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Das große Zittern, Teil 1

14.06.10 15:30 Uhr

An den Märkten herrscht große Unsicherheit. Die einen sorgen sich um eine Inflation, die anderen um eine Deflation. Für Anleger ist beides ein Schreckgespenst. Aber wie schlimm wird es wirklich?

Werte in diesem Artikel
Rohstoffe

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Devisen

0,9389 CHF -0,0017 CHF -0,19%

0,8417 GBP -0,0023 GBP -0,27%

161,0000 JPY -1,8400 JPY -1,13%

1,0285 USD -0,0022 USD -0,21%

Indizes

20.574,7 PKT 303,4 PKT 1,50%

43.139,0 PKT 620,8 PKT 1,46%

19.219,8 PKT 345,6 PKT 1,83%

19.431,2 PKT 386,8 PKT 2,03%

38.444,6 PKT -29,7 PKT -0,08%

5.932,4 PKT 89,5 PKT 1,53%

3.240,9 PKT 80,2 PKT 2,54%

Die Zeichen an den Aktienmärkten, ob in New York, Tokio, Shanghai, London oder Frankfurt, scheinen auf Baisse zu stehen. Der im März 2009 begonnene Anstieg ist in seinen Grundfesten erschüttert. Und das, obwohl die jüngsten Nachrichten aus Washington und Brüssel zur Entwicklung der Konjunktur auf den ersten Blick eigentlich gut sind: seien es Verbesserungen am Arbeitsmarkt, steigende Aufträge in der Industrie oder zuversichtliche Einkaufsmanager. An den Märkten hat das aber offensichtlich zu wenig Gewicht.

Und weil nicht nur die Bewegungen bei den Aktien hektisch sind wie lang nicht, sondern sich gleichzeitig auch die Währungsrelationen dramatisch verändern und die Rohstoffnotierungen stark unter Druck geraten sind, scheint es fast so, als ob die strukturellen Probleme der Weltwirtschaft den konjunkturellen Aufschwung abwürgten. "Mysteriös, instabil und schwierig" findet der alte Wall-Street-Haudegen und Vater der Dow-Theorie Richard Russell den Zustand der Märkte.

Zu schwerwiegend scheinen die übergeordneten Probleme: Haben wir zu lang über unsere Verhältnisse gelebt? Ist das Bankensystem immer noch krank? Wie stark müssen die Märkte reguliert werden? Ist Chinas Aufschwung nachhaltig? Was bewirkt all die Liquidität, die in den vergangenen Monaten in den Finanzkreislauf gepumpt wurde? Und vermutlich die Kardinalfrage: Was wird aus den enormen Staatsschulden?

Ohne kalte Dusche für die Märkte und damit für die Anleger scheint kein Lösungsansatz auszukommen. Die Schuldenkrise der Staaten, sagt der Schweizer Vermögensverwalter und Querdenker Felix Zulauf, könne auf zwei Wegen bekämpft werden: "Deflationär, wenn wir sparen und Kredite zurückzahlen. Oder inflationär durch Gelddrucken und eine massive Geldentwertung." Sein Fazit: "Wir können heute noch nicht sagen, wie das Spiel ausgeht. Aber wir wissen, dass die Bürger die großen Verlierer sein werden - so oder so."

Fürchterliche Aussichten, wenn es so kommt. In Deutschland ist dabei vor allem Inflation die ganz große Sorge. Finanzminister Wolfgang Schäuble macht das deutlich. Er will eisern sparen und die Defizite bei Bund, Ländern und Gemeinden angehen, um "einer Inflation vorzubeugen". Auch in den meinungsbildenden Talkshows der Nation sorgen sich die Gäste meist um sprunghafte Geldentwertung - dass Inflation kommt, scheint schon abgemacht. Gestritten wird meist nur über die Frage, wann es so weit ist und wie man sein Geld in Sicherheit bringt.

Deflation, also ein massiv und stetig fallendes Preisniveau, dagegen scheint für die meisten als das kleinere Übel zu gelten. Gesamtwirtschaftlich gesehen wäre Deflation aber ein Desaster. Die Unternehmen litten unter Umsatzeinbrüchen, Produktionsabbau und Preisnachlässen, und der gerade erst beendeten Rezession würde wohl die nächste folgen. "Deflationstendenzen müssen früh, rasch und entschlossen bekämpft werden. Sonst gibt es eine sich selbst verstärkende Abwärtsspirale", warnt Thomas Straubhaar vom Wirtschaftsforschungsinstitut HWWI. Japans verlorene Dekade der 90er ist ein abschreckendes Beispiel.

Die Inflationspropheten warnen indes: Je mehr Geld die Zentralbanken in Umlauf bringen, desto mehr verliert es an Wert. "Inflation wird in den nächsten acht Jahren die Hälfte des deutschen Sparvermögens vernichten", sorgt sich Schwarzseher Claus Vogt, Chefanalyst bei der Quirin Bank.

Zu simpel? Den Regierungen käme ein gewisses Maß an Inflation durchaus entgegen - der Schuldenberg wäre weniger bedrohlich. Nur aus dem Ruder dürfe die Geldentwertung nicht laufen. Der Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, Olivier Blanchard, hatte im Februar vorgeschlagen, weltweit mehr Inflation zuzulassen: statt zwei Prozent künftig doppelt so viel, um es den Staaten beim Schuldenabbau etwas leichter zu machen.

Doch Schulden weginflationieren ist nicht so einfach. Hohe Haushaltsdefizite allein heizen die Inflation nicht an. Dafür müssen die Kapazitäten voll ausgelastet sein und es sollte Vollbeschäftigung herrschen. Außerdem muss die allgemeine Erwartung bestehen, dass Preise und Löhne steigen. Nicht Teuerungsschwankungen und sporadische Inflationsspitzen sind zu befürchten, sondern ein stetiger Preisauftrieb.

Die offiziellen Zahlen geben das aber nicht her. Die deutschen Verbraucherpreise sind im Mai zwar etwas gestiegen, dennoch liegt die Teuerungsrate immer noch bei moderaten 1,2 Prozent und damit deutlich unter der Zielmarke der Europäischen Zentralbank. In den USA ist das Bild ähnlich. Von akuter Inflationsgefahr nichts zu sehen. Einzig die britische Zentralbank ist unter den Industriestaaten mit einer gewissen Inflation konfrontiert. Im März lagen die Konsumentenpreise um 3,4 Prozent höher als im Vorjahr. Die hohen Überkapazitäten im Land und die Steuererhöhungspläne der neuen Regierung sprechen aber gegen eine weitere Beschleunigung.

Grund für die niedrige Inflationsrate in den entwickelten Ländern: Die Konjunktur läuft zwar wieder besser als in den Krisenjahren 2008 und 2009, doch absolut gesehen ist die Wirtschaftsentwicklung eher durchschnittlich. Unternehmen haben so kaum Spielraum, die Preise zu erhöhen, und die Löhne bleiben niedrig. "Wenn man alle diese Faktoren in Betracht zieht, mache ich mir eher Sorgen, dass wir eine Phase der Deflation erleben werden", sagt Nouriel Roubini, Professor der Stern School of Business in New York.

Die Entwicklung am Anleihemarkt gibt Roubini recht: Deutsche Staatsanleihen und US-Treasuries notieren so hoch wie lang nicht, die Zinsen sind auf ein Rekordtief gefallen. An den Zinsmärkten ist das Inflationsszenario derzeit völlig ausgeblendet, es wird aggressiv auf Deflation gesetzt, die Investoren flüchten in sichere Staatsanleihen. Sowohl Aktien wie auch Anleihen finanzschwacher Euroländer werden verkauft und die freigesetzte Liquidität im sicheren Hafen Bundesanleihe geparkt. Eine Momentaufnahme freilich. In Stein ist nichts gemeißelt.

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