thyssenkrupp-Aufseher stimmen Hiesinger-Abgang zu - Aktie von möglichem Strategiewechsel getrieben
Der Industriekonzern kommt nicht zur Ruhe. Ausgerechnet in einer entscheidenden Phase des Konzernumbaus wirft der langjährige Chef Heinrich Hiesinger das Handtuch.
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Hiesinger hatte den Aufsichtsrat am Donnerstag überraschend um eine Vertragsauflösung gebeten. Die Ankündigung erfolgt nur wenige Tage nachdem der Manager nach langem Tauziehen die Fusion des Stahlgeschäfts mit dem europäischen Geschäft von Tata Steel unter Dach und Fach gebracht hatte. In einem Brief an die Mitarbeiter hatte Hiesinger seine Entscheidung damit begründet, eine "grundsätzliche Diskussion" über die künftige Entwicklung des Konzerns ermöglichen zu wollen. Vor allem Großaktionär Cevian hatte das Vorgehen Hiesingers immer wieder kritisiert und erklärte die Konglomerats-Strategie des Managers für gescheitert. Den Zerschlagungsphantasien hatte Hiesinger wiederholt Absagen erteilt.
Der Aufsichtsrat des Industriekonzerns thyssenkrupp hat dem Rücktrittsgesuch des Vorstandsvorsitzenden Heinrich Hiesingers zugestimmt. Das teilte das Unternehmen am Freitag in Essen mit. Einen Übergangschef, der Hiesingers Aufgaben übernimmt bis ein Nachfolger bestimmt ist, soll es zunächst nicht geben. Der verbliebene Vorstand, bestehend aus Guido Kerkhoff, Oliver Burkhard und Donatus Kaufmann soll das Unternehmen erst einmal ohne Vorsitzenden weiterführen, hieß es. Die Suche nach einem Nachfolger Hiesingers soll in einem "strukturierten Prozess" erfolgen.
Aufsichtsratsvorsitzender Ulrich Lehner erklärte, Hiesinger habe in seiner Zeit als Vorsitzender die Grundlage dafür geschaffen, dass thyssenkrupp "als starker Industriekonzern bestehen kann, so, wie es dem Stiftungsgedanken entspricht". In der für das Unternehmen schwierigen Situation gehe es nun zunächst darum, auf Kurs zu bleiben. "Der Vorstand hat eine mit dem Aufsichtsrat abgestimmte Strategie für die Weiterentwicklung des Unternehmens", so Lehner. Dazu gehöre die Umsetzung der Stahlfusion. Mit der Unterschrift sei dafür ein wichtiger Meilenstein erreicht worden. "Für die weiteren Geschäftsbereiche bestehen nach außen klar kommunizierte Ziele, an denen das Unternehmen weiter arbeiten wird."
Die thyssenkrupp-Aktie reagierte zwischenzeitlich mit deutlichen Kursgewinnen und legte um bis zu 6,6 Prozent auf 22,90 Euro zu. Zum Börsenschluss blieb ein Aufschlag von 2,42 Prozent auf 22,01 Euro im Xetra-Geschäft.
"Ich gehe diesen Schritt bewusst, um eine grundsätzliche Diskussion im Aufsichtsrat über die Zukunft von thyssenkrupp zu ermöglichen", erklärte Hiesinger nun. Ein gemeinsames Verständnis von Vorstand und Aufsichtsrat über die strategische Ausrichtung des Unternehmens sei Voraussetzung für eine erfolgreiche Unternehmensführung, fügte er hinzu. Die breite Unterstützung der Aktionäre und im Aufsichtsrat sei Grundlage für den Erfolg der strategischen Weiterentwicklung des Konzerns seit 2011 gewesen.
Damit signalisierte der Manager, dass es daran zuletzt gefehlt haben dürfte. Medienberichten zufolge hatten zwei Aufsichtsräte gegen die Stahlfusion gestimmt, unter ihnen Cevian. Zudem gab es eine Enthaltung. Die "Rheinische Post" schrieb am Freitag, Hiesinger habe zudem den Rückhalt der thyssenkrupp-Stiftung, mit 21 Prozent größter Anteilseigner, vermisst, die zwar für die Stahlfusion stimmte, jedoch Hiesinger nicht genügend den Rücken gestärkt haben soll.
Für Hiesinger war die Stahlfusion ein wesentlicher Schritt im Umbau des Unternehmens. Danach wollte der Manager den Konzern auf die Industriegeschäfte wie Aufzüge, Komponenten für die Automobilindustrie und den Anlagenbau konzentrieren. Bislang gilt thyssenkrupp als kompliziertes Geflecht aus einer ganzen Reihe verschiedener Geschäfte. Bis Mitte Juli wollte Hiesinger dem Aufsichtsrat seine Pläne präsentieren. Zu erwarten waren dabei jedoch keine weiteren fundamentalen Schritte.
Einigen Anteilseignern - allen voran Cevian - geht der Umbau nicht rasch und vor allem nicht radikal genug voran. In immer schnellerer Abfolge kritisierte Cevian öffentlich den seiner Ansicht nach zögerlichen Kurs Hiesingers und sympathisiert offen mit einer Zerschlagung des Konzerns. Im Frühjahr stieg zudem der aktivistische US-Investor Paul Singer mit seinem Hedgefonds Elliott bei thyssenkrupp ein und kritisierte den Kurs Hiesingers scharf. Elliott ist bekannt dafür, sich in die Geschäftspolitik der Unternehmen einzumischen.
Cevian-Mitgründer Lars Förberg forderte zuletzt mehr Freiraum für einzelne Sparten nach dem Vorbild von Siemens. Damit würden Börsengänge einzelner Bereiche oder Teilverkäufe einfacher. Dabei hatte er etwa die lukrative Aufzugsparte im Blick.
Dabei griff Förberg direkt nach der Entscheidung über die Stahlfusion Hiesinger erneut frontal an. "thyssenkrupp ist mit der Strategie des Konglomerats und seiner Matrixorganisation gescheitert. Jetzt muss für jede der Sparten konsequent geprüft werden, welche Struktur und welche Eigentumsverhältnisse am besten geeignet sind", erklärte der Gründungspartner. Die Maßgabe müsse dabei die industrielle Logik sein, "nicht Tabus, geschichtliche Entwicklung, Emotionen oder persönliche Ambitionen". Die Aktie könne deutlich mehr wert sein - bei "den richtigen Entscheidungen" hält er 50 Euro je Aktie für möglich.
Das steht diametral zu den Vorstellungen Hiesingers - dieser lehnte eine Zerschlagung immer vehement ab. Er sah die größten Vorteile in einem integrierten Konzernmodell. Nach dem voraussichtlichen Weggang Hiesingers sind daher nun die Arbeitnehmervertreter alarmiert.
Konzernbetriebsratschef Wilhelm Segerath warnte vor einer Zerschlagung und einem Ausverkauf des Industriekonzerns. Er sehe die Gefahr, dass der Rest des Mischkonzerns von Finanzinvestoren zerschlagen werde, sagte Segerath der Deutschen Presse-Agentur. Der IG-Metall-Vertreter gehört dem Aufsichtsrat von thyssenkrupp an.
Für Commerzbank-Analyst Ingo-Martin Schachel dürfte die Aufgabe des neuen Chefs vor allem darin bestehen, die Industriegruppe weiter zu verschlanken sowie Maßnahmen zu initieren, um mehr Barmittel zu haben. Die für die kommende Woche angesetzte Strategiesitzung dürfte nun wohl bis zur Ankunft eines möglichen neuen Chefs verschoben werden, schrieb er in einer Studie am Freitag.
Hiesinger übernahm den Chefposten vor sieben Jahren in einer tiefgreifenden Krise. thyssenkrupp hatte sich mit dem Bau von Stahlwerken in den USA und Brasilien finanziell übernommen und dort Milliarden versenkt. Korruptionsaffären erschütterten den Konzern. Hiesinger räumte auf, entließ den halben Vorstand.
Der Konzern verkaufte die amerikanischen Werke, ebenso eine Reihe weiterer Geschäfte wie die Edelstahlsparte und den zivilen Schiffbau. Die Finanzkennzahlen verbesserten sich, die Risiken schrumpften, und Hiesinger räumte die Bilanz auf. "Ohne Heinrich Hiesinger würde es thyssenkrupp nicht mehr geben", erklärte Aufsichtsratschef Ulrich Lehner am Donnerstagabend.
Doch die Sparten hinken weiterhin ihren Renditevorgaben hinterher, was nicht nur Cevian sauer aufstößt. Die Schwachstellen des Konzerns sind der anhaltende Mittelabfluss aus dem operativen Geschäft sowie die hohe Verschuldung. Hier soll die Vereinbarung mit Tata den Befreiungsschlag bringen und thyssenkrupp wieder Luft für Investitionen schaffen.
Für den Umbau muss thyssenkrupp nun einen neuen Chef suchen. Als möglicher Übergangs-Chef gilt Finanzvorstand Guido Kerkhoff, wie die "Rheinische Post" unter Berufung auf Branchenkreise schreibt. Stahl-Chef Andreas Goss sei durch den Tata-Deal gebunden. Commerzbank-Experte Schachel sieht gute Chancen dafür, dass ein Nachfolger rasch gefunden wird, es gebe aber keinen offensichtlichen Kandidaten für den Posten.
ESSEN (dpa-AFX)
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