Lebender Geldautomat
Wie das iPhone Konkurrenz zum Geldautomaten werden kann: Ein Apple-Patent könnte jeden beliebigen Menschen auf der Straße zum Geldautomaten machen.
Wir sind es gewohnt, dass Fintech menschliche Arbeitskraft durch maschinelle Arbeit ersetzt. Aber der menschliche Geldautomat macht es andersherum: Er ersetzt den Geldautomaten durch Menschen. Das wird die Banken gleich auf zwei Ebenen verstören: Erstens, weil auf einmal die Geld-Logistik von Nicht-Banken übernommen wird; und zweitens, weil Banken auf die Einführung des Geldautomaten besonders stolz sind. Böse Zungen sagen sogar, der Geldautomat sei die letzte echte Innovation der Banken. Da trifft es besonders hart, wenn ausgerechnet diese Innovation durch das iPhone obsolet werden soll. Aber genau hierfür hat Apple schon Anfang 2013 unter der Nummer 20130031009 einen US-Patentantrag gestellt.
Wie soll der menschliche Geldautomat funktionieren? Natürlich auf Basis einer App und als "Crowd-Lösung". Stellen Sie sich vor, Sie gehen durch die Stadt und brauchen etwas Bargeld (dass selbst das Bargeld als Auslaufmodell gilt, lassen wir einmal beiseite). Um Sie herum sind mit großer Wahrscheinlichkeit zahlreiche Personen, die überschüssiges Geld dabei haben und potentiell bereit wären, Ihnen etwas davon gegen eine kleine Gebühr zu überlassen. Die App macht jetzt folgendes: Wenn jemand Geld "abheben" will, dann zeigt sie ihm an, welcher andere App-Nutzer gerade in der Nähe ist und bereit ist, Geld abzugeben. Sie klären die Transaktion dann vorab per App. Wenn der App-Betreiber der Meinung ist, beide Beteiligten seien vertrauenswürdig, dann gibt er sie frei.
Sie gehen nun (GPS-geführt, klar) zu dem menschlichen Geldautomaten hin und lassen sich das Geld auszahlen. Zugleich wird der Betrag Ihrem Konto belastet und dem Konto des Geldgebers gutgeschrieben, natürlich vermindert bzw. erhöht um eine entsprechende Gebühr. Wenn Sie sich zum Beispiel 100 Euro auszahlen lassen, dann wird Ihrem Konto 105 belastet und dem Geldgeber 104 gutgeschrieben - der eine Euro geht an den App-Betreiber, der die technische Abwicklung übernimmt und im Hintergrund die Kontotransaktionen laufen lässt.
Die Idee ist im Detail ziemlich abgefahren. Denn sie verlangt nicht nur, dass die Teilnehmer ihre genaue Position ständig öffentlich sichtbar machen, sondern auch, dass Sie auf offener Straße mit wildfremden Menschen Geldbeträge austauschen. Wenn man sich ansieht, wieviel Aufwand Rewe betreibt, damit die Kunden an ihren Supermarktkassen Geldbeträge abheben, dann liegt die Vermutung nahe, dass die Menschheit kulturell noch nicht reif ist, um das Angebot des menschlichen Geldautomaten anzunehmen. Die Idee zeigt aber, dass die Angriffe auf die Bankenlandschaft an gänzlich unerwarteten Stellen stattfinden können. Denn Intelligenz in Verbindung mit Schwarmansätzen macht vieles Unmögliche möglich.
Und die Idee zeigt, dass Apple nicht nur den Bau von Autos nachdenkt, sondern eben auch über Bankdienstleistungen.
Christian Rieck ist Professor für Finance und forscht zur Zukunft der Finanzbranche. Er schreibt hier über Digitalisierung, Fintechs, Robo-Berater, Bank 3.0 und das Geld von morgen.
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