sich dabei unter anderem auf ein Schreiben der damals zuständigen Staatsanwältin von 2017, dem zufolge Stecks Aussagen in zahlreichen Vernehmungen als "umfassendes Geständnis" gewertet worden seien. Schon damals hätte Anklage erhoben werden können, sagt Strate. Dass dies erst sieben Jahre später erfolgte, wertet der Verteidiger als Verstoß gegen das in der Europäischen Grundrechtscharta garantierte Recht auf ein faires Verfahren innerhalb einer angemessenen Frist.

Nach Darstellung der Verteidigung wurde Steck die Einstellung des 2013 eingeleiteten Ermittlungsverfahrens in Aussicht gestellt. Dann habe man ihn aber jahrelang zappeln lassen. Er sei "zum Spielball taktischer Überlegungen der Anklagebehörde" geworden, indem er ein ums andere Mal als Zeuge in andere Gerichtsverfahren geschickt worden sei. "Das Verhalten der Staatsanwaltschaft ist schäbig", sagte Strate und warf der Kölner Behörde weitere schwere Fehler vor, etwa bei der Protokollierung von Stecks Vernehmungen. Während der Ausführungen seines Anwalts saß Steck in sich gesunken da.

Fernsehauftritt mit Maske

Bei der Aufarbeitung des Cum-Ex-Steuerskandals trat Steck nicht nur in zahlreichen Gerichtsverfahren als Kronzeuge auf, sondern einmal auch vor der Fernsehkamera: 2019 gab Steck mit Maske und unter Pseudonym in der NDR-Sendung "Panorama" ein Interview, in dem er sich reumütig zeigte und die Cum-Ex-Geschäfte als industrielle "Teufelsmaschine" bezeichnete. Er hat nach eigener Aussage 50 Millionen Euro daran verdient, dass er in Cum-Ex-Geschäfte involviert war und vermögende Kunden beraten hat.

Vor dem Bonner Landgericht sind nicht alle Cum-Ex-Fälle von Steck angeklagt, woanders droht ihm noch weiteres Ungemach. Das erklärt die Diskrepanz zwischen den von ihm benannten 50 Millionen Euro Profit und den 28,6 Millionen Euro, um die es in Bonn geht. In dem Prozess sind bis Mitte Februar 22 weitere Verhandlungstage geplant. Steck lebt in der Schweiz, wo er für eine Kanzlei tätig ist./wdw/DP/nas