EMA: Vorerst weiter von Vorteil des AstraZeneca-Impfstoffs überzeugt - Weitere Länder stoppen Impfstoff-Einsatz
Nach der Bekanntgabe, das Impfen mit dem Vakzin von AstraZeneca in Deutschland auszusetzen, fallen die Reaktionen gemischt aus.
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Die Europäische Arzneimittelagentur hält den Nutzen des Corona-Impfstoffs von AstraZeneca bis zum Abschluss der laufenden Untersuchungen für größer als die Gefahren. Solange die Untersuchungen der EU-Behörde andauerten, sei man entschieden überzeugt, dass die Vorteile des Impfstoffs bei der Verhinderung von COVID-19 das Risiko überwögen, bekräftigte EMA-Chefin Emer Cooke am Dienstag. Am Donnerstag wolle die EMA eine Einschätzung zu möglichen Risiken und zur weiteren Verwendung abgeben.
Deutschland und andere EU-Staaten hatte die Impfungen mit dem Corona-Impfstoff von AstraZeneca zuletzt ausgesetzt. Hintergrund waren Berichte über Blutgerinnsel in zeitlichem Zusammenhang mit dem Impfprozess.
Cooke betonte nun, dass eine Situation wie diese nicht unerwartet sei. Wenn man Millionen Menschen impfe, sei es unausweichlich, dass man seltene oder ernsthafte Vorkommnisse von Erkrankungen habe, die nach der Impfung auftreten. Die EMA prüfe nun, ob dies tatsächlich eine Nebenwirkung sei oder Zufall. Es brauche dazu eine wissenschaftliche Bewertung. "Wir müssen die Fakten zuerst haben." Vorher könne man nicht zu einer Schlussfolgerung kommen.
Scholz hofft auf weiteren Einsatz von AstraZeneca-Impfstoff
Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) hofft auf eine weitere Nutzung des Corona-Impfstoffs von AstraZeneca in Deutschland. Anderenfalls müsse man sich auch mit Blick auf die wirtschaftliche Erholung "mit neuen Herausforderungen auseinandersetzen", sagte der Finanzminister am Dienstag. Die Entscheidung über den weiteren Einsatz des Impfstoffs dürfe aber nicht politisch getroffen werden, sondern müsse rein fachlich sein. Er hoffe, dass dies schnell gelinge.
Der Impfstoff des britisch-schwedischen Herstellers wird nach einigen ungeklärten Thrombosefällen vorerst in Deutschland und einigen anderen Ländern nicht mehr genutzt. Die EU-Arzneimittelbehörde EMA will am Donnerstag eine Einschätzung zu möglichen Risiken und zur weiteren Verwendung abgeben.
Experten: Aufschub der zweiten AstraZeneca-Dosis unproblematisch
Menschen, die nach einer ersten Impfung mit dem Impfstoff wegen des vorläufigen Stopps keine zweite Dosis erhalten, müssen sich nach Ansicht von Experten zunächst keine Sorgen um fehlenden Immunschutz machen. "Nach allem, was wir wissen, ist es nicht problematisch, die zweite Impfung aufzuschieben", sagte Stefan Kaufmann, emeritierter Direktor am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin, der Deutschen Presse-Agentur. "Wir haben wenig Erfahrung, was die Dauer des Impfschutzes anbelangt, weil die Studien dazu ja gerade abgeschlossen sind. Mindestens sechs Monate sollte der nach der ersten Impfung aufgebaute Schutz aber halten."
Michael Lohoff von der Philipps Universität Marburg weist auf den hohen Schutz vor schweren Verläufen hin, der nach der ersten Impfung aufgebaut werde. "30 Tage nach der ersten Impfung haben wir einen sehr guten Schutz vor schweren Verläufen. Das ist schon mal super." Grundsätzlich sei eine zweite Impfung allerdings besser, um das Immunsystem neu zu stimulieren.
Dass bereits die erste AstraZeneca-Impfdosis einen guten Schutz vor schweren Verläufen vermittelt, geht unter anderem aus Daten aus Schottland hervor, die im Februar vorgestellt wurden. Demnach sank das Risiko einer Krankenhauseinweisung vier Wochen nach der ersten Dosis des Impfstoffes um bis zu 94 Prozent. Verglichen wurden bei dieser Analyse Menschen mit einer Impfung und Menschen ohne Impfung.
Grundsätzlich ist es denkbar, die zweite Impfdosis mit einem anderen Impfstoff vorzunehmen, sagte Kaufmann. "Wir haben im Zusammenhang mit den Corona-Impfstoffen wenig Erfahrung damit. Aus immunologischer Sicht spricht aber nichts dagegen."
PEI zu Hirnvenenthrombosen nach Impfung: Vor allem Frauen betroffen
Die sieben Fälle von Hirnerkrankungen, wegen denen die AstraZeneca-Impfungen ausgesetzt wurden, betrafen Menschen zwischen etwa 20 und 50 Jahren. Das teilte das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) am Dienstag mit. Sechs davon hätten eine sogenannte Sinusvenenthrombose gehabt, sämtlich Frauen in jüngerem bis mittlerem Alter. Ein weiterer Fall mit Hirnblutungen bei Mangel an Blutplättchen bei einem Mann sei medizinisch sehr vergleichbar gewesen. "Alle Fälle traten zwischen 4 und 16 Tagen nach der Impfung mit dem COVID-19-Impfstoff AstraZeneca auf", hieß es. Drei der sieben Betroffenen seien verstorben.
Alle zur Einschätzung herangezogenen Expertinnen und Experten seien einstimmig der Meinung gewesen, dass hier ein Muster zu erkennen und ein Zusammenhang der gemeldeten Erkrankungen mit der AstraZeneca-Impfung "nicht unplausibel" ist, hieß es vom PEI. Ob tatsächlich ein kausaler Zusammenhang besteht, werde aktuell untersucht.
Die Zahl der Fälle nach einer AstraZeneca-Impfung ist demnach statistisch signifikant höher als die Anzahl von Hirnvenenthrombosen, die normalerweise in der Bevölkerung ohne die Impfung auftreten: "Etwa ein Fall wäre zu erwarten gewesen, sieben Fälle waren gemeldet worden."
Von den schwerwiegenden Hirnvenenthrombosen mit Blutplättchenmangel sei nicht die Altersgruppe betroffen, die ein hohes Risiko für einen schweren oder tödlichen COVID-19-Verlauf habe. Betroffen seien nicht Senioren, sondern Menschen in jüngerem bis mittlerem Alter.
"Nach Gesamtbetrachtung und Erwägung der genannten Fakten hat das Paul-Ehrlich-Institut empfohlen, die Impfung mit dem COVID-19-Impfstoff AstraZeneca in Deutschland vorsorglich auszusetzen, um die Fälle weiter zu analysieren", so das Fazit des Instituts.
Die Abwägung, ob der Impfstoff weiterhin genutzt werden kann, obwohl er möglicherweise diese sehr seltene Nebenwirkung verursacht, werde auf europäischer Ebene durch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) und auf nationaler Ebene durch die Politik getroffen. EMA-Experten prüfen demnach im Verlauf der Woche, ob und wie sich die Erkenntnisse auf das Nutzen-Risiko-Profil des AstraZeneca-Impfstoffs und die EU-Zulassung des Impfstoffes auswirken. Mit einem ersten Ergebnis sei noch in dieser Woche zu rechnen.
Klar müsse sein, dass es sich bei sieben Betroffenen unter insgesamt 1,6 Millionen Geimpften um eine sehr seltene potenzielle Nebenwirkung handelt. Und auch von der Anti-Baby-Pille seien Thrombosen als sehr seltene Nebenwirkung bekannt. Der Punkt bei diesem Vergleich sei aber, dass diese Nebenwirkung bei der verschreibungspflichtigen Pille explizit in der Patienteninformation aufgeführt werde. Jede Frau müsse von der verordnenden Ärztin oder dem verordnenden Arzt über dieses Risiko aufgeklärt werden. Beim Impfstoff hingegen sei die Sinusvenenthrombose mit begleitendem Blutplättchenmangel bisher nicht in der Patienteninformation aufgeführt.
Die sieben erfassten Betroffenen hatten sich nach PEI-Angaben auch Tage nach der Impfung weiter unwohl gefühlt und gesteigerte Kopfschmerzen gehabt. Menschen, die sich mehr als vier Tage nach der AstraZeneca-Impfung zunehmend unwohl fühlen - mit starken und anhaltenden Kopfschmerzen oder punktförmigen Hautblutungen - sollten sich unverzüglich in ärztliche Behandlung begeben, riet das PEI.
Jetzt schon einen Mix von Impfstoffen bei noch nicht erfolgter Zweitimpfung mit AstraZeneca zu diskutieren, hält das Institut für verfrüht. Ob es zu einem dauerhaften Aussetzen der Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff kommt, bleibe abzuwarten. Auch lägen noch keine Daten zu einer Kombination verschiedener Impfstoffe vor. "Aus diesen Gründen sollte derzeit der Impfschutz nicht mit einem anderen Impfstoff komplettiert werden."
Bei Sinusvenenthrombosen kommt es zu einem Verschluss bestimmter Venen im Gehirn durch Blutgerinnsel. Zentrales Symptom sind Kopfschmerzen. Daneben können Erkrankte etwa epileptische Anfälle, Lähmungen oder Sprachstörungen bekommen. Ein Mangel an Blutplättchen wiederum führt zu einer erhöhten Blutungsneigung. Als Symptome treten punktförmige Einblutungen in die Haut oder Schleimhäute auf, gelegentlich auch starkes Nasenbluten.
AstraZeneca im Ausland - Weitere EU-Länder stoppen Impfstoff-Einsatz
Nach dem Stopp der AstraZeneca-Impfungen in Deutschland und anderen Ländern haben mehrere weitere EU-Staaten die Verabreichung des Mittels vorsorglich ausgesetzt. Schweden stoppte den Einsatz nun ebenso vorübergehend wie Portugal, Luxemburg, Lettland und Litauen. Man pausiere den Gebrauch des Impfstoffs, bis die Untersuchung der Europäischen Arzneimittelagentur EMA zu vermuteten Nebenwirkungen des Mittels abgeschlossen sei, teilte die schwedische Gesundheitsbehörde am Dienstag mit. Ähnlich äußerten sich auch Behörden und Ministerien der anderen Länder.
Hintergrund des vorübergehenden Impfstopps sind Meldungen von Blutgerinnseln, die in mehreren Ländern im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung mit dem AstraZeneca-Präparat aufgetreten sind. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Impfung und Blutgerinnsel wurde bisher in keinem der Fälle festgestellt. Ob tatsächlich ein solcher kausaler Zusammenhang besteht, wird derzeit untersucht.
Die EMA hält den Nutzen des AstraZeneca-Vakzins bis zum Abschluss der laufenden Untersuchungen für größer als die Gefahren. Solange die Untersuchungen der EU-Behörde andauerten, sei man entschieden davon überzeugt, dass die Vorteile des Impfstoffs bei der Verhinderung von Covid-19 das Risiko überwögen, bekräftigte EMA-Chefin Emer Cooke am Dienstag. Am Donnerstag wolle die EMA eine Einschätzung zu möglichen Risiken und zur weiteren Verwendung abgeben.
Mindestens bis dahin werden die kleinen Fläschchen mit dem Corona- Impfstoff des britisch-schwedischen Herstellers in mehreren Ländern verschlossen bleiben. Zunächst hatte Dänemark vergangene Woche den Einsatz des AstraZeneca-Präparats für vorläufig 14 Tage ausgesetzt, nachdem zuvor vereinzelte Fälle von Blutgerinnseln in Kombination mit niedrigen Blutplättchenzahlen nach der Impfung gemeldet worden waren. Mehrere andere Länder folgten, am Montag unter anderem auch Deutschland.
In Schweden hat es nach Angaben der Gesundheitsbehörde bislang keine solcher Fälle gegeben. "Der Entschluss ist eine Vorsichtsmaßnahme", erklärte Staatsepidemiologe Anders Tegnell. Brisant an diesem Beschluss ist, dass AstraZeneca teils schwedisch ist: Der Pharmakonzern ist 1999 aus dem Zusammenschluss des schwedischen Unternehmens Astra und des britischen Konzerns Zeneca entstanden. Seinen Hauptsitz hat AstraZeneca im englischen Cambridge.
EMA-Chefin Cooke betonte, wenn man Millionen Menschen impfe, sei es unausweichlich, dass man seltene oder ernsthafte Vorkommnisse von Erkrankungen habe, die nach der Impfung auftreten. Die EMA prüfe nun, ob dies tatsächlich eine Nebenwirkung sei oder Zufall. Es brauche dazu eine wissenschaftliche Bewertung. "Wir müssen die Fakten zuerst haben." Vorher könne man nicht zu einer Schlussfolgerung kommen.
Beim Aussetzen der Corona-Impfungen mit dem AstraZeneca-Präparat handeln die europäischen Länder unterschiedlich: Während die großen EU-Länder Deutschland, Frankreich und Italien die Verabreichung am Montag stoppten, hält Ex-EU-Mitglied Großbritannien an dem Einsatz weiter fest. Gleiches gilt für Österreich und Belgien, auch Finnland wartet ab.
Im südostasiatischen Thailand ließen sich Ministerpräsident Prayut Chan-o-cha und Mitglieder seines Kabinetts am Dienstag mit dem AstraZeneca-Präparat impfen. Das Land hatte die Impfungen mit AstraZeneca am vergangenen Freitag zunächst verschoben. "Es wurde verifiziert, dass es durch den AstraZeneca-Impfstoff keine schlechte Reaktion gibt", sagte der Regierungschef. "Die Impfungen beginnen heute mit dem Kabinett und Regierungsbeamten, die in engen Kontakt mit einer großen Anzahl von Menschen kommen."
Spitzenberatungen zum Impfen möglicherweise am Freitag
Bund und Länder wollen möglicherweise an diesem Freitag zu Beratungen über die weitere Impfstrategie in Deutschland zusammenkommen. Dann soll die Einschätzung der Europäischen Arzneimittelagentur EMA zur Sicherheit des Impfstoffs von AstraZeneca vorliegen, dessen Verabreichung in Deutschland seit Montag gestoppt ist. "Die Telefonkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und -chefs der Länder soll zeitnah nach der EMA-Entscheidung nachgeholt werden, möglicherweise schon am Freitag", sagte ein Regierungssprecher am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.
Ursprünglich waren die Beratungen der Spitzen von Bund und Ländern zur weiteren Impfkampagne in Deutschland für diesen Mittwoch angesetzt; sie wurden abgesagt, nachdem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Impfungen mit dem Wirkstoff von AstraZeneca vorübergehend als Vorsichtsmaßnahme gestoppt hatte. Die EMA will ihr Votum zu dem Impfstoff am Donnerstag abgeben, wie sie in Amsterdam mitteilte. Die Bundesregierung will über den neuen Termin der Bund-Länder-Schalte rechtzeitig informieren, wie der Sprecher weiter sagte.
Der Grund für den Stopp war, dass in Deutschland sechs Fälle von Hirnvenen-Thrombosen nach einer Gabe des Präparats sowie ein vergleichbarer Fall aufgetreten waren, drei davon tödlich. Ob es einen ursächlichen Zusammenhang mit der Impfung gibt, ist unklar. Expertinnen und Experten am zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) hätten einen Zusammenhang aber als nicht unplausibel eingestuft, wie das Institut mitteilte. Die EMA sieht zunächst die Vorteile des Impfstoffs zur Verhinderung von Covid-19 weiter als größer an als das Risiko, wie EMA-Chefin Emer Cooke mitteilte.
BERLIN/BRÜSSEL/STOCKHOLM (dpa-AFX)
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