Norbert Betz

Norbert Betz, Psychofallen an der Börse: Heimatliebe - oder Übergewicht ist ungesund - 9

24.04.24 17:18 Uhr

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Norbert Betz, Psychofallen an der Börse: Heimatliebe - oder Übergewicht ist ungesund - 9 | finanzen.net

Im bereits neunten Teil unseres Exkurses zur Börsenpsychologie geht es um einen ganz typischen Fehler an der Börse, den gestandene Profis genauso begehen wie blutige Anfänger und der im Übrigen international so funktioniert. Da unterscheidet sich der US-Investmentbanker nicht vom fränkischen Privatanleger: Beide bevorzugen Werte von Unternehmen aus ihrer Heimat, ja, oftmals sogar aus ihrer Region.

Heimattreue ist ja prinzipiell nichts Schlechtes und Produkte aus der Region liegen voll im Trend - genau wie Heimatministerien zumindest auf Landesebene. Heimatliebe kann sich auch materiell auswirken: So machen wir Deutschen gerne Urlaub im eigenen Land und wir lieben vor allem unsere Autos - E-Mobilität hin oder her ist das immer noch ziemlich deutlich im Straßenbild erkennbar. Ähnlich ist das bei der Kapitalanlage: Da werden deutsche Aktien in den Portfolios der deutschen Anleger deutlich übergewichtet - und Übergewicht, das wissen wir alle, ist nicht wirklich gesund. Eine Zahl sollte uns besonders stutzig machen: Der Anteil an der weltweiten Marktkapitalisierung liegt bei den deutschen Aktiengesellschaften gerade einmal bei etwa 4 Prozent! Nimmt man den MSCI-World mit über 1.600 Einzeltiteln als Maßstab, so kommen deutsche Unternehmen darin sogar nur auf einen Anteil von 3 Prozent. Oder: Unter den aktuell 100 wertvollsten Unternehmen der Welt, die es laut PwC "Global Top 100" insgesamt auf einen Rekordwert von knapp 44 Billionen US-Dollar schaffen, finden sich nur zwei deutsche Aktiengesellschaften - SAP auf Platz 47 und Siemens auf Rang 91.

Deutsche Titel beherrschen die Depots

Hand aufs Herz, in den meisten Depots deutscher Anleger liegt - egal ob bei Fonds oder einer Direktanlage in Einzeltitel - der Anteil ausländischer Titel weitaus niedriger als bei 96 Prozent! Dabei nehmen allein die US-Unternehmen unter den Top-100 einen Anteil von 72 Prozent ein! Nicht nur Privatanleger haben keine 72 Prozent US-Titel im Depot, sondern auch bei berufsmäßigen Vermögensverwalter ist das nicht der Fall. Wobei die deutschen DAX-Unternehmen, das sei nicht unerwähnt, einen großen Teil ihres Umsatzes außerhalb der Landesgrenzen erwirtschaften - insofern ist eine Investition in DAX-Werte schon per se auch eine Investition in die Weltwirtschaft! Und dass sie sich nicht scheuen, ihren Unternehmenssitz auch einmal ins Ausland zu verlegen, beweist etwa der ehemalige Dax-Konzern Linde.

DAX-Konzerne machen Umsätze im Ausland

Denn wenn wir mit Hilfe der Unternehmensberatung EY einen genaueren Blick auf die Umsätze der 40 Konzerne werfen wird dies deutlich: 2023 war zwar von rückgängigen Umsätzen geprägt (um 10 Prozent), und Europa konnte zulegen (um 6 Prozent), während in Nordamerika ein leichter Umsatzrückgang (1 Prozent) zu verzeichnen war und in Asien ging er um 4 Prozent zurück. Trotzdem, etwa zwei Drittel des Umsatzes erwirtschaften die deutschen DAX-Konzerne weiterhin im Ausland, die USA bleiben ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Doch die Amerikaner lieben nicht nur unsere Autos - die deutschen Autokonzerne haben 2023 bei Umsätzen und Gewinnen deutlich zugelegt und "retteten" so die Gesamtperformance - und sonstigen Waren, sondern auch unsere Unternehmen. Wie überhaupt amerikanische Anleger oftmals von einem guten Produkt auf ein gutes Unternehmen und somit auf ein interessantes Investment per Aktien schließen, eine Denke, die uns leider eher fremd ist. Zwangsläufig "gehören" deshalb viele DAX-Konzerne in der Mehrheit ausländischen Investoren, an erster Stelle US-Amerikanern mit fast 22 Prozent Anteil. Insgesamt liegen mehr als zwei Drittel der Aktien in ausländischer Hand! Und, kleine Anmerkung, damit fließt auch die Mehrzahl der üppig sprudelnden Dividenden in ausländische Hände und wird dort reinvestiert. Die Erkenntnis daraus: Sie können gerne mehr als nur 4 Prozent ihres Depots in heimische Werte investieren - aber ein Blick über den nationalen Tellerrand lohnt sich dennoch.

Ein wichtiger Grund für diese Home Bias - wobei Bias für »Verzerrung«, genauer »Wahrnehmungsverzerrung« steht - ist das Vertrauen, das Anleger prinzipiell in Unternehmen aus ihrem eigenen Land setzen. Warum? Im Zweifel kennen sie es aus der Zeitungslektüre, egal ob aus dem Wirtschafts- oder sogar aus dem Lokalteil, kennen vielleicht im Bekannten- oder Verwandtenkreis Beschäftigte der entsprechenden Gesellschaften und oftmals sind die Produkte in Gebrauch oder zumindest bekannt. Wir verfügen deshalb über eine Art »Insiderwissen«. Vermeintliches Insiderwissen, genauer gesagt, denn mehr als die weltweit agierenden Analysten, die sich mit nichts anderem als bestimmten Ländern und Branchen befassen, wissen wir in aller Regel dann doch nicht.

Home Bias ist keinesfalls eine deutsche »Tugend«, sondern weltweit zu beobachten. Es gibt darüber hinaus aber auch Gründe, warum Investoren ausländische Aktien scheuen: Währungs- und Inflationsrisiken, Übersetzungsprobleme und Zeitverschiebung bei der Informationsgewinnung oder eine höhere Besteuerung spielen bei der Anlageentscheidung fürs eigene Land ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Regionale Home Bias

Dieses Home Bias kann im Übrigen sogar noch weiter auf einzelne Regionen heruntergebrochen werden. Anleger investieren überproportional in Unternehmen aus ihrem direkten regionalen Umfeld, besonders ausgeprägt etwa bei SAP. Da mögen auch Mitarbeiterbeteiligungsprogramme eine Rolle spielen - die Anzahl hochqualifizierter Mitarbeiter des Softwarekonzerns, die in der Region wohnen und mit Aktienanteilen belohnt werden, dürfte vergleichsweise hoch sein. Immerhin hätten die Bürger Münchens eine relativ große Auswahl an DAX-Konzernen - Bewohner anderer Städte müssten sich noch mehr fokussieren. Selbst Profis erliegen dem Home Bias und sogar seiner verschärften regionalen Form. So ergab eine Studie aus den USA, dass Fondsmanager jede zehnte Firma vor allem deshalb in ihr Portfolio einsortieren, weil sie in derselben Stadt residieren wie sie selbst.

Meistgehandelt in München

Nehmen wir als Beispiel die Investments an den beiden Börsenplätzen in München. An der Börse München wurden nach der Anzahl der Orderausführungen, also der Trades, im Jahr 2024 (Stichtag 23. April) unter den ersten zehn vier deutsche und sechs ausländische Titel gehandelt, bei gettex waren es im gleichen Zeitraum drei deutsche und sieben ausländische Aktien. An der Spitze liegen hier Nvidia und Tesla, gefolgt von Rheinmetall und SMC. Insofern zeigen sich die Anleger hier doch einigermaßen resistent gegenüber dem Home Bias, trotzdem, insgesamt liegt der Anteil der deutschen Aktien in der Regel bei immer noch über 40 Prozent!

Nicht alles auf eine Karte setzen

Man sollte sich über dieses Home Bias bei der Anlage bewusst sein und darüber nachdenken, dass schon der Job und das Haus von der Prosperität des eigenen Landes abhängen, und deshalb nicht auch noch die gesamte Kapitalanlage in das Heimatland investiert werden sollte. Auch sind deutsche Aktien-Indizes weltweit nicht immer die erfolgreichsten und in der Regel auch besonders krisenanfällig - wer also ausschließlich in sie investiert, erhöht nicht nur sein Risiko, sondern mindert auch seine Rendite. Nach einer Studie von Whitebox Rendite Radar investierten Anleger zwischen 2018 und 2022 52 Prozent in deutsche und nur 48 Prozent in ausländische Aktien, die in diesem Zeitraum eine wesentliche höhere Rendite abwarfen. Damit "verloren" sie über 140 Mrd. Euro an Kursrendite. Deshalb sollte ein gesundes Verhältnis, auf neudeutsch Diversity genannt, im Depot herrschen. Insofern mein etwas anderer Rat: Andere Mütter haben auch schöne Töchter!#

Norbert Betz ist Leiter der Handelsüberwachung der Börse gettex. Er setzt sich seit Jahren für das Thema Börsenpsychologie ein: Als leidenschaftlicher Trader und Börsianer, als distanzierter Marktbeobachter, als Referent und Autor. Mit Ulrich Kirstein hat er Börsenpsychologie simplified geschrieben.