Prognose korrigiert

IfW: Deutsches BIP dürfte 2020 bis zu 9 Prozent einbrechen

19.03.20 12:45 Uhr

IfW: Deutsches BIP dürfte 2020 bis zu 9 Prozent einbrechen | finanzen.net

Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) hat seine erst vor einer Woche abgegebene Prognose zu den Wirtschaftsaussichten angesichts der seitdem erfolgten Entwicklung der Corona-Krise drastisch nach unten korrigiert.

Zwei von den Ökonomen berechnete Szenarien sehen nun für dieses Jahr einen Rückgang des deutschen Bruttoinlandsproduktes (BIP) um 4,5 Prozent im günstigen und knapp 9 Prozent im ungünstigen Fall vor. 2021 dürfte das BIP dann aber nach den Berechnungen aus Kiel zwischen 7,2 Prozent und fast 11 Prozent wachsen.

"Gegenüber der Frühjahrsprognose des IfW Kiel von vor einer Woche stellen sich die konjunkturelle Lage und auch die weiteren Aussichten mittlerweile deutlich schlechter dar", erklärte das Institut. Die beiden Szenarien unterstellten zum einen einen "Lockdown" der deutschen Wirtschaft bis Ende April und zum anderen einen bis Ende Juli, mit anschließender Erholung der Wirtschaft zurück auf das vorherige Niveau.

Dieses Jahr falle das BIP um 4,5 Prozent, sofern die Stresssituation bis Ende April andauere und sich dann ab Mai allmählich entspanne. Setze die Erholung erst drei Monate später im August ein, würde das BIP nach den Berechnungen um 8,7 Prozent sinken. In seiner Frühjahrsprognose sei das IfW noch von einem BIP-Minus von nur 0,1 Prozent ausgegangen, da sich die massiven Auswirkungen auf die Wirtschaftsleistung in Deutschland durch die weltweiten Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie noch nicht in der heutigen Dramatik abgezeichnet hätten.

Forscher berechnen V- und U-Szenario

In beiden Szenarien rechnete das IfW nach eigenen Angaben im März mit einem Rückgang des BIP im Vergleich zum Vormonat um fast 18 Prozent. Dieses niedrige Niveau werde voraussichtlich auch im April noch weitgehend Bestand haben. Für die weitere Entwicklung unterschieden die Forscher ein V- und ein U-Szenario. Im V-Szenario ließen die dämpfenden Maßnahmen ab Mai allmählich nach, und die Corona-bedingten Produktionsausfälle klängen binnen sechs Monaten ab. Das U-Szenario sehe vor, dass die Erholung erst im August einsetze und die Produktion in den verschiedenen Branchen erst zu Beginn des kommenden Jahres auf das Vor-Corona-Niveau zurückkehre. "Das U-Szenario unterstellt einen fast halbjährigen Lockdown weiter Teile des Wirtschaftslebens und geht damit an die Grenze dessen, was man sich derzeit vorstellen kann", sagte IfW-Konjunkturchef Stefan Kooths. "Daher dürfte die tatsächliche Entwicklung näher am V- als am U-Szenario liegen."

Aufgrund der weltweiten Belastung der Konjunktur gingen beide Szenarien von keinen nennenswerten Nachholeffekten im weiteren Jahresverlauf aus, auch wenn dafür freie Kapazitäten - vor allem in der Industrie - verfügbar wären. 2021 soll das BIP aufgrund von Aufholeffekten dann aber in beiden Szenarien kräftig zulegen - im V-Szenario um 7,2 Prozent und im U-Szenario um 10,9 Prozent.

Fast die Hälfte der Wirtschaft mit geringen oder keinen Einbußen

Zu den besonders betroffenen Wirtschaftsbereichen, für die ein anfänglicher Rückgang der Kapazitätsauslastung um 90 Prozent unterstellt werde, zählten Gastgewerbe, Luftfahrt sowie die Freizeitbranchen (Reisen, Sport, Unterhaltung). Der Fahrzeugbau als eines der Schwergewichte der deutschen Wirtschaft schränke in dieser Rechnung seine Produktion zwischenzeitlich um bis zu 70 Prozent ein. Der Einzelhandel schrumpfe während der Lockdown-Phase um 40 Prozent, wobei Lebensmittelhändler einen Teil der wegfallenden Gaststättenumsätze wettmachten.

"Fast die Hälfte der deutschen Wirtschaft dürfte indes nur geringe oder gar keine Einbußen verzeichnen, allen voran das Grundstücks- und Wohnungswesen, die Informations- und Telekommunikationsbranche sowie weite Teile des öffentlichen Dienstes", erklärte das IfW. Neben dem Lebensmitteleinzelhandel würden im Wesentlichen nur die Zustelldienste ihre Aktivität vorübergehend ausweiten. Im Gesundheitswesen dürfte die Auslastung hingegen bis zum Ende des Jahres deutlich erhöht bleiben.

"Die Entwicklung in diesem Jahr stellt eine krasse Ausnahmesituation dar", analysierte Kooths. Die Produktionseinbußen seien der Reflex auf einen massiven exogenen Schock, für den es in der jüngeren Wirtschaftsgeschichte keine Vergleichsmuster gebe. Der Einbruch der Börsenkurse und das Zurückfahren von Produktionsprozessen erfolge viel rasanter als während der durch die globale Finanzkrise ausgelösten Rezession 2008/2009. "Allerdings sind auch die Chancen gut, rascher wieder aus dem Produktionstal herauszukommen."

Von Andreas Kißler

KIEL/BERLIN (Dow Jones)

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