Bundeswirtschaftsministerium: Ukraine-Krieg mit "substanziellen Risiken für deutsche Konjunktur" - Auch Bundesbank-Präsident warnt
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine birgt nach Einschätzung des Bundeswirtschaftsministeriums "substanzielle Risiken für die deutsche Konjunktur".
Seit Beginn der militärischen Invasion habe es extreme Preissteigerungen bei Energie und Rohstoffen gegeben, auch Handelsströme und Lieferkettenbeziehungen seien stark beeinträchtigt, heißt es im Monatsbericht des Ministeriums. Die Auswirkungen ließen sich zum jetzigen Zeitpunkt "noch nicht seriös beziffern. Sie hingen stark von der Dauer und der Intensität des Konflikts ab." Daher bleibe "die Unsicherheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung hoch".
Sanktionen betreffen auch deutsche Unternehmen
"Die wirtschaftliche Entwicklung im laufenden Jahr steht seit wenigen Wochen ganz im Zeichen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine." Die beschlossenen Sanktionen träfen vor allem die russische Wirtschaft. Aber auch deutsche Unternehmen seien betroffen, wenn bestehende Handelspartner wegbrächen oder Lieferketten rissen.
Da die gängigen Konjunkturindikatoren mit einem zeitlichen Verzug von ein bis zwei Monaten veröffentlicht würden, sei der Krieg in der Ukraine in ihnen noch nicht abgebildet. Mit Berichtsstand Januar hätten die jüngsten Daten eine weitere Stabilisierung der Industriekonjunktur gezeigt, während die Entwicklung der Dienstleistungsbereiche weiterhin durch den Verlauf der Coronavirus-Pandemie geprägt gewesen sei. Der Krieg bringe "allerdings die Gefahr einer erneuten Verschärfung von Lieferengpässen und einer einhergehenden Bremsung der konjunkturellen Entwicklung mit sich".
Teuerung dürfte Konsum belasten
In den kommenden Monaten dürfte die von den Energiepreisen getriebene Inflationsrate den privaten Konsum belasten, erklärte das Ministerium. Die Inflationsrate bleibe "ein Grund zur Sorge". Die weitere Preisniveauentwicklung lasse sich kaum verlässlich vorhersagen, weil weder Dauer noch Ausgang des Krieges zurzeit absehbar seien. Da Deutschland große Teile seines Gasbedarfs aus Russland importiere, seien die Preise für diesen Energieträger eng an die Entwicklung des Kriegs gekoppelt.
Zwar hätten Terminkontrakte zuletzt auf eine gewisse Entspannung bei den Energiepreisen im Zeitverlauf hingedeutet, allerdings ausgehend von einem stark schwankenden und sehr hohen Niveau. Deutschland werde 2022 deutlich mehr für Energie bezahlen müssen als in den Vorjahren. Da die Preisentwicklung durch Lieferengpässe bei wichtigen Vorprodukten im Vorfeld der aktuellen Höchststände der Energiepreise bereits sehr dynamisch verlaufen sei, "sind auch in den nächsten Monaten deutlich erhöhte Inflationsraten zu erwarten".
Bundesbank-Präsident erwartet schwere wirtschaftliche Folgen durch den Krieg
Bundesbankpräsident Joachim Nagel rechnet mit erheblichen wirtschaftlichen Auswirkungen durch den Krieg in der Ukraine und den Sanktionen gegen Russland. "Jetzt erleben wir schmerzhaft, wie abhängig wir von russischen Rohstoffen sind", sagte er im Interview mit dem Handelsblatt. Wirtschaft und Politik wollten diese Abhängigkeit nun reduzieren. "Das bedeutet einen großen, anhaltenden Umbauprozess. Er überschneidet sich mit der Energiewende, soll aber deutlich schneller ablaufen."
Dennoch rechnet Nagel nicht mit einer Stagflation, also einem Szenario hoher Inflation und wirtschaftlicher Schwäche. "Eine Stagflation erwarte ich derzeit nicht, auch wenn die Auswirkungen des Kriegs die Inflationsrate erhöhen und das Wirtschaftswachstum schwächen werden." Gegenwärtig gebe es "keine Anzeichen für eine Lohn-Preis-Spirale", bei der sich beide Faktoren gegenseitig verstärken. Zudem erwarte die Bundesbank weiter einen Aufschwung, der sich aber wohl verzögern werde.
Nagel bewertet die Entscheidungen der EZB auf ihrer Ratssitzung in der vergangenen Woche als "guten und ausgewogenen Beschluss". Die Notenbank hatte dort ein Ende ihrer Anleihezukäufe in diesem Jahr angedeutet. Er habe schon bei früheren Gelegenheiten deutlich gemacht, wie ernst er den Anstieg der Inflation nehme. "Wir sollten die Normalisierung unserer Geldpolitik im Blick haben."
Der Beschluss beinhaltet auch, dass die erste Zinserhöhung "einige Zeit" nach dem Ende der Anleihezukäufe erfolgen soll. Damit solle verdeutlicht werden, dass sich die EZB offenhalte, wann sie die Leitzinsen erhöhen wolle. "Ich finde es angesichts der hohen Unsicherheit sehr wichtig, dass wir uns nicht vorfestlegen, sondern beweglich bleiben." Sich selbst sieht Nagel als "Teamplayer im EZB-Rat, der aber auch kontroverse inhaltliche Diskussionen nicht scheut".
BERLIN/FRANKFURT (Dow Jones)
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