Sinkende Insolvenzzahlen trotz Corona - ist das die Ruhe vor dem Sturm?
Die befürchtete Corona-Pleitewelle für Unternehmen aus Deutschland blieb bislang aus. Ein Grund zur Entwarnung gibt es jedoch keinesfalls, da die sinkenden Insolvenzzahlen durch mehrere Faktoren verzerrt werden.
• Insolvenzzahlen fallen in Q1 um 3,7%
• 13,4% weniger Pleiten im April
• Insolvenzantragspflicht wurde aufgehoben
Angesichts der starken Kurserholungen im DAX,MDAX und SDAX fragen sich viele Investoren berechtigterweise, ob die deutsche Wirtschaft den großen Corona-Crash schon überstanden hat? Jedoch besteht, trotz einer beeindruckenden Erholungsrally bei vielen deutschen Aktien, nun noch längst kein Grund zur Entwarnung.
Statistisches Bundesamt sorgt für Überraschung
Trotz der grassierenden Corona-Pandemie und der einschneidenden Schutzmaßnahmen meldeten die Amtsgerichte nach Angaben des Statistischen Bundesamtes zwischen Januar und März 4.683 Firmenpleiten in Deutschland. Somit fiel die Zahl der Insolvenzen im ersten Quartal 2020, im Vergleich zum ersten Quartal 2019, um rund 3,7 Prozent.
Diese Fälle setzen sich größtenteils aus 788 Firmenpleiten im Bereich Handel und Kfz-Gewerbe, 761 Pleiten im Baugewerbe und 514 Insolvenzen im Gastgewerbe zusammen. Trotz einer rückläufigen Insolvenzzahl lagen die Gesamtforderungen der Gläubiger mit 7,3 Milliarden Euro jedoch weit über der Summe von 4,7 Milliarden Euro aus dem Vorjahr.
Darüber hinaus meldeten im ersten Quartal 2020 20.672 sonstige Schuldner ihre Zahlungsunfähigkeit an. Was in Bezug auf den Vorjahreszeitraum ein Rückgang von 6,5 Prozent bedeutet. Die Zahl von 20.672 Fällen setzt sich dabei aus 15.095 Privatinsolvenzen und 4.659 Insolvenzanträgen von vormals Selbstständigen zusammen.
Pleitewelle bleibt vorerst aus
Die Zahl der Regelinsolvenzverfahren ist jedoch nicht nur zwischen den ersten drei Monaten des Jahres gefallen, sondern auch im April. So fiel die Zahl der angemeldeten Pleiten im vierten Monat des Jahres um 13,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. "Die durch die Corona-Pandemie und die Maßnahmen zu deren Eindämmung verursachte wirtschaftliche Krise spiegelt sich im März und April nicht in einem Anstieg der eröffneten Insolvenzverfahren wider", so in einer Mitteilung des Statistischen Bundesamtes.
Drei Gründe für die paradoxe Entwicklung
Dass die rückläufigen Insolvenzzahlen aktuell keine zuverlässige Basis für die Einschätzung der Lage innerhalb der deutschen Wirtschaft bilden, hängt im Wesentlichen an drei Faktoren. So kommt es aufgrund der Pandemie gegenwärtig zu sehr langen Bearbeitungszeiten bei den zuständigen Gerichten, wodurch sich die Entscheidungen zu den einzelnen Verfahren erheblich verzögern.
Des Weiteren hat die Bundesregierung beschlossen die Insolvenzantragspflicht bis zum 30. September 2020 auszusetzen. Während Unternehmen im Normalfall innerhalb von drei Wochen ihre Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung bekannt geben müssen, um einer zivil- und strafrechtlichen Haftung zu entgehen, können Unternehmer nun, vorausgesetzt der Insolvenzgrund hängt mit der Corona-Pandemie zusammen, mit ihrem Antrag abwarten und in der Zwischenzeit selbst eine Sanierung vornehmen. "Die fehlende Antragsmöglichkeit wirkt sich dadurch deutlich auf die Statistik aus", so Christoph Niering, der Vorsitzende des Verbandes der Insolvenzverwalter, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.
Darüber hinaus beziehen sich die Zahlen des Deutschen Bundesamtes lediglich auf vorläufige Regelinsolvenzverfahren, jedoch nicht auf sogenannte Schutzschirm- und Eigenverwaltungsverfahren, die aktuell vornehmlich von größeren Konzernen in Anspruch genommen werden.
Keine Entwarnung aus der Wirtschaft
Die erwähnten Faktoren beschönigen die aktuellen Insolvenzzahlen in Deutschland auf massive Art und Weise. So suggerieren die ausbleibende Pleitewelle aktuell zwar wirtschaftliche Stärke, in der Realität weht jedoch ein anderer Wind. So gehen viele Experten davon aus, dass die Zahl der Firmenpleiten erst nach dem Ende der Corona-Maßnahmen steigen werden.
"Die Kunden werden nicht so schnell an die Zeit vor der Krise anknüpfen, denn die gesundheitlichen Risiken bestehen ja weiter - und es gibt mehr als zehn Millionen Kurzarbeiter, die mit erheblichen Lohneinbußen zurechtkommen müssen", so Niering in Bezug auf eine mögliche Erholung der deutschen Wirtschaft.
Entsprechend dieser Einschätzung rechnet Niering für das laufende Jahr mit einem erheblichen Anstieg der Regelinsolvenzverfahren. "Da die Zahl der Insolvenzen in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken ist, wäre selbst ein Anstieg um 20 Prozent auf 23.000 noch wenig im Vergleich zur Finanzkrise", so der der Vorsitzende des Verbandes der Insolvenzverwalter weiter. Dementsprechend ist es gut möglich, dass die Corona-Pleitewelle aufgrund der zahlreichen Maßnahmen erst mit einer gewissen Verspätung über die deutsche Wirtschaft rollt.
Pierre Bonnet / Redaktion finanzen.net
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