Politisch wie selten

Anlagestrategie 2020: Wie Anleger sich richtig aufstellen

02.01.20 13:10 Uhr

Anlagestrategie 2020: Wie Anleger sich richtig aufstellen | finanzen.net

Politische Börsen haben kurze Beine, lautet ein Sprichwort. Doch 2020 dürften politische Ereignisse die Kurse erheblich beeinflussen. Wo die Chancen und Risiken für Anleger liegen.

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von Julia Groß und Sven Parplies, €uro am Sonntag

Es ist das Ereignis, der große Faktor für Investments schlechthin im Jahr 2020: die Präsidentschaftswahlen in den USA am 3. November mit einem zweifellos lautstarken Wahlkampf, der sich über das ganze Jahr hinzieht. Donald Trump, der zur Wiederwahl antritt, hat mehr als einmal bewiesen, dass er Kurse per Twitter-Nachricht beeinflussen kann - und dass er dieses Werkzeug auch jederzeit einzusetzen bereit ist.

Historisch betrachtet, ist oft das dritte Jahr der Präsidentschaft - also das gerade abgelaufene - das beste für den Aktienmarkt. Das vierte Jahr ist häufig das zweitbeste der vierjährigen Amtsperio­­de. Allerdings kann es auch durchwachsen sein, so wie 2000, 2004 und 2008. Einig sind sich Vermögensverwalter, dass die US-Regierung unter Donald Trump einiges daransetzen wird, 2020 das Wirtschaftswachstum anzutreiben.

"Gelingt es Trump nicht, die Konjunktur wieder in Schwung zu bringen, droht eine Wahlniederlage. In der Vergangenheit wurden US-Präsidenten nur bei boomender Konjunktur wiedergewählt", sagt der bekannte Fondsmanager Jens Ehrhardt, Chef der Fondsboutique DJE Kapital. Er rechnet damit, dass Donald Trump die rekordhohe Neuverschuldung der USA noch weiter nach oben treibt. "Auch die US-Notenbank hat in Wahljahren bisher noch nie die Konjunktur mit Zinserhöhungen gebremst. Damit sind monetär und fiskalpolitisch die Geldschleusen für Konjunkturstimulierung geöffnet. Dies sollte sich im Jahresverlauf positiv auf die Wall Street auswirken", stellt Ehrhardt fest.

Handel als Unsicherheitsfaktor


Doch die Situation ist fragil. "Wie eine vor Kurzem durchgeführte Umfrage zeigt, erwartet die Hälfte der CFOs in den USA bis zur Präsidentschaftswahl im November 2020 eine Rezession", erklärt Ariel Bezalel, der für die Strategie im Bereich Fixed Income bei Jupiter Asset Management zuständig ist. Das Wirtschaftswachstum basierte zuletzt fast ausschließlich auf dem Konsumsektor. Deshalb kommt dem weiteren Verlauf des Handelskonflikts mit China große Bedeutung zu. Die Teileinigung von Mitte Dezember war ein positives Signal, doch nun möchten Investoren sehen, dass sie auch umgesetzt wird. Experten erwarten auch nicht unbedingt, dass es bald zu einem weitreichenden Abkommen mit China kommt.

Eine wichtige Rolle für die Märkte spielt, wer aufseiten der Demokraten antritt. Die Partei wird den Kandidaten oder die Kandidatin auf ihrem Parteitag Mitte Juli küren. Die für das Votum maßgeblichen Vorwahlen starten am 3. Februar. Der "Super Tuesday", bei dem ein Großteil der Vorwahlstimmen vergeben wird, fällt auf den 3. März. Kapitalmarkt­experten sprechen entweder Elizabeth Warren oder dem Unternehmer Michael Bloomberg die besten Chancen zu. Vor allem die im politischen Spektrum deutlich links ausgerichtete Senatorin Warren hat dabei das Potenzial, Aktionäre zu verschrecken. Sie steht für Steuer­erhöhungen, deutlich mehr Regulierung, etwa bei den Techunternehmen, und will das Gesundheitssystem reformieren, was Pharmamanagern Sorgenfalten auf die Stirn treibt.

"Zugegeben, diese radikale Agenda wird wahrscheinlich noch etwas abgemildert, sollte sich Frau Warren in den demokratischen Vorwahlen durchsetzen. Dennoch würde sie von den Aktienmärkten sicherlich nicht gut aufgenommen werden und die Aussichten für den US-Dollar wahrscheinlich weiter dämpfen", meint Didier Saint-Georges von der Vermögensverwaltung Car­mignac. Auf der anderen Seite würde Warren dem Klimaschutz hohe Priorität einräumen, wovon Unternehmen aus dem Bereich Cleantech und erneuerbare Energien profitieren würden, ebenso der wachsende Bereich der nachhaltigen Investments.

Für alle Branchen sensibel ist das Thema Steuern: Auch moderate Demokraten wollen die von den Republikanern durchgesetzten Steuersenkungen zurückrollen. Nach Berechnung der Investmentbank Goldman Sachs würde jeder Prozentpunkt Steuererhöhung den Gewinn je Aktie des S & P 500 um rund ein Prozent drücken.

Durchzusetzen wäre eine Steuererhöhung nur mit einer Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses: Die Demokraten haben gute Chancen, die Kon­trolle über das Repräsentantenhaus bei den November-Wahlen zu verteidigen. Im Senat dagegen halten die Republikaner eine komfortable Mehrheit. Ein geteilter Kongress ist also das wahrscheinlichste Szenario. Börsianer könnten damit gut leben. Wenn sich die Parteien blockieren, würden sie den Unternehmen nicht in die Quere kommen.

Klima:
Anleger preschen vor


Das Thema Klimaschutz steht auch 2020 ganz oben auf der Agenda. Von politischer Seite fiel die Bilanz zuletzt eher gemischt aus. Die Weltklimakonferenz in Madrid brachte keine greifbaren Fortschritte. Die EU-Mitglieder einigten sich nach langem Ringen auf das ambitionierte Ziel, 2050 als Kontinent klimaneutral zu werden. Wie dies jedoch konkret erreicht werden soll, und ob man es schafft, die unwilligen Polen noch ins Boot zu bekommen, bleibt unklar. Die deutsche Regierung beschloss ein halbherziges Klimapaket, bei dem kurz vor Weihnachten doch noch auf einen höheren CO2-Einstiegspreis von 25 Euro im Jahr 2021 nachgebessert wurde.

In der Investmentbranche entwickelt sich dagegen das Thema Klimaschutz - oder breiter gefasst, die Faktoren Umwelt, Soziales und Unternehmens­führung (ESG) - zum Wachstumsmarkt schlechthin. Seit Jahren verzeichnen ESG-Fonds hohe Mittelzuflüsse. In­zwischen gibt es nach Angaben des Nachrichten- und Datendiensts Bloomberg weltweit 1.900 Fonds, die auf ­nachhaltige Investments setzen und auf diese Weise über 27 Billionen Euro verwalten.

Ihre Performance ist ermutigend, mehrere Studien haben inzwischen belegt, dass Investieren nach Nachhaltigkeitskriterien keinen Renditenachteil bedeutet. 2019 wurden außerdem nachhaltige Anleihen im Wert von über 300 Milliarden Euro emittiert. 2700 Banken, Stiftungen und Vermögensverwaltungsgesellschaften haben inzwischen die "Principles for Responsible Investment" (Prinzipien des verantwortungsvollen Investierens) unterschrieben.

Der Druck, den die Investoren auf Unternehmen ausüben, ist mittlerweile spürbar. So haben Minengiganten wie Rio Tinto ihr Kohlegeschäft verkauft, BHP ist gerade dabei, sich aus dem Sektor zu verabschieden. Die Transparenz und das Engagement sehr vieler Firmen in Sachen CO2-Ausstoß und Nachhaltigkeit ist gestiegen. Auch die meisten deutschen Großkonzerne haben mittlerweile klar definierte Ziele vorgelegt, wie sie ihre Treibhausgas-Emissionen senken wollen. All das macht es leichter für Anleger, einerseits Risiken im Portfolio zu erkennen und andererseits vom Erfolg nachhaltig wirtschaftender Unternehmen zu profitieren.

EU-Standards für grüne Investments


Diese Entwicklung wird sich fortsetzen. In den kommenden Wochen sollten sich die EU-Länder auf eine offizielle Klassifizierung grüner Investments einigen, die, so der Plan, für jedes Invest­mentprodukt auszuweisen ist. Im ersten Anlauf ist diese sogenannte EU-Taxonomie noch an der Frage der Einstufung von Atomkraft und Gas gescheitert. Doch steht die Regelung erst einmal, werden sich viele Fondsmanager oder prospektive Anleiheemittenten darum bemühen, das Label "grün" und nicht die schlechteren Ratings "Transition" oder "Enabling" zu bekommen.

Charlie Thomas, Stratege für Umwelt und Nachhaltigkeit bei Jupiter Asset ­Management, sieht im Umwelt- und ­Klimabereich zahlreiche Meilensteine, die auch die Märkte im kommenden Jahr beeinflussen: So werden in den USA und Taiwan die ersten großen Offshore-Windprojekte außerhalb Europas entstehen. "Dies betont das zunehmende Wachstum der Offshore-Wind­energie als globale, erneuerbare Energiequelle", sagt Thomas.

Zusammenschlüsse südostasiatischer Staaten, die westliche Müllexporte stoppen beziehungsweise zurückschicken, sollten Recyclingfirmen zugute kommen. Und schließlich werden Elektrofahrzeuge für den Massenmarkt erstmals auf drei Kontinenten vom Band laufen (siehe unten).

E-Auto:
Spätstarter legen los


Die Autoindustrie steht vor dem größten Umbruch ihrer Geschichte: Die Zeit des Verbrennungsmotors geht zu Ende. Die Zukunft, so sieht es heute aus, gehört dem Elektroantrieb. Die deutschen Autokonzerne starten mit Verspätung in das neue Zeitalter, erhöhen jetzt aber das Tempo. Volkswagen wird 2020 mit dem ID.3 sein erstes rein als Elektroauto konzipiertes Massenmodel auf den Markt bringen. Das wird nicht nur für den Konzern ein wichtiger Test, sondern auch für die Konsumenten: Sind Autofahrer wirklich bereit, auf die neue Technologie umzusteigen?

Der wichtigste Absatzmarkt für Elektrofahrzeuge ist China. Dort hat die Regierung klare Vorgaben gemacht: Bis zum Jahr 2025 soll der Anteil der E-Autos auf 20 Prozent steigen. In Europa greifen andere Mechanismen - Konzerne müssen Umweltstandards erfüllen, um Geldstrafen zu vermeiden. In den USA wird viel davon abhängen, wer die Präsidentschaftswahl gewinnt.

Die Zahl der verkauften Elektrofahrzeuge in den großen Absatzmärkten China, Europa und USA ist noch gering, dürfte aber kräftig steigen: Von etwas mehr als zwei Millionen 2019 auf neun Millionen 2025, kalkuliert Ferdinand Dudenhöffer vom CAR-Institut der Universität Duisburg-Essen. Das würde Wachstumsraten von 28 Prozent entsprechen. Der gesamte Automarkt wird wohl lediglich um weniger als zwei Prozent aufdrehen. Für den Volkswagen- Konzern kalkuliert Dudenhöffer im neuen Jahr mit 530.000 bis 600.000 ­verkauften Elektrofahrzeugen. Bis zum Jahr 2025 soll diese Zahl auf 1,7 bis 2,2 Millionen steigen.

Nach Ansicht der Finanzanalysten ist VW der aussichtsreichste Autowert im DAX. Mehr als 80 Prozent der Profis empfehlen die Aktie zum Kauf. Das durchschnittliche Kursziel für die Vorzüge liegt bei 202 Euro.

Investor-Info

Apple
Noch immer knackig


Die großen Techkonzerne sollten auch in ­einem schwachen Wirtschaftsumfeld über­proportional wachsen. Eine stärkere Regulierung etwa des App-Stores könnte Apple verkraften. Das Geschäft mit Dienstleistungen wird für den Konzern immer wichtiger. Die Nachfrage nach dem iPhone könnte durch 5G angetrieben werden. Die Bewertung der Aktie ist vergleichsweise moderat. Der Kurs wird durch Aktienrückkäufe gestützt. Nebenbei gibt es eine kleine Dividende.

Siemens
Dividende und Extrakick


Angesichts der verhaltenen Wachstumsaussichten für die Weltwirtschaft und niedriger Zinsen wird die Dividende für Investoren ­immer wichtiger. Siemens gehört zu den ­zuverlässigsten Auszahlern in Deutschland. Zusätzliche Kursfantasie für die Aktie bringt die Umstrukturierung des Konzerns: Durch die für das neue Jahr geplante Abspaltung der Energiesparte will sich Siemens auf wachstumsstarke Geschäftsfelder wie die ­Industrieautomatisierung konzentrieren.

Walmart
Hier kauft Amerika


Die US-Supermarktkette hat den Sprung in das digitale Zeitalter geschafft: Der Umsatz über das Internet wächst deutlich, allein im vergangenen Quartal um 41 Prozent. Kunden können beispielsweise im Netz bestellen und ihre Waren dann in den Filialen abholen. Das Gesamtgeschäft profitiert von der guten Stimmung der Konsumenten in den USA. Bei einer extrem niedrigen Arbeitslosigkeit ist ­genug Geld für Shoppingtouren vorhanden. Auch bei Walmart bekommen Aktionäre eine moderate Dividende.

Fokus Day:


Rekorddividende
Anfang Februar startet die Dividendensaison in Deutschland. Als erstes großes Unternehmen wird Siemens Bargeld ausschütten. Rund 3,2 Milliarden Euro sollen die Aktionäre des Industriekonzerns bekommen, mehr als je zuvor. Die Masse der deutschen Unternehmen zahlt ihre Dividende in den Monaten April und Mai. Allein bei den DAX-Konzernen rechnet die Redaktion 2020 mit einer Ausschüttung von insgesamt 37 Milliarden Euro. Dividenden sind in Zeiten niedriger Zinsen zu einer wichtigen Einnahmequelle für Investoren geworden. Nach Berechnung der Fondsgesellschaft Janus Henderson sind im Jahr 2019 weltweit 1,43 Billionen Dollar als Dividende ausgeschüttet worden. Das ist ein neuer Rekord und knapp vier Prozent mehr als 2018.

Konzernspaltungen Bei DAX-Konzernen gibt es im neuen Jahr wichtige Veränderungen: Der Autozulieferer Continental will seine Antriebssparte ­Vites­co über ein Spin-off an die Börse bringen. Dabei werden Continental-Aktionäre gratis Vitesco-Papiere ins Depot gebucht. Einen genauen Termin für die Abspaltung gibt es noch nicht. Ebenfalls über einen Spin-off will Siemens bis September den Großteil seiner Energiesparte unter dem Namen Siemens Energy ausgliedern. Ein Spin-off wird meist bei Geschäftsbereichen gewählt, für die sich über einen direkten Verkauf kein attraktiver Preis erzielen lässt. Einen klassischen Börsengang plant BASF in der zweiten Jahreshälfte für die Tochter Wintershall DEA, an der der DAX-Konzern 67 Prozent der Anteile hält.

Wirecard-Wahrheit
Was geht wirklich vor bei Wirecard? Als ­Reaktion auf Bilanzvorwürfe der britischen Finanzzeitung "Financial Times" hat die im DAX notierte Techfirma die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG mit einer Untersuchung beauftragt. Ergebnisse werden im ersten Quartal des neuen Jahres erwartet. Wirecard hat die Vorwürfe zurückgewiesen. An der Börse aber halten sich Zweifel: Die Aktie des Online-Zahlungsabwicklers hat seit ihrem Höchststand rund 45 Prozent an Wert verloren. Das durchschnittliche Kursziel der Analysten liegt dagegen bei 191 Euro und damit deutlich über dem aktuellen Niveau. Das allerdings unter der Voraussetzung, dass Wirecard die Vorwürfe aus der Welt räumen kann.







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