"Dunkle Wolken über dem Aktienmarkt": Darum rechnet Marktexperte Nouriel Roubini mit einem Börsenabverkauf
Wenn man sich die aktuellen Kursstände internationaler Aktien ansieht, könnte man den Eindruck gewinnen, die Möglichkeit einer Rezession sei vom Tisch. Der US-Ökonom Nouriel Roubini hält die Kauffreude der Anleger für übertrieben und warnt vor allzu großem Optimismus.
• Roubini skizziert vier Szenarien für die Entwicklung der Weltwirtschaft
• Flache Rezession hält "Dr. Doom" für am wahrscheinlichsten
• Roubini: Die zu hohen Aktienkurse dürften bald einbrechen
Nouriel Roubini wird in Investorenkreisen auch als "Dr. Doom" bezeichnet - so bekannt ist der Wirtschaftsprofessor an der New York University für seine düsteren Wirtschaftsprognosen. Oft behielt er mit seinem Pessimismus aber recht, so bei der Asienkrise 1997, der Finanzkrise 2008 sowie der griechischen Schuldenkrise 2010. Auch für die Entwicklung der globalen Wirtschaft in den kommenden Monaten ist Roubini äußerst skeptisch eingestellt.
Roubini: Diese vier Szenarien der weiteren Konjunkturentwicklung gibt es
In einem Gastbeitrag bei "MarketWatch" erwähnt Roubini vier mögliche Szenarien für die Entwicklung der globalen Konjunktur. Erstens - und optimalerweise - gelingt tatsächlich die "weiche Landung" (engl. soft landing), bei der die Inflationsraten recht schnell wieder die angestrebte Zwei-Prozent-Marke erreichen, ohne dass durch die offensiven Leitzinserhöhungen vonseiten der Nationalbanken eine Rezession ausgelöst wird. Im zweiten Fall kommt es zu einer halbwegs sanften Landung (engl. softish landing) - hier wird zwar auch das Inflationsziel in den kommenden Monaten erreicht, jedoch wird dadurch eine relativ milde und flache Rezession ausgelöst.
Während das erste und das zweite Szenario positive Nachrichten für die Marktteilnehmer wären, so sieht dies bei Option drei und vier ganz anders aus: Im dritten von Roubini gezeichneten Szenario wird durch das sehr rasch angehobene Zinsniveau ein kräftiger Konjunkturabschwung ausgelöst, der die sich bereits im März 2023 anbahnende Regionalbankenkrise weiter verschärfen werde. Roubini sieht zudem die Möglichkeit eines noch schlimmeren, vierten Szenarios: In diesem Fall kapitulieren die Notenbanken vor dem Chaos in der Finanzbranche und geben ihre Inflationsbekämpfung auf. Ihre Leitzinssenkungen werden von einer gewaltigen Lohn-Preis-Spirale begleitet. Das Inflationsgespenst würde im vierten Szenario auch die kommenden Jahre lang sein Unwesen treiben - die Folge wären eine sehr schwache Börsenentwicklung, sinkende Kaufkraft und langfristig auch eine erhöhte Arbeitslosigkeit.
Zwischenfazit: Hier befinden wir uns
Anschließend legt Roubini seine Ansicht auf die aktuellen Entwicklungen detailliert dar, wobei er zwischen den einzelnen Weltregionen unterscheidet. In Europa habe bereits eine technische Rezession begonnen, da das BIP der EU sowohl im letzten Quartal 2022 als auch im ersten Quartal 2023 eine rückläufige Tendenz offenbarte. In Großbritannien sei eine Rezession jedoch bislang noch nicht eingetreten, wenngleich der Inflationsdruck hier besonders hoch ausfalle und das Wachstum sich stark abgeschwächt habe. Roubini zufolge seien die USA bislang an einer Rezession vorbeigeschrammt, obwohl besonders die Kerninflation weiterhin sehr hoch bleibt und damit die Möglichkeit einer fortgesetzten Konjunkturflaute in den USA sehr groß sei.
Ein großes Hindernis für die Gesundung der Weltwirtschaft erkennt Roubini indes in der schwachen Entwicklung der chinesischen Konjunktur. Die Konsumnachfrage sei dort unter den Erwartungen geblieben, es kam nicht wie erhofft zu einer rasanten Post-COVID 19-Erholung. Aufgrund dessen scheint das 5-Prozent-Wachstumsziel der Kommunistischen Partei (KP) Chinas für das laufende Jahr aktuell recht utopisch, meint Roubini. Auch weitere Emerging Markets-Staaten wiesen nur ein bescheidenes Wachstum auf - eine Ausnahme bildet hier Indien, das trotz der vielfältigen Belastungsfaktoren seinen beachtlichen Aufschwung fortsetze. Der Indien-Optimismus wird übrigens von vielen weitere Marktexperten wie Mark Mobius geteilt.
Roubini erwartet eine leichte Rezession
Insgesamt schätzt Roubini die derzeitige Situation der Weltwirtschaft somit als sehr durchwachsen ein. Die Inflation hielte sich - trotz der rückläufigen Tendenz, die durch den jüngsten CPE-Preisindex in den USA unterstrichen wurde - aufgrund der Lohnerhöhungen und des weiterhin engen Arbeitsmarktes hartnäckig. "Aufgrund der hohen Inflationsraten bleibt es für die Notenbanken weiter eine große Herausforderung, Preisstabilität zu erreichen. Die Hoffnungen, dass bereits in der zweiten Jahreshälfte 2023 die Zinsen gesenkt werden können, wurden zerschlagen", schreibt Roubini. Als Folge der weiteren Zinserhöhungen erwartet er einen "persistenten ökonomischen Abschwung" sowie "eine Erhöhung des Risikos einer Schulden- und Bankenkrise." Ebenfalls trieben derzeit geopolitische Entwicklungen die Welt in eine Phase "erhöhter Instabilität, Deglobalisierung und Fragmentarisierung", was globale Waren- und Handelsflüsse unterbreche und die Weltwirtschaft weniger effizient mache.
Immerhin: Die Gefahr eines Bankenstresses sei zuletzt gesunken, ebenso sorgten die niedrigeren Rohstoffpreise für Entlastung bei der Preisteuerung. Deshalb sieht Roubini die Wahrscheinlichkeit des zweiten Szenarios - ein Einpendeln der Inflation beim Zwei-Prozent-Ziel bei einer flachen, etwa einjährigen Rezession - als am höchsten an.
Börsenentwicklung: "Tropischer Sturm" statt "Hurrikan"?
Was bedeutet eine solche "flache Rezession" für die Aktienmärkte? Roubini rechnet selbst bei einer milden Konjunkturabkühlung mit erheblichen Kursverlusten an den internationalen Börsen. Das schwache Umfeld werde die Gewinne der Unternehmen in den USA und in den meisten anderen Weltregionen weiterhin stark belasten, das derzeitige Kursniveau sei deshalb deutlich zu hoch. "Auch wenn ein schlimmer Hurrikan für die Weltwirtschaft inzwischen weniger realistisch erscheint als noch vor ein paar Monaten, ist es dennoch wahrscheinlich, dass wir einen tropischen Sturm antreffen werden", betont Roubini. "Die Folge könnte bedeutender finanzieller und wirtschaftlicher Schaden sein."
Redaktion finanzen.net
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