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Wirecard-Aktie bricht nachbörslich weiter ein: Bankguthaben bestehen "mit überwiegender Wahrscheinlichkeit" nicht - Staatsanwaltschaft mit Ermittlungsverfahren

22.06.20 21:56 Uhr

Wirecard-Aktie bricht nachbörslich weiter ein: Bankguthaben bestehen "mit überwiegender Wahrscheinlichkeit" nicht - Staatsanwaltschaft mit Ermittlungsverfahren | finanzen.net

Der Skandal um die verschwundenen Milliardenbeträge von Wirecard auf Konten in Asien hat einen neuen Höhrepunkt erreicht.

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Nach dem Eingeständnis mutmaßlicher Luftbuchungen in Milliardenhöhe muss der in einem Bilanzskandal verwickelte DAX-Konzern Wirecard weitere Ermittlungen fürchten. "Wir prüfen alle in Betracht kommenden Straftaten", sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft München I am Montag. Ob konkret gegen ehemalige oder amtierende Wirecard-Manager wegen Bilanzmanipulation ermittelt wird oder dies geplant ist, sagte die Sprecherin nicht: Einzelheiten zum Vorgehen würden nicht genannt.

Bei der Behörde läuft bereits ein Ermittlungsverfahren gegen den am Freitag zurückgetretenen ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Markus Braun und drei weitere Manager der Wirecard-Spitze wegen des Verdachts der Falschinformation von Anlegern in zwei Börsen-Pflichtmitteilungen.

Im Zentrum des Bilanzskandals stehen der ehemalige Wirecard-Finanzchef in Südostasien und ein Treuhänder, der bis Ende 2019 für Wirecard aktiv war und das - wie sich nun herausgestellt hat - in großen Teilen wahrscheinlich gar nicht existente - Geschäft mit den Drittpartnern betreute.

Ungeklärt ist, ob es Mitwisser beziehungsweise Mittäter in der Firmenzentrale im Münchner Vorort Aschheim gab. Insbesondere ist ungeklärt, ob und inwieweit Braun oder andere Mitglieder des Vorstands über die Lage im Bilde oder möglicherweise sogar beteiligt waren. Das Unternehmen sieht sich als Opfer.

Der Chef der Finanzaufsicht Bafin sprach von einem "kompletten Desaster" und gab sich selbstkritisch: "Wir sind nicht effektiv genug gewesen, um zu verhindern, dass so etwas passiert", räumte Behördenpräsident Felix Hufeld bei einer Bankenkonferenz in Frankfurt ein. "Wir befinden uns mitten in der entsetzlichsten Situation, in der ich jemals einen Dax-Konzern gesehen habe." Wichtig sei nun rasche Aufklärung.

Kritik und Fragen, wie die mutmaßlichen Manipulationen unentdeckt bleiben konnten, gibt es sowohl an die Adresse der Bafin als auch an die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY, die die Jahresabschlüsse 2017 und 2018 geprüft und testiert hatte. "Der Fall Wirecard ist eine Katastrophe für den Finanzplatz Deutschland und eine Bankrotterklärung der beteiligten Wirtschaftsprüfer und Aufsichtsbehörden", sagte FDP-Finanzexperte Florian Toncar.

"Gründliche Prüfungen hätten einen solchen Schaden sicherlich früher aufdecken müssen", meinte der Grünen-Finanzpolitiker Danyal Bayaz. Und die Linke fordert die Einführung eines Unternehmensstrafrechts, wie Fraktionsvize Fabio de Masi sagte. Dies würde bedeuten, dass künftig nicht mehr nur Manager wegen Straftaten angeklagt werden könnten, sondern ganze Unternehmen.

Eine Berliner Anwaltskanzlei hatte bereits im Mai eine Klage gegen EY vor dem Landgericht Stuttgart angedroht. Das Gericht reagierte am Montag zunächst nicht auf die Frage, ob diese Klage tatsächlich eingereicht wurde.

Wirecard hatte zuvor mitgeteilt, dass 1,9 Milliarden Euro, die das Unternehmen auf Treuhänderkonten verbucht hatte, "mit überwiegender Wahrscheinlichkeit" nicht existieren. Deswegen prüft der Konzern die nachträgliche Korrektur seiner Bilanzen: "Mögliche Auswirkungen auf die Jahresabschlüsse vorangegangener Geschäftsjahre können nicht ausgeschlossen werden."

An der Frankfurter Börse stürzte die Wirecard-Aktie ein weiteres Mal in die Tiefe, die Papiere verloren erneut gut 40 Prozent und sackten bis zum frühen Nachmittag auf knapp 15 Euro. Damit war Wirecard weniger als zwei Milliarden Euro wert - seit dem Höchststand der Aktie im September 2018 summieren sich die Kursverluste der Anleger auf über 20 Milliarden Euro. Allein seit dem vergangenen Mittwoch haben die Papiere über zehn Milliarden an Wert verloren.

Über mögliche Bilanzmanipulationen bei Wirecard hatte schon vor über einem Jahr die britische "Financial Times" berichtet. Im Oktober hatte die "FT" dann berichtet, dass ein beträchtlicher Teil der Wirecard-Umsätze mit Drittfirmen in Asien womöglich auf Scheingeschäften beruhe.

Der am Freitag zurückgetretene Wirecard-Chef Markus Braun hatte die Berichterstattung der "FT" über Monate als haltlos zurückgewiesen. Da es schon nach den ersten "FT"-Artikeln zu außergewöhnlichen Kursstürzen der Wirecard-Aktie an der Frankfurter Börse gekommen war, hatten Bafin und Münchner Staatsanwaltschaft Untersuchungen eingeleitet, ob Kursmanipulationen von Börsenspekulanten dahinter steckten.

Die Zukunft des Dax-Konzerns hängt vom Wohlwollen der Banken ab, die nach Angaben das Wirecard wegen des fehlenden testierten Jahresabschlusses für 2019 das Recht haben, zwei Milliarden Euro Kredite zu kündigen. Der seit Freitag amtierende Interims-Chef James Freis kämpft ums Überleben seines Unternehmens: Man stehe weiterhin mit Hilfe der am Freitag angeheuerten Investmentbank Houlihan Lokey in "konstruktiven Gesprächen" mit den kreditgebenden Banken.

Die Hoffnung auf ein Stillhalten der Banken wurde von einem Zeitungsbericht gestützt: Wie die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" berichtete, wollen die Banken das Unternehmen nicht fallen lassen. "Keiner hat ein Interesse daran, den Kredit zu kündigen", hieß es demnach am Samstag aus einem der beteiligten Geldhäuser. "Alle wollen jetzt das Ding kurzfristig stabilisieren."

Staatsanwaltschaft zu Wirecard: Prüfen alles in Betracht kommende

Nach dem Hinweis auf mögliche Luftbuchungen in Milliardenhöhe muss sich Wirecard auf weitergehende Ermittlungen einstellen. "Wir prüfen alle in Betracht kommenden Straftaten", sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft München I am Montag. Ob konkret wegen Bilanzmanipulation ermittelt wird oder dies geplant ist, sagte die Sprecherin nicht.

Bei der Münchner Staatsanwaltschaft läuft bereits ein Ermittlungsverfahren gegen den am Freitag zurückgetretenen ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Markus Braun und drei weitere Manager der Wirecard-Unternehmensführung wegen des Verdachts der Falschinformation von Anlegern in zwei Börsen-Pflichtmitteilungen.

Hufeld: Vorgänge um Wirecard sind eine Schande

Die Finanzaufsicht Bafin zeigt sich entsetzt über den Bilanzskandal beim Zahlungsdienstleister. "Das ist ein komplettes Desaster, das wir da sehen, und es ist eine Schande, dass so etwas passiert ist", sagte der Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Felix Hufeld, am Montag bei einer Konferenz in Frankfurt. "Wir befinden uns mitten in der entsetzlichsten Situation, in der ich jemals einen DAX-Konzern gesehen habe."

Die Kritik an der Rolle der Aufsichtsbehörden - inklusive der Bafin - nehme er voll und ganz an. "Wir sind nicht effektiv genug gewesen, um zu verhindern, dass so etwas passiert", räumte Hufeld ein. Wichtig sei nun rasche Aufklärung. Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing sprach bei derselben Veranstaltung von einer "ernsten Angelegenheit", die Auswirkungen weit über Wirecard hinaus haben könnte.

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Wirecard-COO Marsalek endgültig abberufen

Im Zuge des Wirecard-Bilanzskandals hat der für das operative Geschäft zuständige Vorstand Jan Marsalek seinen Posten endgültig verloren. Der Aufsichtsrat habe Marsalek mit sofortiger Wirkung abberufen und seinen Anstellungsvertrag außerordentlich gekündigt, teilte Wirecard mit. Marsalek war am Donnerstagabend, nachdem die Abschlussprüfer dem Konzern ein Testat für die Bilanz 2019 wegen Hinweisen auf Betrug verweigert hatten, zunächst bis Ende des Monats freigestellt worden.

Marsalek gilt als Vertrauter von Markus Braun, der seinen Posten als Vorstandschef am Freitag aufgeben musste. Wirecard musste in der Nacht einräumen, dass bisher zugunsten des Unternehmens ausgewiesene Bankguthaben in Asien über 1,9 Milliarden Euro "mit überwiegender Wahrscheinlichkeit" nicht existieren.

Moody's zieht Wirecard-Ratings zurück

Moody's sieht sich angesichts des Bilanzskandals bei Wirecard nicht mehr in der Lage, die Bonität des DAX-Konzerns verlässlich zu bewerten. Die Agentur hat ihre Ratings für das Unternehmen und die unbesicherte Anleihe über 500 Millionen Euro zurückgezogen. Die vorliegenden Informationen seien zu unzureichend oder inadäquat, um die Bewertung beizubehalten, teilte Moody's mit.

Wirecard hatte in der Nacht eingeräumt, dass die bisher zugunsten des Unternehmens ausgewiesenen Bankguthaben in Asien über 1,9 Milliarden Euro wohl nicht existierten.

Moody's hatte das langfristige Wirecard-Rating bereits am Freitagabend um gleich sechs Stufen auf B3 gesenkt, was einer hochspekulativen Anlage entspricht. Zuvor hatte der Wirtschaftsprüfer Ernst & Young Wirecard das Testat für den Jahresabschluss 2019 wegen Hinweisen auf Bilanztäuschung verweigert.

So reagiert die Wirecard-Aktie

Die Kursturbulenzen bei dem in einem Bilanzskandal steckenden Zahlungsabwickler Wirecard sind am Montag auch nachbörslich weiter gegangen. Im regulären Xetra-Handel waren die Papiere schon weiter um 44 Prozent eingebrochen, danach ging der freie Fall auf der Handelsplattform Tradegate weiter. Zuletzt kostete die Aktie dort nur noch 12,87 Euro nach zuvor 14,44 Euro zum Xetra-Schluss. Dies war nochmals ein Einbruch um mehr als zehn Prozent.

Die Tublenzen nehmen damit kein Ende. Der 62-prozentige Kursabsturz der Wirecard-Aktie am vergangenen Donnerstag galt als zweitgrößter Tagesverlust eines Dax (DAX 30)-Titels in der fast 32-jährigen Geschichte des deutschen Leitindex. Am Freitag knüpfte das Papier dann mit einem Einbruch von 35 Prozent nahtlos an die Verluste an - genauso wie nun an diesem Montag. Den nochmaligen Kursrutsch auf Tradegate eingerechnet, summiert sich der Verlust in den wenigen Handelstagen seit Bekanntwerden der fehlenden Milliarden mittlerweile auf mehr als 87 Prozent. Nach am vergangenen Donnerstag wurden in der Spitze mehr als 100 Euro für die Aktien gezahlt.

In die Reihe der geschockten Analysten reihte sich auch James Goodman von der britischen Großbank Barclays ein. Er setzte die Bewertung der Aktie aus. Wegen des fehlenden Revisionsabschlusses und eskalierender Bedenken über die Rechnungslegung habe er nicht genügend Informationen, aus denen er ein glaubwürdiges Rating und Kursziel ableiten könne, begründete er wie in der Vorwoche bereits viele Kollegen seine Entscheidung. Einziger Lichtblick sei, dass die Kredite nicht sofort fällig gestellt worden seien, schrieb Analyst Markus Jost von Independent Research.

Analyst Wolfgang Specht vom Düsseldorfer Bankhaus Lampe hält angesichts des Bilanzskandals nun das schlimmstmögliche Wirecard-Szenario für möglich. Für den Zahlungsabwickler sei die Lage existenzbedrohend. Das Unternehmen müsse nun ein massenhaftes Stornieren von Aufträgen seitens der Kunden vermeiden.

Leicht dürfte das kaum werden, zumal nun auch die Ratingagentur Moody's erneut reagierte. Sie zog ihr erst am späten Freitagabend gesenktes Bonitätsurteil "Ramsch" komplett zurück. Die vorliegenden Informationen seien unzureichend, um überhaupt eine Bewertung über die Kreditwürdigkeit abzugeben, hieß es.

DJG/jhe/kla

FRANKFURT (Dow Jones) / (dpa-AFX Broker)

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Bildquellen: Wirecard

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